Rainer Metzger
WILLKOMMEN IN WIEN
So haben Marc Aurel und Yoko Ono, Maria Theresia Paradis und Thomas Bernhard und viele weitere die Stadt erlebt
192 Seiten, Molden Verlag, 2021
Das Buch wirkt einladend. Ein römischer Kaiser und eine japanische Künstlerin (und noch dazu Beatles-Gattin), ein grimmiger oberösterreichischer Dichter – Gäste in Wien, könnte man meinen. Freilich, da steht auch Maria Theresia Paradis im Untertitel, und die war ja nun wohl Wienerin, hier geboren, hier gestorben (und viele Menschen, denen hier Kapitel gewidmet sind, desgleichen), wie also wie passt da der „Willkommen“-Titel, der doch auf Gäste zu verweisen scheint? Sagt man „Willkommen“ zu Leuten, die hier leben und sterben? Da liegt der Fokus des Buches wohl anders. Aber wo?
Rainer Metzger hat, wenn man ihn in Wikipedia nachschlägt, eine beeindruckende Fülle von Veröffentlichungen aufzuweisen, Kunsthistoriker, der über Klimt schrieb und Christian Ludwig Attersee, mehrfach auch über Wien um 1900, man kann den Deutschen, der in Karlsruhe lehrt, also als Fachmann betrachten (erhoffen). 25 Porträts bietet er zum Thema Wien-Betrachtung an, darunter viele Frauen. Ein Konzept ist nicht zu erkennen, aber vielleicht ist es ja die Diversität, um die es gehen soll.
Solche Bücher liest man nicht notgedrungen der Reihe nach, sondern nimmt sich zuerst Kapitel her, die einen persönlich mehr interessieren als andere. Aber wenn der Vorspann zu Marc Aurel einzig von Karl Kraus („Wiens zuverlässiger Bonmont-Produzent“ genannt, wofür sich der Betroffene vielleicht bedankt hätte) handelt, wenn die Einleitung zu Meister Pilgram von den Manner-Schnitten erzählt, wenn man zu Kartograph Hoefnagel nur über den Fußballer Matthias Sindelar kommt, dann merkt man schon, dass dieses Buch „anders“ gepolt ist.
Also geht man zur Einleitung, wo man sich gleich schwer tut. Nicht, wegen der klassischen Beschimpfungen – „Unterwürfigkeit, Beflissenheit, Bereitschaft zur Denunziation“ wird, ausgehend vom „Grüße Sie“ eines Kellners geschlossen, das sei jedermann eingeräumt. Auch dass der Autor bei Johann Strauß darauf hinweist, „Er hat irgendetwas mit einem Film zu tun“ (obwohl sich der Donauwalzer in Kubricks „2001. Odyssee im Weltraum“ nicht mit der Wirkung des „Zarathustra“-Beginns des anderen Strauss vergleichen lässt – auch wenn es nur die ersten Töne sind, nur diese Melodie ist es, die man hier verbindet, Johann Strauß ist anderswo zuhause). Das sind eben individuelle Interpretationen, vielleicht auch die falsche, ja total falsche Erklärung eines „Capua der Geister“: Nicht, dass diese Stadt sich Hannibal verräterisch zuwandte, ist damit gemeint, sondern dass dort die absolut besten Gladiatoren des Römischen Reichs ausgebildet wurden – auf das Geistige übertragen, ist Capua einfach der Ort, wo das Optimale entsteht…
Als Ergebnis seiner Biographien bietet der Autor übrigens an, man könne sich durch die Lektüre seines Buches das Live-Wien-Erlebnis sparen: „Das Buch bietet (…) Stadtreise statt Reise. Aus hygienischen Gründen – und für die persönliche CO2-Bilanz kann es auch nicht schaden, wenn der Besuch sich auf die Lektüre beschränkt.“
Es gibt auch noch andere Schlussfolgerungen: „Das allerletzte Wort, das Karl Kraus in der Fackel zu Papier brachte, es war im Jahre 1935, ist „Trottel“. Das letzte Wort in den Selbstbetrachtungen Marc Aurels ist „heiter“. In der Kombination von beidem hat die Wiener Seele ihr Refugium.“
Verzeihung, darauf muss man einmal kommen… alles, was hier geleistet wurde, spielt sich bei heiteren Trotteln oder vertrottelten Heiteren ab?
Die „Zeitzeugenschaft“ durch die gewählten Figuren, die in der Auswahl total willkürlich (allerdings chronologisch) an einander gereiht sind, wird man auch bei ehrlichem Bemühen nicht finden, es sind einfach Geschichten, mit vielen Ausschweifungen erzählt. Sie bieten sicherlich Wissen, gehen aber selten über Bekanntes hinaus. Und – ehrlich, was sagt es über Wien aus, dass Yoko Ono und John Lennon für eine Nacht im Sacher eintauchten, eine skurrile Pressekonferenz gaben und ein angebliches Interview für André Heller, das nicht zu beweisen ist, weil es kein Zeugnis davon gibt? Wäre dergleichen nicht in jedem anderen Großstadthotel genau so gelaufen?
Da ist dem Autor kreuz und quer alles Mögliche eingefallen, und das Wien-Thema als Spezifikum ist oft nicht zu finden. Wie die Geschilderten die Stadt erlebt haben (oder welchen Mehrwert der Leser aus der jeweiligen Betrachtung der Stadt ziehen könnte), erschließt sich nicht.
So fröhlich-locker, wie die Zeichnungen von Anna Frohmann jedes Kapitel mit Porträts und flottem Text einleiten, so scheint das Ganze auch gemeint. Das Zusammenklauben von vielen Klischees kommt der Stadt mit all ihren Verwerfungen und Untiefen allerdings nicht wirklich erkenntnisreich nahe.
Renate Wagner