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Riccardo Muti: DIE BOTSCHFT DER HOFFNUNG

29.12.2020 | Dirigenten, INTERVIEWS

Pressekonferenz zum Neujahrskonzert

Riccardo Muti:

DIE BOTSCHAFT DER HOFFNUNG

Es war eine seltsame halbe Stunde per ORF / LIVESTEAM– und dann doch nicht, denn nur wenn man per Kamera die „Totale“ sah, nämlich dass vier Herren mutterseelenallein auf einem langen Tisch am Konzertpodium des sonst leeren „Goldenen Saals“ des Musikvereins saßen, reflektierte dies die ganze Seltsamkeit der Situation. Sonst, mit Nahaufnahme, war es eine Pressekonferenz wie alle anderen – und dann noch nicht. Denn es ging um das, was viele nicht glauben wollten: Ein Neujahrskonzert vor leerem Saal, mit dem das Jahr 2021 eröffnet wird. Ein Konzert, das Hoffnung geben soll.

Von Renate Wagner

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Das Quartett der Kompetenten.  Foto: Dieter Nagl/ Wiener Philharmoniker

Das Quartett der Kompetenten   Da saßen sie also, Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer, der auch als Moderator dieser Pressekonferenz fungierte, die in englischer Sprache abgehalten wurde. Denn auch ein halbes Jahrhundert mit den Wiener Philharmonikern hat den Neapolitaner Muti noch nicht so viel Deutsch gelehrt, dass er es auch in der Öffentlichkeit sprechen möchte. Mit dabei waren noch ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz und Musikvereins-Hausherr, Intendant Stephan Pauly. Und alle haben sich entschlossen, das Beste aus einer schlimmen Situation zu machen – Limonade, wo man ihnen doch Zitronen gegeben hat.

Das „einzigartige“ Konzert   Die Voraussage, dass das Neujahrskonzert 2021 „einzigartig“ („unique“) sein würde, war nicht schwer zu treffen, und das nicht nur, weil diesmal, wie Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer meinte, auch Stücke gespielt werden, die noch nie auf dem Programm gestanden sind, etwa die „Badner Madln“ von Karl Komzak. Zwar werden die Wiener Stadtgärtner den Saal wieder schmücken, 30.000 Blumen warten darauf, als Dekoration fürs Fernsehen zu leuchten, aber Faktum ist, das sich hoffentlich nie wieder wiederholen wird: Es werden keine Leute im Saal sein. Dirigent Riccardo Muti (der seit 1974 in dieser Stadt dirigiert) erlebt die Situation auch als „Gast“ in Wien: „Es ist kein Mensch im Hotel, absolut niemand. Man fühlt sich wie in einem Horrorfilm.“

Im Zeichen der Hoffnung – „la speranza“ Natürlich ist es seltsam, ohne Publikum Musik zu machen, sagt Riccardo Muti. Aber man müsse die Situation (oder das Bewusstsein) umdrehen: Es gibt ja Publikum. Millionen Menschen vor den Fernsehschirmen, denen man dieses Konzert schenken will – als Zeichen der unerschütterlichen Hoffnung. „Wir spielen das als Botschaft, denn der Wiener Musikverein am 1. Jänner ohne Musik, das wäre ein Grab, das wäre das schlimmste negative Zeichen, das man setzen könnte. Statt dessen schicken wir das Konzert in mehr als 90 Länder das Zeichen der Hoffnung – oder ‚la speranza’, wie wir Italiener sagen. Das ist es, was wir alle brauchen.“

Muti und das Neujahrskonzert   Es ist das sechste Neujahrskonzert, das Riccardo Muti dirigiert, und er hat sich mit einigem Humor an sein erstes erinnert, das ihm nächtelang den Schlaf kostete. „Die Philharmoniker haben mich damals gefragt, nachdem wir die Schubert-Symphonien zusammen gemacht haben. Schubert ist das Tor zu Strauß, auch wenn es verschiedene Welten sind, und sie dachten wohl, wenn er Schubert kann, kann er auch Strauß. Aber ich hatte schreckliche Angst. Die Philharmoniker sind nicht nur eines der besten Orchester der Welt, in Sachen Neujahrskonzert ist ihre Kompetenz unerreicht – und auch ihre Erfahrung, die sie aus der Arbeit mit so vielen Dirigenten mitgebracht haben. Ich dachte damals, das spielen die doch allein, da kann ich nur etwas kaputt machen. Aber die Musiker haben mir geholfen…“ Und, wie man weiß, hat es sehr gut geklappt, und Dirigent und Orchester haben das Abenteuer seither einige Male erfolgreich wiederholt. „Sie holen immer das Beste aus uns heraus“, sagt Daniel Froschauer zu Riccardo Muti und dieser lächelt.

„Das ist kein Spaziergang“   Riccardo Muti betont, dass das Publikum dazu neigt, die Schwierigkeit des Neujahrskonzerts zu unterschätzen. „Weil die Musik so leicht klingt, klingen muss, glaubt man, es sei auch leicht sie zu dirigieren. Tatsächlich ist es eine der schwersten Aufgaben, die sich einem Dirigenten stellen. Man muss da ein ‚Expert Pilot’ sein, um alle technischen Schwierigkeiten zu bewältigen, zum Beispiel die Interaktion der einzelnen Instrumente. Natürlich kann immer was passieren, das gehört zum Leben, aber wenn man die Schwierigkeiten kennt… Ich möchte beim ‚Donauwalzer’ nicht am Platz des Ersten Hornisten sitzen, und ich habe phantastische von ihnen gehört… Eigentlich ist man erst ‚gerettet’, wenn die ersten Takte des Radetzkymarsches erklingen. Und ja, wir werden ihn auch heuer spielen, wenn das Publikum nicht mitklatscht. Der Marsch wurde ja eigentlich nicht zum rhythmischen Mitklatschen geschrieben – also hören wir ihn uns einmal im Original an. Aber jedenfalls: ein Neujahrskonzert ist kein Spaziergang.“

Die Liebe der Neapolitaner zu Österreich   Ein Teil des Konzertes ist programmatisch Italien gewidmet – mit Werken wie dem Venetianer-Galopp, op. 74, von Johann Strauß Vater oder der Margherita-Polka, op. 244, die Josef Strauß 1886 zur Hochzeit der italienischen Prinzessin Margherita (1851 – 1926), der Tochter des Herzogs von Genua, komponiert hat. So sind auch zwei Werke von Franz von Suppè zu verstehen, der – wie Riccardo Muti ausführt – in seiner Musik Österreich und Italien verschmilzt: „Musik ist einfach ein verbindendes Element zwischen den Nationen.“ Muti, der Neapolitaner, fühlt sich Österreich übrigens auch historisch tief verbunden, näher als die Mailänder und andere Italiener. Schließlich war Maria Carolina, eine Tochter Maria Theresias, „seine Königin“, hat kulturell unendlich viel für das Land getan – und er ist heute noch dafür dankbar. (Eine Haltung, die man übrigens auch als österreichischer Reisender in Neapel feststellen kann, wenn man Maria Carolina erwähnt…)

Und wie ist das mit dem Applaus?    ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz freut sich, dass er mit den Philharmonikern eben einen Vertrag unterzeichnen konnte, der bis 2027 die Übertragung der Neujahrskonzerte und Sommernachtskonzerte sichert. Für das Konzert ohne die Live-Reaktionen des Publikums hat sich Kulturchef Martin Traxl einen besonderen technischen Gag ausgedacht. 2000 Personen werden „zuhause“ klatschen, und man wird ihren Applaus ein- und zuspielen. Aber offenbar nur am Ende des ersten und des zweiten Teils. Auch das wird zweifellos kein Spaziergang…

Fazit   Alle Beteiligten, der Musikverein, die Philharmoniker, der ORF und natürlich vor allem Riccardo Muti haben alles an positiver Energie motiviert, die sie aufbringen können. Und, wie Musikvereins-Intendant Stephan Pauly sagte, „Let’s use the energy“.

 

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