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REINHARDTSGRIMMA/ Schloss: PETER SCHREIER – EINMAL ANDERS.

Reinhardtsgrimma / Schloss: PETER SCHREIER – EINMAL ANDERS 16. 11. 2013


Peter Schreier

 Wer kennt ihn nicht als begnadeten Opern- und Oratorien-Tenor und als geistreichen Liedsänger. Peter Schreier hat über viele Jahrzehnte von Tokio bis Amerika alle Generationen gleichermaßen begeistert. Jetzt hat er sich vorwiegend aufs Dirigieren verlegt und ist immer noch unermüdlich aktiv.

 Lieder singt er leider nicht mehr, aber er hat sich seine intelligente Vortragskunst bewahrt. Im festlichen Rokokosaal des Schlosses Reinhardtsgrimma, wo im allgemeinen unter seiner Schirmherrschaft aller 2 Jahre „Schumanniaden“ auf den Spuren von Robert Schumann stattfinden, widmete sich Peter Schreier jetzt Schumanns Freund Felix Mendelssohn-Bartholdy und gestaltete zusammen mit seinem langjährigen Liedbegleiter und Konzertpianisten Camillo Radicke, der ihn auch bei seinen letzten Liederabenden in Wien mit Franz Schuberts „Winterreise“ stilvoll und einfühlsam am Flügel begleitete, einen niveauvollen literarisch-musikalischen Abend.

 Radicke spielte in einer sehr guten Auswahl, bei der sich Musik und Wort der von Peter Schreier vorgelesenen Briefe ideal ergänzten, aus Mendelssohns 48 „Liedern ohne Worte“ – ein Titel und ein Genre, die Mendelssohn wahrscheinlich für sich selbst erfand und die von anderen Komponisten, wie Tschaikowsky und Schönberg übernommen wurden – bekannte und weniger bekannte Stücke, von denen jedes seinen eigenen Charakter und sein eigenes Flair hatte.

 Für Radicke war seine technische Perfektion (nur) die unauffällige Grundlage für eine sehr einfühlsame, niveauvolle Gestaltung dieser kleinen lyrischen Kunstwerke, die aus einem tiefen Verständnis der Musik resultiert, und – was leider schon selten geworden ist – er stellte sich ideal auf den Raum ein und nahm die Lautstärke in dem Maße zurück, dass die sanglichen Melodien und Kantilenen dank seines klangvolles Anschlags ausschwingen konnten. Er versteht es, den Flügel wirklich zum Klingen zu bringen, betonte die romantische Seite im positiven Sinn und setzte seine große Palette an Klangfarben und pianistischen Ausdrucksmitteln vom kernigen Anschlag in temperamentvollen Passagen bis zur weichen Kantilene ein. Mit bewundernswerter Klarheit hoben sich die Melodien gegen die durchgängigen Begleitfigurationen ab, widmete er sich liebevoll den ausgefeilten Figurationen und brillierte in den kurzen Vor- und Nachspielen zur Melodie.

 Diesen „Liedern ohne Worte“ setzte Schreier Worte hinzu, indem er aus Mendelssohns Briefen las, die einen Einblick in dessen Leben in seiner Vielseitigkeit gestatteten, und in denen Mendelssohn über seine Hoffnungen und Zweifel hinsichtlich seiner Kompositionen berichtete, von Reiseeindrücken, familiären Verhältnissen und Stimmungen – ein Rückblick auf sein Leben und seine Persönlichkeit.

 Mendelssohn war nicht nur ein genialer Komponist, sondern auch ein guter Briefschreiber, dessen fast 5000 erhaltene Briefe ein eindrucksvolles Zeitdokument des 19. Jh. darstellen. Mit großer Sorgfalt, Stilsicherheit und Wortgewandtheit schrieb er an Verwandte und Freunde, Komponisten, Künstler, Verleger und vor allem Familienmitglieder – insbesondere an seine Lieblingsschwester Fanny (Hensel) und seine Frau Cecilie. Aus diesen lesenswerten Briefen hatte Schreier eine gut charakterisierende Auswahl getroffen und brachte damit in unterhaltsamer Weise dem sehr zahlreich erschienenen Publikum neben dem Komponisten auch den Menschen Felix Mendelssohn sehr nahe.

 Schreier las unprätentiös, mit schlichten Worten und nicht ohne Humor, wenn er z. B. Mendelssohns Meinung über Fannys Kompositionen vorlas. Felix schätzte die Kompositionen seiner Schwester durchaus, nahm auch einige ihrer Lieder in seine Liederzyklen auf, war aber gegen eine Publikationen unter ihrem Namen, denn „ein Weib taugt nicht für die Druckerschwärze“. Privat waren Fanny und Felix gleichbedeutende Musiker und Komponisten. Beide liebten die Musik J. S. Bachs und stritten über die Revolutionierung des Violinspiels durch Paganini. Für die Öffentlichkeit aber richtete sich der Bruder nach der damaligen Sitte und Konvention.

 Im abschließend vorgelesenen Brief, in dem Cecilie, Mendelssohns Frau, ihrer Schwägerin den plötzlichen Tod ihres Mannes mitteilte, klangen die Worte dann sehr nachdenklich.

 Es war ein Abend in fast familiärer künstlerischer Atmosphäre, den zwei Künstler aus zwei unterschiedlichen Generationen mit dem gleichen künstlerischen Verständnis auf sehr hohem Niveau gestalteten. Wort und Musik waren hier aufs engste miteinander verwoben und gingen oft (fast nahtlos) ineinander über.

 Die Dresdner wissen, warum sie immer wieder so zahlreich nach dem etwa 20 km entfernten Reinhardtsgrimma „pilgern“, denn dort finden unter der künstlerischen Leitung von Holger Gehring, dem Organisten der Dresdner Kreuzkirche, immer wieder sehr anregende, niveauvolle Veranstaltungen statt, für die sich der Weg lohnt.

 Ingrid Gerk

 

 

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