RICHARD WAGNER: LOHENGRIN – Bayreuther Festspiele 30. Juli 1967, ORFEO 3 CDs – RUDOLF KEMPE at his best!
Endlich ist er weder da, in bester Tonqualität und edler Aufmachung, der Schwanenritter vom Grünen Hügel aus Rudolf Kempes letzter dortiger Saison 1967. Waren früher die Logos Golden Melodram und Myto die Glücksverheißer historischer Wagner-Aufnahmen, so ist das heute das Label ORFEO, das seit 2003 Opernfreunden in Kooperation mit den Bayreuther Festspielen und unter Verwendung derOriginal-Bänder des Bayerischen Rundfunks schon Wonnen wie den Karajan-Tristan 1952 (Mödl, Vinay), den Krauss-Ring 1953 oder Knapperstbusch Holländer 1955 (Varnay Uhde) beschert hat.
Der Lohengrin 1967 ist ein ganz eigner Fall, markiert er nicht nur den stilistischen und ästhetischen Wechsel von Wieland zu Wolfgang Wagner, sondern auch vier Bayreuth-Debüts (Heather Harper, Karl Ridderbusch, Donald McIntyre und Thomas Tipton) und ein wahrscheinlich nie dagewesenes Besetzungskarussell in der Titelpartie. Wenn man sich heute die Fotos der Aufführung ansieht, so fällt die Starre und steife Geometrie (vielgestaltiges Achteck) der Arrangements von Chor und Solisten besonders ins Auge. Dies hatte aber wohl den Vorteil, dass sich die Sänger voll auf die musikalische Seite ihre Rollen konzentrieren konnten und schlichtweg fulminante Leistungen boten.
Bei dem nun veröffentlichten Mitschnitt handelt es sich nicht um die Premiere vom 21. Juli 1967 mitSándor Kónya, sondern um eine Folgevorstellung mit James King. In der Serie sangen als Kuriosum der Bayreuther Aufführungsgeschichte insgesamt fünf verschiedene Tenöre den Lohengrin.Nach der baldigen krankheitsbedingten Absage durch Konya und nach King waren noch Jess Thomas, Hermin Esser und Jean Cox aufgeboten.
Hauptgrund für den hohen Rang dieses Lohengrins ist in erster Linie die musikalische Leitung durchRudolf Kempe. Lief beim 60-er Ring (ebenfalls bei ORFEO erhältlich) noch einiges schief (Kuddelmuddel im 3. Akt Walküre!), so stellt dieser Lohengrin wohl Kempes beeindruckendstes akustisches Vermächtnis einer Wagner-Oper dar. Hier überbietet er noch einmal seinen „Wiener Lohengrin“ aus dem Jahr 1963 (Warner Classics) an polarer, die politische und die Gralswelt zeichnende Differenzierungskunst, dynamischer Bandbreite und jenem rauschhaft leuchtenden orchestralen Wunder, das vielleicht nur in diesem verdeckten Bayreuther Alchimisten-Orchestergraben so möglich war/ist. Vielleicht passt am ehesten der Vergleich mit dem Ring von Boulez, wo sich zu struktureller Klarheit und sehnig-muskulösem Klang jenes agil fiebrige Musizieren gesellte, das aus purer orchestraler Schönheit und orientalisch wogenden Klangteppichen moderne seelische Dramen jenseits historischer Mythen formte. Kenner meinen, Kempe hätte 1967 erst sein volles Wissen um die akustischen Finessen (und Klippen) des Festspielhauses voll ausschöpfen können.
Dabei stand Kempe eine hervorragende junge Besetzung ohne Schwachstelle zur Verfügung. Am positivsten haben mich die beiden Protagonistinnen der weiblichen Hauptrollen überrascht. Heather Harper als Elsa und Grace Hoffmann als Ortrud singen einen belkantesken Wagner, ohne auf lodernde Höhen und markant blitzende Akuti verzichten zu müssen. Schöner ist Wagner Gesang nicht vorstellbar. Von ihren legendären Kolleginnen der Kempe-Studioaufnahme, Elisabeth Grümmer und Christa Ludwig, trennt sie lediglich ein etwas weniger an Individualität im Timbre und eine weniger prägnante Artikulation im Wort-Ton-Dualismus. Karl Ridderbusch nennt den sonorsten, balsamischsten und samtigsten aller deutschen Bässe sein Eigen und startet mit diesem König Heinrich eine lange Reihe an memorablen Wagner-Interpretationen in Bayreuth. Dem Heldenbariton Donald McIntyre in der Rolle des Telramund fehlt es nicht an Technik und prächtigen Höhen, allzu dämonisch-machtbesessen und respekteinflößend klingt sein brabantischer Graf Friedrich allerdings nicht. Wären wir bei der sängerischen und humanen Lichtgestalt James King als Lohengrin, der einen wunderbar silbrig-glänzenden, seltsam der Realität entrückten Schwanenritter verkörperte. Innerhalb von nur drei Stunden war er für seinen erkrankten Kollegen Kónya eingesprungen. Seine Gralserzählung galt als der bewegende Höhepunkt der Aufführung. Man wir aber nicht umhinkommen zu bemerken, dass King live immer faszinierender klang als auf Tonträgern; ein Schicksal, das er mit nicht wenigen der Allergrößten teilt. Thomas Tipton als Heerrufer ergänzt ein nicht nur für heutige Verhältnisse traumhaftes Ensemble. Dieser Lohengrin ist meines Erachtens auch besser als die Bayreuther Mitschnitte dieser Oper aus den fünfziger Jahren. Der Bayreuther Festspielchor (Einstudierung Wilhelm Pitz) wird , wie nicht anders zu erwarten, seinem legendären Ruf einmal mehr gerecht.
Bei diesem Mitschnitt sorgt die knisternde Live-Atmosphäre für eine exzeptionell intensive Stimmung. Das Remastering der Original-Bänder des Bayerischen Rundfunks ermöglicht offenbar ein noch Mehr an vokalen Nuancen und instrumentaler Kontur. Für mich ist insbesondere der 2. Akt von allen Aufnahmen, die ich kenne, der orchestral beeindruckendste. Ein Dokument für die Ewigkeit!
Dr. Ingobert Waltenberger