RIGA/ Lettische Nationaloper: Die Walküre (Valkīra) 5.6.2013
Michael Weinius, Liene Kincar. Foto: Lettische Nationaloper Riga
Über dem Bühnenportal in der rechten Ecke befindet sich ein Portätmedaillon Richard Wagners, das von einem Scheinwerferlicht zumindest im Rheingold und in der Walküre beleuchtet wurde. Der erste Abend der Tetralogie (wie auch die folgenden) hat der lettische Regisseur Viesturs Kairišs in Szene gesetzt. Als Dramaturg fungierte der Oldenburger Jochen Breiholz, der seit der Spielzeit 2011/12 die Leitung des künstlerischen Betriebsbüros an der Vlaamse Opera in Antwerpen bekleidet. Die Ausstattung besorgte der renommierte und auch international tätige Lette Ilmārs Blumbergs.
In der Walküre versuchte der Regisseur die extremen Positionen von Betrug und Inzest, Verrat und Mord einander kontrapunktisch gegenüber zu stellen. Motor all dieser Leidenschaft ist und bleibt für ihn aber (wie für den Komponisten) stets die Liebe. Und diesem Motto ist er als Lette auch dem Nationaldichter Jānis Rainis (eigentlich: Jānis Pliekšāns 1865-1929) verpflichtet, dessen letztes Gedicht mit den tröstlichen Worten endet: „Die erste Tugend, wie auch die letzte ist nur die: zu lieben!“ (vgl. MERIAN live! Riga, S. 89).
Der Konflikt zwischen Liebe und Macht wird zu einem existentiellen Kampf, sowohl in der Abgeschiedenheit von Hundings Haus als auch in ganz öffentlich in der Arena des Zweikampfes zwischen Siegmund und Hunding und in weiterer Folge der väterlichen Bestrafung von Brünnhildes Trotz im dritten Akt.
Wenn sich der Vorgang öffnet, erkennt man sogleich die völlige Misere von Sieglinde. In Leuchtschrift steht über der Eingangstüre „Willkommen im Tod“. Die Schrift erscheint immer wieder in anderer Farbe und zieht am Betrachter vorbei. Nichts ist also endgültig, eine die Möglichkeit einer Änderung bleibt offen. Sieglinde hat sich mit ihrem freudlosen Leben im Hause Hundings hinter einer kalten Mauer, unfähig aus eigenem Antrieb eine Veränderung herbei zu führen, scheinbar abgefunden. Wie Fafner sein Gold, so bewacht sie argwöhnisch das Schwert Nothung, das Wotan an ihrem Hochzeitstag in eine Säule des Hauses gerammt hatte. Wie in einem Schrein, so wird dieses bedeutungsschwangere Schwert hinter einer Glaswand, auf der „Don’t Touch“ geschrieben steht, aufbewahrt. Diese göttliche Waffe wirkt äußerst bedrohlich, weshalb sie wohl unter gläsernem Verschluss gehalten wurde. Wer immer diese Waffe erringt, so ist sich Sieglinde sicher, wird auch sie aus ihrer Misere mit Hunding befreien können…
Und da stürmt schwergewichtig ihr Zwillingsbruder Siegmund herbei, der, das erkennt sie sogleich instinktiv, ihrer Tristesse eine Wendung bereiten kann. Noch wehrt sie ihn mit einem Schemel ab, im weiteren Verlauf erkennt sie im Widerhall seiner Stimme ihre eigene und letztendlich ihren lang ersehnten verschollen geglaubten Bruder. Als eine sich selbst vollziehende Prophezeiung, kommen die Geschwister einander mit jedem Wort, mit jedem noch zaghaften Blick näher. Und diese verhängnisvolle und inzestuös aufkeimend Liebe ist noch eine vollkommene private Angelegenheit zwischen Hunding, Siegmund und Sieglinde. Und Hunding und Siegmund tragen ihren Konflikt zunächst noch spielerisch mit einem aufgestellten Tischfussball aus…
Aber schon im zweiten Akt wird dieser Konflikt öffentlich und dient zu einer Grundsatzdiskussion zwischen Wotan, dem Befürworter einer freien, schrankenlosen Liebe und Fricka, der Hüterin der Ehe und Moral und Werte. Als Hüterin der Ehe hat sie Hunding ihren Beistand im Kampf gegen Siegmund versprochen und zugleich steht ihre Ehre als Göttin und Ehegattin auf dem Spiel. Brünnhilde verkündet Siegmund seinen bevorstehenden Tod im Kampf und vollzieht an ihm die rituelle Totenwaschung.
Der Konflikt weitet sich weiter aus und wird nun völlig öffentlich in einem Amphitheater ausgetragen. Der Kampf zwischen Hunding und Siegmund, an dem eine johlende Zuschauermenge heftigen Anteil nimmt, endet, so sieht man auf einer Anzeigetafel, 0:0. Wotans innerem Kampf zwischen Machtbesessenheit und Liebe mussten schließlich seine unehelichen menschlichen Kinder Siegmund und Sieglinde, sein uneheliches Götterkind Brünnhilde, Halbschwester des Zwillingspaares und spätere Tante von Siegfried, und der am meisten zu bedauernde ungeliebte Hunding, den diese traurige Erkenntnis wohl hart und verbittert gemacht hat, musikalisch durch das Waldhorn eindeutig charakterisiert, zum Opfer fallen. Die rasende Menge fällt übereinander her, während Wotan Brünnhilde nacheilt, um ihren Trotz zu bestrafen…
Die Walküren tragen im dritten Akt schwarzgelbe Plastikröcke und ein Schild als Verschluss ihres Umhangs, auf dem ihr Name zu lesen ist. Die Zuschauer des Zweikampfes liegen nunmehr als Tote nackt und entblößt auf den Stufen der Arena. Am Ende bettet Wotan seine Lieblingstochter auf aneinander gereihte Schemel und wiegt sie sanft in ein Koma.
Liene Kinca, Katrin Gerstenberger. Foto: Lettische Nationaloper Riga
Cornelius Meister leitete das Orchester der Lettischen Nationaloper äußerst umsichtig, baute spannungsgeladene Bögen auf und setzte an den dramaturgisch bedeutenden Momenten die richtigen musikalischen Akzente. Den stärksten Eindruck hinterließ bei den Männern der schwedische Bass Johan Schinkler als imposanter Kraftlackel Hunding. Dicht gefolgt auf Platz vom lettischen Bassbariton Egils Siliņš als heldenhafter Wotan, der lediglich in der Tiefe stimmlich einige Abstriche zu verzeichnen hatte.
Aber auch der Schwede Michael Weinius als Siegmund konnte darstellerisch wie auch gesanglich neben den beiden bestehen. Er hatte seine Karriere ursprünglich als Bariton begonnen und erst 2004 ins Tenorfach gewechselt, was leider an den hohen Tönen nicht zu überhören war. Besonders beeindruckend war aber die Länge seines zweiten Wälserufes.
Bei den Damen hatte die Lettin Liene Kinča als Sieglinde zunächst noch einige Anlaufschwierigkeiten und eine scharfe Höhe. Sie fand aber im weiteren Verlauf des Abends zu einer ausgewogenen gesanglichen Leistung.
Katrin Gerstenberger als Wotanskind Brünnhilde und Martina Dike als eifersüchtige Fricka sangen superb und agierten ausdrucksstark und hingebungsvoll.
Das Oktett der Walküren wurde rollengerecht und stimmlich harmonisch von Dana Bramana/Gerhilde, Aira Rūrāne/Ortlinde, Elena Sommer/Waltraute, Irma Pavāre/Schwertleite, Julianna Bavarska/Helmwige, Natālija Krēsliņa/Siegrune, Ilona Bagele/Grimgerde und Liubov Sokolova/Roßweiße interpretiert.
Großer Applaus für alle Beteiligten, allen voran natürlich Wotan mit Heimvorteil, dicht gefolgt von Hunding und Brünnhilde. Und auch Dirigent Meister wurde für seine umsichtige Leitung zu Recht vom Publikum bedankt.
Harald Lacina