Richard Wagner/Joseph Swensen Ring Odyssey Orchestre National Bordeaux Aquitaine Joseph Swensen, musikalische Leitung Alpha-Classics, 1072
Joseph Swensens Ring-Odyssee auf Alpha-Classics
Wagners „Ring des Nibelungen“ in eine kompakte Form zu bringen, scheint eine beinahe unlösbare Aufgabe. Doch der amerikanische Dirigent Joseph Swensen wagt sich mit seiner über zweistündigen Anthologie an diese Herausforderung. Aufgenommen mit dem Orchestre National Bordeaux Aquitaine und herausgegeben von Alpha-Classics, ist eine durchdachte und respektvolle Zusammenstellung zu erleben, die nicht nur musikalisch, sondern auch konzeptionell überzeugt. Swensen lässt einen alternativen „Ring“ erleben – eine sinfonische Odyssee, die Wagners dramatisches Universum in verdichteter Form präsentiert.
Joseph Swensen, seit 2021 Musikdirektor des Orchestre National Bordeaux Aquitaine, ist ein musikalischer Visionär mit einer tiefen Leidenschaft für Wagner. Seine besondere Interpretation des „Ring des Nibelungen“ zeigt einen Dirigenten, der Wagners Werk nicht nur verehrt, sondern sich ihm auch künstlerisch annähert, ohne es zu entstellen. Swensens Fassung ist ein Versprechen an den Komponisten selbst: Die musikalische Integrität bleibt gewahrt, obwohl er das monumentale Werk auf eine überschaubare Länge reduziert. „Mein feierliches Versprechen an Wagner war, keine einzige Note hinzuzufügen oder zu ändern“, betont Swensen, der lediglich einige Paukenakzente integriert, um den zeitlichen Verlauf zu unterstreichen. Sein Fokus liegt auf der Originalität der Musik und der Chronologie der vier Opern – von „Das Rheingold“ bis „Götterdämmerung“. Diese Strukturierung gibt der Aufnahme einen dramatischen Bogen, der den Zuhörer auf eine eindrucksvolle Reise durch das Ring-Universum mitnimmt.
Die vokale Besetzung dieser Aufnahme wird von Christiane Libor (Sopran), Michael Weinius (Tenor) und Derek Welton (Bassbariton) angeführt. Christiane Libor als Brünnhilde zeigt zwar vokalen Einsatz. Die Mittellage erklingt wohltönend, leider sind aber ihre Mühen in der Höhe unüberhörbar und mindern den Gesamteindruck. Michael Weinius liefert eine solide Tenorleistung ab, bleibt aber insgesamt gestalterisch blass. Derek Welton, in den Rollen von Wotan und Hagen, wirkt stimmlich eher zurückhaltend. Sein kultivierter Bariton bringt Eleganz in seine Auftritte, doch es fehlt ihm manchmal an der notwendigen Durchschlagskraft, um die vielschichtige Präsenz dieser Figuren vollends zu transportieren.
Der Männerchor des Choeur de l’Opera National de Bordeaux beeindruckt durch seine Präzision. Swensen unterstreicht hier die Polyphonie, indem er den Chor zunächst in kleine Gruppen aufteilt, um dann die Stimmen zu einem machtvollen Ganzen zusammenzuführen. Dies schafft besonders in den dramatischen Höhepunkten eine kompakte Klangfülle.
Das Orchestre National Bordeaux Aquitaine ist der wahre Star dieser Aufnahme. Swensen lässt die Instrumentalisten glänzen und jedes Detail der Partitur hervortreten. Besonders auffällig ist die Präzision in den Schlagzeugstimmen – ein Aspekt, der oft vernachlässigt wird. So ist zum Beispiel Alberichs Fluch in „Das Rheingold“ endlich mit den geforderten Schlagbecken zu erleben, was dem Moment eine ungeahnte Dramatik verleiht. Die Sorgfalt, mit der Swensen die Tempi gestaltet, gibt dem Orchester Raum, um die Strukturen und harmonischen Schichtungen Wagners transparent zu machen. Hier wird nichts überhastet, und doch verliert die Musik niemals an Spannung. Joseph Swensen erweist sich als tiefgründiger Interpret Wagners. Seine Herangehensweise an den „Ring“ zeigt ein feines Gespür für die dramatische Entwicklung und den musikalischen Fluss. Seine Entscheidung, die Tempi so zu wählen, dass sie die Struktur der Musik offenlegen, ist mutig und gleichzeitig gelungen umgesetzt. Besonders beeindruckend ist seine Fähigkeit, trotz der Kürzungen den epischen Charakter des „Ring“ zu bewahren.
Die Klangqualität dieser Live-Aufnahme ist hervorragend. Die Balance zwischen Orchester und Solisten ist durchweg gelungen, und die Dynamik wird voll ausgeschöpft. Der herrliche Raumklang der Aufführung verleiht der Musik Tiefe und Präsenz, was besonders bei den großen Tutti-Momenten deutlich wird. Hier treffen Präzision, Klangfülle aufeinander und schaffen ein beeindruckendes Hörbild.
Joseph Swensens Anthologie des „Ring des Nibelungen“ ist ein interessantes Experiment, das durchaus beeindruckende Momente bietet, aber auch einige Schwächen bei den Vokalsolisten aufweist. Die Kürzungen und die Zusammenstellung der Szenen schaffen eine konzentrierte Version des „Ring“, die vor allem durch die herausragende Leistung des Orchesters überzeugt. Swensen bleibt seinem Versprechen treu, Wagners Werk in seiner Substanz unangetastet zu lassen, doch letztlich bleibt diese Aufnahme vor allem eine reizvolle Alternative für jene, die sich auf eine verdichtete Reise durch das „Ring“-Universum begeben wollen.
Dirk Schauß, im September 2024
Richard Wagner/Joseph Swensen
Ring Odyssey
Orchestre National Bordeaux Aquitaine
Joseph Swensen, musikalische Leitung
Alpha-Classics, 1072