Regine Paril-Fellner
INGE KONRADI
Bilder aus einem Theaterleben
152 Seiten, ca. 60 Abbildungen. Verlag Lehner , 2021
Der Begriff „Volksschauspielerin“ passte ihr punktgenau – das bedeutet in Wien: Raimund und Nestroy, Dialekt und Humor, aber das wäre zu wenig, wenn nicht auch ein gutes Stück Lebenswahrheit und ein Quentchen Tragik dabei wäre. Inge Konradi hatte das alles. Ihr Christopherl im „Jux“, ihre Rosa im „Verschwender“ (immer an der Seite von Ideal-Partner Josef Meinrad) haben Wiener Theatergeschichte geschrieben.
So war es hoch an der Zeit, fast 20 Jahre nach ihren Tod zwischen Buchdeckeln an sie zu erinnern, wo das Publikum, das sie live kannte, älter wird und man sie vielleicht nur als grantige Oma in satirischen Fernsehfilmen von Xaver Schwarzenberger in Erinnerung hat, was zu wenig wäre, um ihre Besonderheit einzufangen. Dass sie eine kleine Frau mit dunkler Stimme war – daraus hat sie auf der Bühne das Maximum herausgeholt.
Regina Paril-Fellner, heute in der Josefstadt tätig (Dramaturgie und Archiv), schrieb ihre Diplomarbeit über Inge Koradi, und es war Prof. Helmut Krauss, die „Seele“ der Raimund- und Nestroy-Gesellschaft, der sich ein Buch daraus wünschte, das er nun leider nicht mehr erlebt hat. Aber es ist da, wenn auch aus Ersparnisgründen in kleiner Schrift „dünn“ gehalten, allerdings mit vielen Fotos, die zeigen, dass die Gesichter der Inge Konradi weit vielfältiger waren, als das Klischeedenken über sie einräumt.
Es ist eine rein theaterwissenschaftliche Arbeit, die sich auf ihre Bühnenauftritte in Wien (und Umgebung, wenn man die Festspiele einbezieht) beschränkt und ihre Filmarbeit (in den fünfziger Jahren) und spätere Fernsehauftritte nicht berücksichtigt. Biographisches gibt es nur am Rande, so weit sich der Mensch Inge Konradi in ihrer Theaterkarriere spiegelt (sie galt als „schwierig“ und war es wohl auch). Und da der Nachlass der Inge Koradi, so es einen gab, verschwunden ist, kann sich die Autorin hauptsächlich nur auf Zeitungskritiken stützen – und darauf, was über die einzelnen Theater in der jeweiligen Epoche bekannt ist.
Im Großen und Ganzen war Inge Konradi nur an zwei Wiener Hauptbühnen tätig, dem (Deutschen) Volkstheater und dem Burgtheater. Warum die am 27. Juli 1924 in eine sehr katholische Bürgerfamilie geborene Inge Schauspielerin werden wollte, erfährt man nicht, wohl aber, dass sie schon am Reinhardt-Seminar als besonderes Talent auffiel. Während des Krieges, 1940, kam sie ans Deutsche Volkstheater, bliebt dort bis 1952, hatte aber schon 1951 begonnen, am Burgtheater – das damals noch im Ronacher zuhause war – zu spielen. An der „Burg“ blieb sie bis1994, das ergibt nahezu viereinhalb Jahrzehnte auf Wiener Theaterbrettern.
Im Volkstheater diente sie sich mit kleinen Rollen hoch, bis sie sowohl als Komödiantin (Franziska an der Seite der Minna von Barnhelm der Judith Holzmeister) wie als Tragödin (Shaws „Heilige Johanna“, die sie mehrmals in ihrem Leben spielte) anerkannt war. Am Ende gab es im Volkstheater nicht nur die Eliza Doolittle von Shaw (an der Seite von Hans Jaray), sondern auch die ersten Nestroy-Rollen. Und sie war bei der von den Wienern wütend ausgepfiffenen Erstaufführung von Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ 1948 als Marianne dabei. Später sollte sie, als eine ihrer letzten Rollen, 1987 im Burgtheater, in diesem Stück die Valerie spielen.
Die Autorin zeichnet eindrücklich das Bild des Volkstheaters während des Krieges, wo die Nazi-Spitzel überall waren und die Situation für die Schauspieler, die sich nicht laut zum Regime bekannten, nicht leicht war. Auch ging die Ausbeutung der Darsteller sehr weit – Inge Konradi erzählte später, sie sei bis zu 300mal im Jahr auf der Bühne gestanden, „wie in einer Fabrik am Fließband.“
Am Burgtheater hat sie viele Direktoren erlebt, nicht alle haben sie gleich gut eingesetzt, bei Achim Benning erlebte sie eine künstlerische Durststrecke, und unter Claus Peymann, wo sie zu den „Unkündbaren“ zählte, die man nicht los wurde, verschreckte man sie mit Aufgaben, die sie nicht spielen wollte (sie gehörte zu den 70 [!!!] Darstellerinnen, die die Mitwirkung in Turrinis „Tod und Teufel“ ablehnten, bevor Gerhard Blasche nach endlosen Telefonaten eine willige Darstellerin in Deutschland auftrieb…)
Inge Konradi war Ende 20, als sie an das Burgtheater kam, anfangs „stimmten“ die Rollen auch altersmäßig (etwa die Christine in Schnitzlers „Liebelei“ an der Seite von Hans Moser, wenn man ihr auch sagte, dass sie absolut kein „süßes Mädel“ sei – dafür war sie eine Tragödin). Bald spielte sie Rollen, für die sie zu alt war oder die gar nicht zu ihr passten (etwa die Erna in Schnitzlers „Das weite Land“ oder mit fast 50 die junge Tochter Sonja in Tschechows „Onkel Wanja“).
Aber mag auch Interessantes und Gelungenes dabei gewesen sein (wie die Julie in Molnars „Liliom“ oder die Grusche in Brechts „Kaukasischem Kreidekreis“), Inge Konradi wusste selbst, dass sie mit den Raimund- und Nestroy-Rollen, zumal an der Seite Josef Meinrads (sie so klein, er so groß und schlaksig) für sich und das Publikum ihr ideales Fach gefunden hatte. Wobei ihre Rosa im „Verschwender“ eine Großleistung jenseits jeglichen Klischees war – nicht die lustige Soubrette, sondern schon anfangs eine Frau, die ihrem Valentin Saures gibt, und dann, als Ehefrau und Mutter, die eine Beleidigung nicht vergessen hat, von einer Härte, die regelrecht erschreckend war. Da holte sie aus Raimund noch Dimensionen heraus, die in dem Dichter stecken, die aber kaum jemand bemerkt…
Ihre widerborstige „Schwierigkeit“ kehrte sie hervor, als sie 1993 unter dem Regisseur Paulus Manker (der später peinlich böse Worte über sie fand) keinesfalls die Frau Muskat in „Liliom“ spielen wollte und schließlich „krankheitshalber“ aus der Produktion ausstieg. 1994 stand sie dann in einer unwichtigen Nebenrolle letztmals im Kasino auf einer Burtheater-Bühne. Am 4. Februar 2002 ist Inge Konradi gestorben.
Ein wirklich interessanter Aspekt des Buches sind die „Schlachten“, die Zeitungskritiker sich damals – fünfziger, sechziger, siebziger Jahre – lieferten, und es war die Epoche der berühmten Herren wie Hans Weigel, Friedrich Torberg, Piero Rismondo, Ernst Lothar, Oskar Maurus-Fontana, Peter Weiser und andere ähnlicher Größenordnung. Sie schrieben Verrisse, die heute wohl keiner mehr wagen würde, aber auch Hymnen – und sie widersprachen einander, dass etwa Paul Blaha die Worte fehlten, den Puck der Inge Konradi zu loben, während ihr Weigel vernichtend vorwarf, angestrengt und konventionell zu sein… Allerdings weist die Autorin auch darauf hin, dass diese Kritiken oft einen Subtext hatten, dass mit ihnen Theaterpolitik betrieben wurde und mit Hieben auf Regisseure und Schauspieler oft eigentlich die Direktoren gemeint waren. Insgesamt gab es weit mehr Zeitungen, weit mehr Persönlichkeiten an den Schreibmaschinen (die Konradi kratzte kaum an die Computer-Epoche), und irgendwie scheint das Theaterleben damals aufregender und interessanter gewesen zu sein als heute…
Am Ende noch Friedrich Torbergs so treffende Charakterisierung von Inge Konradi, die angesichts der Trauerfeier zu ihrem Tode zitiert wurde: „Sie hatte die kostbare Gabe, Natürlichkeit zu spielen, als ob es keine Kunst wäre.“ Auf ihrem Grab steht eine Figur, die ihr Ex-Gatte, der Bildhauer Wander Bertoni, geschaffen hat. Hier ist sie nicht als komische Raimund / Nestroy-Figur verewigt, sondern als Clown, wie sie ihn einst in „August August, August“ gespielt hat…
Renate Wagner