Robert Hanzlik
KURT MOLL
Biographie
425 Seiten, Verlag LITTERIS ET ARTIBUS, 2022
Der Name „Moll“ scheint für einen Bassisten so geeignet, dass man ihn für einen Künstlernamen halten würde. Aber Kurt Moll kam damit am 11. April 1938 in Buir, dreißig Kilometer westlich von Köln, zur Welt. „Moll“ bedeutet für die Rheinländer allerdings nicht die Tonart, sondern leitet sich kölsch-plattdeutsch von „Müller“ ab. Aber Kurt Moll war ja auch ein großer Liedersänger…
Als er am 5. März 2017 in Köln starb, 79 Jahre alt, hatte er ein halbes Jahrhundert lang als eine der führenden Baß-Stimmen deutscher Herkunft gegolten, samtig und beweglich zugleich, Wagner-Würde als Gurnemanz und in den weiteren Rollen des Wagner-Fachs ausstrahlend, urkomisch als Osmin, ein Mann der Spannbreite, vom Publikum und Fachleuten gleich bewundert.
So zitiert Robert Hanzlik, der nun eine umfangreiche Biographie über Kurt Moll vorlegt, etwa Clemens Höslinger, der sich an Molls erstes Auftreten in der „Zauberflöte“ an der Wiener Staatsoper erinnert, wo Sarastro eine Halbe auf das tiefe F zu singen hat und dort verweilen muss. „Bei vielen Bässen ist hier nur ein leises Hauchen oder schwaches Brummen zu vernehmen, doch als Moll diese Stelle sang, war ein den gesamten Raum der Staatsoper erfüllendes, tiefschwarzes F zu hören…“ Ja, „Baß = Kurt Moll“, schrieb ein Journalist einmal so treffend.
Kurt Moll hat an der Wiener Staatsoper über 130 Abende gesungen, sein Wagner-Fach vor allem, außerdem Rocco, Pater Guardian, Gremin, Osmin und nicht weniger als 31mal den Baron Ochs auf Lerchenau, auch eine seiner Paraderollen.
Hanzliks Buch ist prinzipiell chronologisch angelegt, von den Anfängen in Köln, Aachen (die vernünftige Entscheidung eines jungen Sängers für ein kleines Haus), Mainz und Wuppertal zu seiner frühen Sternstunde am 23. Mai 1970, wo der 32jährige im Vatikan zum Goldenen Priesterjubiläum von Papst Paul VI. die Basspartie in der „Missa Solemnis“ sang.
Den Tenorpart übernahm damals Placido Domingo, der sich gut daran erinnert und für das Buch ein Vorwort geschrieben hat: „Niemals vergessen werde ich seinen würdevollen, Ruhe und Souveränität ausstrahlenden Gurnemanz“ – eine Erinnerung, die ältere Opernfreunde mit Domingo teilen werden, haben sie doch seither genügend Gurnemanz-Interpreten gesehen, denen die Regisseure ihre Würde nachdrücklich genommen haben.
In der Folge verdichtet der Autor das künstlerische Leben von Kurt Moll auf die örtlichen Schwerpunkte seines Schaffens – Bayreuth, Berlin, Salzburg (wo Moll mit dem um drei Jahrzehnte älteren Herbert von Karajan eine Art Seelenverwandtschaft verband), die Mailänder Scala und die Wiener Staatsoper, Hamburg und Paris (mit Erinnerungen an die Arbeit von Rolf Liebermann), London, die Met und München, einer seiner persönlichen Schwerpunkte, wo er sich 2006, schon von Krankheit gezeichnet, mit der Rolle des Nachtwächters in den „Meistersingern“ von der Bühne verabschiedet. „Lobet Gott, den Herrn“ waren seine letzten Worte.
Der Autor, über den weder im Buch noch im Internet mehr zu erfahren ist, als dass er schon Bücher über Carl Loewe, Max Schönherr und Augenblicke europäischer Musikgeschichte in Briefen geschrieben hat, alle in jenem Verlag I. I. M. K. (Internationales Institut zur wissenschaftlichen Erarbeitung und Herausgabe von Musikerbiografien, Komponistenwerkverzeichnissen und kulturpolitischen Studien) erschienen wie dieses Buch, hat von der Familie reiches Dokumentarmaterial zur Verfügung gestellt bekommen, Familienbilder ebenso wie Rollenbilder oder Moll privat mit Kollegen (mit Herbert von Karajan offensichtlich in einer Probenpause zum „Rosenkavalier“ wirken die beiden Herren auf der Rückseite des Buches höchst entspannt und vergnügt), Theaterzettel, Widmungen und auch Kuriosa wie das klassische Babyfoto mit nacktem Hinterteil. Da hätte man sich allerdings gewünscht, um den Rahmen zu schließen, dass es ein Bild von der ausführlich beschriebenen Grabstätte in Köln gegeben hätte.
Und auch andere Wünsche sind offen – so war Molls Repertoire weit größer als nur die „Klassiker“, er war auch Sir Morosus, Pimen oder Seneca, es fehlt also dem Opernfreund, der es genau wissen will (und dazu ist so ein Buch schließlich da) ein kommentiertes Rollenverzeichnis (welche Rollen im Repertoire, wann und wo gesungen) ebenso wie eine Zeittafel, denn die zu Recht getrennten Kapitel machen ja nicht klar, wann Moll wo war, wie das Leben eines reisenden Stars (und er war ein solcher) verlief. Und dass man sich die Mühe eines Registers macht und dieses dann so winzig druckt, dass man es kaum mit Vergrößerungsglas lesen kann – das ist schade, vergebliche Liebesmüh.
Dennoch werden Opernfreunde gerne zu dem Buch greifen, es erinnert an einen großen Künstler und an eine große Opernzeit in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren…
Renate Wagner