Renate Zedinger
MARIA LUISA DE BORBÓN (1745-1792)
Großherzogin der Toskana und Kaiserin in ihrer Zeit
Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts
195 Seiten, Böhlau Verlag, 2022
Bei Musikfreunden genießt die Dame absolut keinen guten Ruf, und bei Mozart-Fans schon gar nicht. Schließlich fällte sie nach der Uraufführung seiner Oper „La clemenza di Tito“ das vernichtende Urteil „una porceria tedesca“ (eine deutsche Schweinerei), das seither immer zitiert wird, wenn dieses Werk zur Aufführung kommt.
Aber man sollte Kaiserin Maria Ludovica (oder Ludovika), wie man sie hierzlande kennt, nicht falsch beurteilen. Sie war eine musik- und literaturaffine Dame, und sie hat für das Haus Habsburg-Lothringen mehr getan als jede andere zuvor – ihre Schwiegermutter, Kaiserin Maria Theresia, mit eingeschlossen. Denn von deren 16 Kindern hat nur ein einziges, ihr Sohn Leopold II., zur Fortsetzung der Dynastie beizutragen – und auch das nur, weil seine Gattin bereit war, im Jahrestakt Kinder zu gebären, bis sie es ebenfalls auf die Zahl 16 brachte. Diese, darunter viele Söhne, sorgten mit ihrem Nachwuchs für die vielen Zweige der Familie, so dass Karl Habsburg-Lothringen, wenn er heute als Familienchef zum Familientreffen ruft, von Hunderten Verwandten, alle „Habsburger“, umgeben ist.
Angesichts der überbordenden Menge von Literatur zumal über Habsburgische Frauen ist es absolut erstaunlich, dass es noch keine Personalbiographie über Maria Ludovica gab. Erst die Historikerin Renate Zedinger, deren Forschungsschwerpunkt bei der Lothringische Geschichte im 18. Jahrhundert liegt (sie hat auch schon eine Biographie von Maria Theresias Gatten, Franz Stephan von Lothringen, veröffentlicht), hat nun diese Lücke geschlossen. Mit einem sorglich recherchierten Buch, das von deutlicher Sympathie für die Protagonistin getragen ist, historisch genau gearbeitet und dennoch auch für Nicht-Historiker gut lesbar.
Der Titel des Buches „Maria Luisa de Borbón“ weist auf ihre Herkunft als Tochter des spanischen Königs Carlos III. hin, wobei dieser schon andere Kronen (etwa von Neapel-Sizilien) getragen hatte. Bekanntlich haben sich die Bourbonen von Frankreich aus gewaltig über Europa verbreitet: Den Habsburgern haben sie Spanien abgejagt, sie waren Könige von Neapel-Sizilien und Herzöge von Parma. Viele Familienzweige, viele Nachkommen, alle – wie die Kinder Maria Theresias auch – „dynastisches Heiratsmaterial“.
Maria Theresia hat bekanntlich auf die Ehebündnisse mit den Bourbonen besonderen Wert gelegt und nicht weniger als fünf ihrer Kinder dort verheiratet, wobei es zu zwei doppelten Geschwisterehen kam. Ihr Sohn Joseph (später II.), heiratete Isabella von Parma, seine Schwester Amalia wurde mit Isabellas Bruder, Herzog Ferdinand von Parma (höchst unglücklich übrigens) vermählt. Sohn Leopold wurde Maria Luisa, die Tochter des spanischen Königs, zugeteilt, seine Schwester Maria Carolina heiratete dann deren Bruder Ferdinand, der König von Neapel-Siizilien war. Am großartigsten und schlimmsten traf es Maria Theresias Tochter Maria Antonia, die es als Marie Antoinette zur Königin von Frankreich und zum Tod auf der Guillotine brachte…
Maria Theresia war bei diesen Heiraten eher skrupellos. An sich war ihr zweiter Sohn Karl Joseph als Bräutigam für die erst neapolitanische, dann spanische Prinzessin vorgesehen, aber als dieser unerwartet starb, rückte einfach sein Bruder Leopold nach, obwohl dieser zwei Jahre jünger war als seine Braut. (Auch Maria Carolina wurde Ferdinand zugeteilt, nachdem zwei ihrer für ihn vorgesehenen Schwestern plötzlich verstorben waren.)
Für König Carlos III. war jedenfalls eines wichtig – seine Tochter sollte nicht am Wiener Hof einfach eine unbedeutende Erzherzogin unter vielen sein, sondern selbst die Gattin eines Fürsten. Nun fiel – da der erste Sohn Maria Theresia nachfolgte – Franz Stephans Herzogtum Lothringen an den (nach dem Tod von Karl Joseph) nächsten Sohn, an Leopold. Dass er dem Vater so bald als Großherzog der Toskana nachfolgen würde, war allerdings nicht vorgesehen – die Hochzeit des Paares fand bekanntlich in Innsbruck statt, wo Franz Stephan wenige Tage danach unerwartet starb. Das junge Paar brach also schon mit der großherzoglichen Würde nach Florenz auf.
Die Autorin hat sich, wohl geeicht im Umgang mit den Quellen, übrigens mit den Berichten befasst, die die jeweiligen österreichischen Botschafter nach Wien schickten, wo man besonderes Interesse an den Schilderungen der möglichen Heiratskandidaten und –kandidatinnen nahm. Da stellt sich heraus, wie viel von der Persönlichkeit des jeweiligen Abgesandten abhing – Fürst Esterhazy, dem es in Neapel gar nicht gefiel (dort wuchs Maria Luisa auf, weil ihr Vater hier noch König war), berichtete nur Negatives, während sich Karl Graf Firmian in Neapel viel wohler fühlte und die königlichen Kinder weit positiver beurteilte. Als Maria Luisas Vater als Carlos III. den spanischen Thron bestieg und man nach Madrid übersiedelte, musste sich Graf Rosenberg schon heftig mit den Bedingungen der Heirat von Maria Luisa und Leopold auseinander setzen (das Großherzogtum! Und ihre reiche Mitgift).
Wie viel übler Klatsch auch damals hin- und herfloß, entnimmt man den unschätzbaren Tagebüchern des Fürsten Khevenhüller, der die Ereignisse an Maria Theresias Hof Tag für Tag aufzeichnete. Er bekundete Erstaunen – Maria Luisa war als hässlich, rothaarig und schlecht erzogen geschildert worden. Statt dessen kam 1765 eine zwar nicht schöne, aber liebenswürdige und herzensgute Prinzessin nach Innsbruck, die sich ihres künftigen Gatten gleich besonders annahm, weil Leopold damals kränklich war. Einer glücklichen Ehe stand nichts im Wege, und sie ist es geworden.
Wenn das Buch nun dem Leben des Großherzoglichen Paares in der Toskana folgt, so ist darin nicht allzu viel über jene Reformen zu lesen, mit denen Großherzog „Pietro Leopoldo“, wie er dort hieß (den Vornamen „Peter“ hat man in Wien immer vergessen), viel Gutes für das Land leistete. Maria Theresia wünschte nicht, dass ihre Töchter und Schwiegertöchter sich mit Politik befassten, und Maria Luisa, wie sie damals noch hieß, hielt sich daran. Sie war mit dem Kindergebären zwischen 1767 und 1784 voll beschäftigt, 1788 kam noch als Nachzügler jener Rudolf zur Welt, der als Mäzen von Ludwig van Beethoven so strahlend in der Musikgeschichte steht.
Alle Geschwister von Leopold, die das Haus Toskana besuchten (und es waren viele), stellten allerdings den Einfluß von Maria Luisa auf den Gatten fest. Und dass er seine aufgeklärte Denkweise auch als Vater bewies, hat sie voll gebilligt. Die Kinderschar wuchs nicht in Zeremoniell und Privilegien auf, sie bekamen zwar stringenten Unterricht, durften aber herumtoben, sich auch blutig schlagen, und wenn ihnen etwas herunter fiel, war da kein Diener, es aufzuheben. Fast „normale“ Zustände.
Die Autorin widmet dieser bemerkenswerten Kinderschar gegen Ende des Buches noch kurze Einzelbiographien, und es sind wichtige Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte darunter. Nicht nur der Erstgeborene Franz, später Kaiser Franz II. / I., der schon von seinem Onkel Kaiser Joseph II. als Nachfolger vorgesehen war (wo noch keiner ahnen konnte, dass sich Leopold für zwei Jahre als Kaiser Leopold II. dazwischen schieben würde). Sohn Ferdinand sollte als Großherzog der Toskana nachfolgen, Sohn Karl besiegte Napoleon auf dem Schlachtfeld, Sohn Johann setzte als „steirischer Prinz“ zu einem gewaltigen Reformwerk an, die Söhne Anton und Rainer sorgten für Habsburgischen Nachwuchs in Menge.
Keine Frage, dass Maria Luisa (die ihren Sohn Franz tränenden Auges nach Wien ziehen lassen musste) im Lauf der Jahre dann auch mit Heiratsprojekten befasst war, denn dass ihre Kinder der Monarchie gehörten, das stand auch für sie außer Zweifel. Dass niemand sich den Kopf zerbrochen hat, was es bedeutete, als Leopold und Maria Carolina drei (!) Hochzeiten zwischen ihren Kindern arrangierten (die durch die doppelte Geschwister-Ehe der Eltern ja tatsächlich wie Geschwister waren), mag daran liegen, dass die Vererbungslehre des Gregor Mendel damals noch in der Zukunft lag und man nur an politisch-dynastische Bindungen dachte…
1780 starb Maria Theresia, Joseph II. trat ihr Erbe an (bzw. als Römisch-Deutscher Kaiser das seines Vaters), es blieben ihm allerdings nur zehn Jahre, die Reformen zu beginnen, die er sich (in bewusstem Gegensatz zu seiner Mutter) vorgenommen hatte. Joseph starb 1790, und Maria Luisa musste sich mit Leopold und den Kindern (man reiste in verschiedenen Tranchen, weil es einfach zu viele Leute waren) nach Wien übersiedeln.
Mit ihnen kamen auch die Tänzerin Livia Raimondi und ihr Sohn „Luigi Grün“, den Leopold anerkannt hatte, nach Wien. Es gibt in der ausführlichen Korrespondenz von Maria Luisa mit ihren Verwandten, auf die die Autorin stark eingeht, keinen Hinweis darauf, wie sie reagiert hat, dass sich der Gatte trotz glücklicher Ehe eine Mätresse nahm. Vielleicht, weil die vielen Geburten den Reiz der Ehefrau geschmälert hatten. Man kann sich auch das Argument vorstellen, dass Maria Luisa nichts dagegen hatte, ein wenig Ruhe zu haben… Immerhin holte sie nach vierjähriger Kindespause den Gatten noch einmal zurück (das war der erwähnte Erzherzog Rudolf).
Als Leopold nach nur zwei Jahren in Wien starb, zeigte sich sein Sohn, Kaiser Franz II,, der an sich kein grausamer Mensch war, von seiner schlimmsten Seite – er ließ Mutter und Kind trennen und Livia Raimondi nach Italien abschieben… Es mochte damit zu tun haben, dass alle Söhne ein besonders inniges Verhältnis zu ihrer Mutter hatten.
Die Jahre in Wien waren mit Organisatorischem vollgefüllt – zwar war in Frankfurt offenbar nicht vorgesehen, Maria Luisa auch zu krönen, dennoch ging sie als „Kaiserin Maria Ludovica“ in die Habsburgische Geschichte ein. Zur Königin von Ungarn und Königin von Böhmen (Krönungsoper in Prag: Mozarts „Titus“!) wurde sie allerdings gekrönt. Danach blieb nicht mehr viel Zeit – Leopold starb schon im März 1792, und seine Gattin folgte ihm zweieinhalb Monate später. Seit ihrem ersten Treffen 1765 waren sie einander gewissermaßen unzertrennlich verbunden, so dass anzunehmen ist, dass sie nach seinem Tod nicht weiterleben wollte.
Beide sind in schlichten Sarkophagen in der Toskana-Gruft der Kapuzinergruft beigesetzt. Vielleicht hätte Maria Luisa / Ludovica als wahre Stammmutter der Habsburg-Lothringer eine spektakulärere letzte Ruhestätte verdient. Immerhin bekam sie nun endlich eine würdige Biographie.
Renate Wagner