Reinhard G. Kratz
DIE PROPHETEN DER BIBEL
Geschichte und Wirkung
236 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2022
Reinhard G. Kratz ist Professor für Altes Testament an der Georg-August-Universität Göttingen, außerdem Leiter der dortigen Qumran- Forschungsstelle, weshalb die Schriftrollen vom Toten Meer in seinem Buch „Die Propheten der Bibel“ auch vielfach vorkommen. Das Werk ist 2003 schon als „Die Propheten Israels“ erschienen, galt als Standardwerk, ist vergriffen und erlebt nun in erweiterter Form seine Neuausgabe.
Der Autor postuliert, es sei in „allgemeinverständlichen Stil“ gehalten, was nicht wirklich stimmt. Wer meinte, ein populärwissenschaftliches Buch über ein interessantes Bibel-Thema in die Hand zu nehmen, wird immer wieder stecken bleiben, weil ihm der theologische Hintergrund fehlt.
Am leichtesten findet man sich auf der historischen Ebene zurecht. Das Buch bietet im Anhang eine Zeittafel, die das „Propheten“-Geschehen umfasst. Dieses beginnt im 18. Jahrhundert vor Christus in Altbabylonischer Zeit – der Autor blendet „vor“ die Bibel zurück, in den Alten Orient, wo Magie und Mantik (die Wahrsagekunst) bereits ihren festen Stellenwert hatten. Und die Zeittafel endet um 100 nach Christus, als die Septuaginta (die komplette griechische Übersetzung der hebräisch-aramäischen Bibel) das allgemein anerkannte Buch war, auf das sich das Christentum stützte.
Dazwischen liegt die Geschichte der Propheten, die nicht (wie man naiv glauben konnte) eine literarische Erfindungen waren, sondern reale Menschen, mehr oder minder in Priesterfunktion, und sie wurden „Mann Gottes“, „Seher“, „Wahrsager“, „Zauberer“, „Totenbeschwörer“ oder „Berufener Rufer“ genannt. Ihr besonderer Rang ergab sich aus ihren mystischen Begegnungen mit Gott (und den Botschaften, die sie dabei empfingen). Es heißt, dass manche von ihnen sich in ihren ekstatischen Gott-Schauungen wie Verrückte aufgeführt hätten. Der Gott war übrigens immer JHWH, jener Jahwe, wie ihn die Menschen anderer Religionen nennen, ein Name allerdings, den die Juden selbst nicht aussprechen dürfen
Dabei haben diese Propheten ihre Texte, wie der Autor klar macht, oft nicht selbst geschrieben, sondern ihre „Bücher“ waren das Werk von Interpreten, die sie niederschrieben und weiter ausschmückten. So erklären sich auch die verschiedenen Versionen einzelner Propheten-Überlieferungen (die Schriftrollen von Qumran haben hier wiederum Kommentare zu Prophetenbüchern zutage gefördert). Darüber hinaus wirft der Autor über die Entstehungsgeschichte, die Textgeschichte und die Rezeptionsgeschichte den literarischen Blick auf die Prophetenbücher.
Hätte man sich nun eine Art „Lexikon“ der berühmtesten Propheten der Bibel, des Alten Testaments, erhofft, wird man enttäuscht, das muss man anderswo suchen. Erzählt wird vielmehr allgemein die Ausbildung der prophetischen Überlieferung, die düsteren Prophezeiungen (etwa die Apokalyptik des Buches Daniel), und schließlich die Vielfalt der Propheten in den drei abrahamitischen Religionen – so ist Mohammed der Prophet Allahs (und ist laut Islam in den Himmel aufgefahren), Jesus wurde auch als erwarteter Prophet betrachtet (ist aber als Sohn Gottes für die Christen Gott), und die Juden haben sich von einst bis heute von den Propheten als unwürdig beschimpfen, aber auch über die Gnade Gottes trösten lassen. Und die Propheten mussten es ja wissen, denn sie hatten (das ist die Essenz ihres Wesens) den direkten Draht zu Gott.
Wem der Glaube für dergleichen fehlt, für den öffnet sich in der Religionsgeschichte einfach ein Stück faszinierende Historie über Menschen und ihren Glauben.
Renate Wagner