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REGENSBURG/ Theater: DER PINZ VON SCHIRAS von Joseph Beer

17.04.2024 | Allgemein, Operette/Musical

Joseph Beer: Der Prinz von Schiras • Theater Regensburg • Vorstellungen: 14.04. und 16.04.2024

(13. und 14. Vorstellung • Premiere am 16.12.2023)

«Happy and …»

Nach Joachim Raffs «Dame Kobold» in der Saison 2020/2021 bringt das Theater Regensburg wieder eine «Schweizer Rarität» zur Aufführung. Sebastian Ritschel, der bereits 2018 in Graz Joseph Beers «Polnische Hochzeit» inszenierte, bringt nun Beers Erstling «Der Prinz von Schiras» zur Deutschen Erstaufführung.

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Foto © Marie Liebig

Ritschel entdeckte die Partitur des Prinzen 2017 in einem Antiquariat und war seither bestrebt, den Prinzen dem Theater wieder zugänglich zu machen. Nach Auffinden von Textbuch und Originalnoten war noch die Editionsarbeit nötig und der Weg, den Prinzen von Schiras wieder aufzuführen, war geebnet. Und diese Tat kann nicht hoch genug gelobt werden.

Der Komponist Joseph Beer wurde im Mai 1908 in Chodorow nahe Lemberg (heute Lwiw, Ukraine) als Sohn eines Bankiers und einer jüdischen Mutter geboren. Beers Mutter entdeckte die musikalische Begabung ihres Sohns bereits in der Kindheit, als er zur Niederschrift seiner Kompositionen ein Notensystem zu entwickeln versuchte. Auch wenn Beer parallel zum Gymnasium in Lemberg das dortige Konservatorium besuchen durfte, hatte ihn sein Vater zum Studium der Jurisprudenz bestimmt. Nach einem Jahr aber konnte Joseph seinen Vater überzeugen, ihm das Ablegen der Aufnahmeprüfung an der Wiener Staatsakademie für Musik (heute Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) zu erlauben. Als Joseph bestand, die ersten vier (!) Jahre überspringen konnte und gleich in die Meisterklasse des Komponisten Joseph Marx aufgenommen wurde, war auch der Vater überzeugt. Nach dem Abschluss des Studiums 1930 wurde Beer von der Wiener Ballett-Kompanie Rainer Simons, die Tourneen durch Österreich, Europa und den Mittleren Osten machte, als Chorleiter und Dirigent angestellt. Auf einer dieser Tourneen wurde Beer in Palästina von einem komponierenden Kollegen gebeten, einige seiner Kompositionen dem Librettisten Fritz Löhner-Beda vorzuspielen. Als Beer aus diesem Grund bei Löhner-Beda war, bat er auch darum, eigene Kompositionen vorspielen zu dürfen. Von den Kompositionen des Komponisten aus Palästina war Löhner-Beda nur mässig begeistert. Von den Werken Beers dagegen so sehr, dass er sich ihm als Librettist und Agent zu Verfügung stellte. Damit erhielt Beers Karriere einen gewaltigen Schub, denn als führender Librettist seiner Zeit machte Löhner-Beda Beer mit allen wichtigen Leuten bekannt. So konnte er seinen Operetten-Erstling, den «Prinz von Schiras» am 31. März 1934 am Stadttheater Zürich uraufführen. Der Startenor Richard Tauber sass im Publikum (cf. weiter unten), die Uraufführung wurde auf Mittelwelle am Radio übertragen. Wahrscheinlich sass Familie Beer in Chodorow am Radio. Ebenfalls am Stadttheater Zürich, am 26. April 1937, wurde Beers zweites Werk, die «Polnische Hochzeit» uraufgeführt. Als auch dies ein Grosserfolg wurde, übersetzt in acht Sprachen und mit vierzig Folgeproduktionen, planten das Pariser Châtelet und das Theater an der Wien Produktionen mit Martha Eggert, Jan Kiepura und Richard Tauber. Nun aber beendete die Geschichte jäh Beers Karriere.

Mit dem Anschluss Österreichs ans Dritte Reich wurden die Pläne der Aufführung der «Polnischen Hochzeit» am Theater an der Wien obsolet. Die sofortige Übernahme und Anwendung der Rassengesetze hatte fatale Auswirkungen, nicht nur auf Beer sondern auf den ganzen Bereiche der Operette, bis hin zu den Verlagen. Maurice Lehman, Direktor des Théâtre du Châtelet verschaffte Beer ein Visum für Frankreich. Bis Deutschland 1940 Paris besetzte, hielt sich Beer mit der Erstellung von Arrangements von Orchesterwerken über Wasser und schrieb sich an der Sorbonne ein. Mit Kriegsbeginn hatte sich die Chance der Aufführung der «Polnischen Hochzeit» am Châtelet zerschlagen. 1940 floh er dann zu seinem Bruder Joachim nach Nizza, die Pläne einer Emigration in die USA hatten sich zerschlagen, und tauchte bis Kriegsende in Nizza unter. Nach dem Krieg gelang es Beer nicht, seine Karriere fortzusetzen. Zur Ermordung von Vater, Mutter, Schwester und Löhner-Beda im KZ Auschwitz (und dem mutmasslichen Tod von Serge Abranovic im Ghetto von Warschau) kam die Frustration über die Beschlagnahmung der Tantiemen durch das Dritte Reich, die ausgebliebene Entnazifizierung im Musikwesen und der Misserfolg von «Stradella in Venedig», als «Stradella» am 23. November 1949 am Stadttheater Zürich uraufgeführt: Beer zog sich aus der Öffentlichkeit zurück, heiratete die Holocaust-Überlebende Hanna Königsberg und lebte in Nizza. 1966 doktorierte Beer («Die Entwicklung des harmonischen Stils in den Werken von Scriabin») an der Sorbonne. Bis zu seinem Tod am 23. November 1987 arbeitete Beer an seinen Spätwerken «Mitternachtssonne» und «La Polonaise» (Überarbeitung der «Polnischen Hochzeit»): er blieb sein Leben lang, trotz widrigsten Umständen, der Musik, die ihm auch die schwierigsten Zeiten half, treu.

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Foto © Marie Liebig

Wenige Wochen vor der Uraufführung des Prinzen von Schiras erlebte Lehárs Alterswerk «Giuditta» an der Wiener Staatsoper seine Uraufführung. In diesem Umfeld galt Beers Erstling als Überraschungswerk und Beer wurde die Fähigkeit zugeschrieben, den auf dem Gebiet der Operette anstehenden Generationenwechsel herbeizuführen: «Als sich nach dem zweiten Akt der vierundzwanzigjährige Beer mit seinen verdienten Helfern zwischen verschwenderisch reichen Blumenspenden ungezählte Male für den begeisterten Beifall bedanken durfte, wusste man, dass ein neuer Man» in der Operette Fuss gefasst hatte. Ein neuer Mann, aber kein Neuerer. Beer, der wie so viele Operettenkomponisten von der ernsten Musik herkommt, hatte nicht den Ehrgeiz, eine Reformoperette zu schreiben. … Erstaunlich sicher beherrscht der jugendliche Debütant das Orchester. Moderne Tanzschlager in Jazzfärbung gehen ihm ebenso schmissig und rhythmisch prägnant von der Hand, wie er für die gut liegende» Singstimmen gefällige Kantilenen und klangvolle Begleitungen findet. Das Libretto, ein persisches Gegenstück zum chinesischen „Land des Lächelns“, ist reichlich mit Exotismen durchsetzt, was auch dem Komponisten Gelegenheit gibt, die Schleusen des Operetten-Orients zu öffnen. Er tut es mit einem Geschmack, der dem einen Vorbild, Lehar, alle Ehre macht. Aber auch aus noch frischeren Quellen ist die «Schiras-Musik» in ihren besten Strömungen gespeist: in einem farbigen Haremstanz reflektieren die bezaubernden Klangmischungen von Bizets «Arlésienne», und das famose Fugato eines Zwischenspiels verrät klassische Schulung. Gerade solche nicht speziell auf Reisserwirkung angelegte Nummern lassen die Vermutung zu, dass man Beer einst auch auf dem Gebiete der Oper begegnen wird. Der Übergang dürfte ihm bei seinem erstaunlichen Können schon, jetzt nicht schwer fallen.» (Kritik zur Uraufführung im Morgenblatt der NZZ vom 3. April 1934). Von einer besonderen Wirkung der Uraufführung weiss auch das «Jahrbuch 34/35 des Zürcher Stadttheaters» zu berichten: Die Operette wurde sofort für London angekauft.

Die Uraufführung am Stadttheater war trotz ihrer Verschiebung – auf Grund einer Erkrankung Alfred Rauchs; statt der Uraufführung kam Paul Abrahams «Ball im Savoy» zur Aufführung – ein voller Erfolg für Beer. Der Kritik der NZZ weiss zu berichten: «Wie Abranowicz [Sergej Abranowicz, auch Sergei Abranovicz oder Serge Abranovic, damals „Caruso der Operette“ gefeiert] die hochgelegte Partie des Nadir sang, unter höchst effektvollem Einsatz von Brust- und Kopfstimme den Schlager „Du bist der selige Traum“ in dreimaliger variantenreicher Wiederholung an den Souffleurkasten trug, das brachte nicht nur die Zürcher in Bewegung, sondern entlockte auch Richard Tauber, der in einer Loge saß, lebhaften kollegialen Beifall.» «Der Prinz von Schiras» erlebte am 20. November 1934 im Theater an der Wien seine Wiener Erstaufführung und wurde in weiteren europäischen Städten wie Linz, Salzburg, Madrid, Stockholm und, man höre und staune, in der Saison 1933/1934 am Städtebundtheater Biel-Solothurn (heute TOBS; für den 21. Februar 1934 ist ein Gastspiel des im Stadttheater Olten belegt) gespielt.

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Foto © Marie Liebig

Wie schon erwähnt bringt Intendant Sebastian Ritschel (Inszenierung & Kostüme), der bereits 2018 in Graz Joseph Beers «Polnische Hochzeit» inszenierte, nun Beers Erstling «Der Prinz von Schiras» zur Deutschen Erstaufführung. Ritschel inszeniert die Geschichte als Revue, Altmeister Barrie Kosky lässt grüssen, und gibt der Operette, was der Operette gebührt. Kristopher Kempf hat ihm dazu, inspiriert vom Geschenk der Wiederentdeckung und -aufführung des Stücks, ein grosses Geschenk auf die Drehbühne gestellt. Mit dem Fortgang der Geschichte und den immer stärkeren emotionalen Wirren öffnet sich das Geschenk und gibt im Zweiten Akt die Rosen von Schiras frei, bis es im dritten Akt lieblos geöffnet, mit aufgerissenem Papier dasteht und der Aufschrift «Happy and…» zu weiteren Gedanken animiert. Die vom Libretto vorgegebenen, unterschiedlichen Handlungsorte wie das Promenadendeck und die Bar eines Luxusdampfers, den Empfangssaal im Schloss des Prinzen von Schiras, das Harem des Prinzen im Bergschloss und die Hazienda Violets in Alabama  sind schlüssig umgesetzt. Ist das nun ein «Happy end» oder ein «Happy and»? Ob Violet mit dem Verzicht auf die Scheidung glücklich wird?

Gabriel Pitoni (Choreografie) hat mit der Tanzcompany Theater Regensburg grossartige Arbeit geleistet: die subtilen Choreographien, ästhetisch wie athletisch auf höchstem Niveau getanzt, sind das Sahnehäubchen auf den Abend.

Nicht minder eindrücklich ist die Leistung des Philharmonisches Orchester Regensburg unter Andreas Kowalewitz. Die gut 30 Musiker bringen die herrlichen Rhythmen und superben Farben in Beers Partitur mit grossem Schmiss und nicht zu übersehender Spielfreude zu Gehör.

Die enorm schwierige Partie des Prinz Nadir von Schiras ist bei Carlos Moreno Pelizari in guten Händen. Mit guter Mittellage, etwas engeren Höhen, gutem Atem und viel Schmelz gelingt ihm eine eindrückliche Interpretation. Theodora Varga gibt Jasmine, die Schwester des Prinzen, mit scharf geführtem Sopran und verbesserungsfähiger Textverständlichkeit. Kirsten Labonte kann als Miss Violet Colton leider nur bedingt überzeugen. Mit weisser Kurzhaarfrisur und Hosenanzug entspricht sie optisch nicht dem Typ der Operettendiva; die Stimme ist zu eng, eintönig und spitz geführt. Michael Haake macht die eigentlich undankbare Rolle von Violets Verlobtem Harry Hastings zu einem wahren Kabinettstückchen. Scarlett Pulwey als Violets Gesellschafterin Nell Anthony und Paul Kmetsch als Jimmy Winterstein bringen das junge Pärchen mit Verve und grosser Spielfreude, wie man es sich intensiver kaum vorstellen kann. Matthias Störmer als Vicomte de La Motte-Latour bleibt eher blass. Mit dem vierten, «über Kreuz besetzten» Pärchen (Fabiana Locke als Hassan und Felix Rabas) Fatme genehmigt die Regie dem Stück noch etwas Queerness. Roger Krebs als Der Kapitän, Christiana Wimber als Erster Offizier, Donggun Seo als Graf Mitjutani, Andrea Dohnicht-Pruditsch als Erste Dame, Gertrud Judenmann als Zweite Dame, Thomas Lackinger als Erster Herr und Christian Schossig als Zweiter Herr ergänzen das ausserordentlich spiel- und sangesfreudige Ensemble.

Ein Geschenk!

Weitere Aufführungen: 16.04.2024, 19.30–22.00; 21.04.2024, 18.00–20.30; 30.05.2024, 19.30–22.00.

Zusatz-Vorstellungen: 02.06.2024, 18.00–20.30; 18.06.2024, 19.30–22.00.

19.04.2024, Jan Krobot/Zürich

 

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