Puccini: MANON LESCAUT
Netrebko, Eyvazov
Live Recording Salzburger Festspiele 2016
Deutsche Grammophon 2 CD
Wird am 1. Dezember 2016 veröffentlicht
Trotz der bloß konzertanten Aufführung von Manon Lescaut bei den diesjährigen Salzburger Festspielen ging es vorab primär um die Ankündigung visueller Attraktionen. In der Hauptsache drehte es sich um die sternenfunkelnde Robe der Diva, verwandtschaftliche Verhältnisse zum Tenor und Societyklatsch. So war zu lesen, dass für den dreilagigen Rock Netrebkos 40 Meter Seidenrips, 60 Meter Seidenorganza und 120 Meter Tüll verarbeitet wurden. Auf den schwarzen Stoffschichten funkelten 35.000 Kristalle. Allein 120 Stunden dauerte es, bis diese auf dem Stoff fixiert waren. Um den Effekt zu verstärken, ist Netrebko auf einer schwarzen Lackbühne gestanden und konnte sich darin spiegeln. …Auch im Nachhinein fand dieser außermusikalische Hype in manchen Kritiken wortreichen Niederschlag: Die FAZ sprach von der „Kristallbestickten Frau in der Wüste“ und dem ganz großen „Opernkino“, eine „Stimme überstrahlt zigtausend Kristalle“, meinte der Standard oder „Sie kam ,sah und funkelte“
Nun ist der rein akustische Mitschnitt der Aufführung fertig von der Deutschen Grammophon produziert und alles Rundherum muss der Frage weichen, wie war die Aufführung nun denn wirklich abseits aller gesellschaftlichen und optischen Nebengeräusche? Die Mikros wirken ja wie Lupen, unter denen Höhenflüge, aber auch gnadenlos Defizite nachvollziehbar werden. Fazit: Grosso modo war die Aufführung musikalisch gut, wenngleich keineswegs modellhaft oder von geschlossen außerordentlicher Qualität. Grundsätzlich spektakulär war Manon Lescaut in Salzburg 2016 nur dann, wenn sich Anna Netrebkos Spinto in lichte Höhen aufschwang und die russische Sängerin mit Stimmfarben, gleißender Intensität und dem ihr eigenen Ursinn für Dramaturgie brillierte. In den ersten beiden Akten klingt Netrebkos Stimme in Tiefe und Mittellage noch bisweilen steif und so manche Schleifer und Unsauberkeiten in der Intonation sind zu konstatieren. Ab dem dritten Akt und zunehmender dramatischer Emphase freilich ist Netrebko Weltklasse und die wie mächtige Nordlichter aufleuchtenden Höhen sind schlichtweg sensationell. Trotz schöner Piani kann sie allerdings mit den vokalen Finessen der ebenfalls auf Tonträger erhaltenen Interpretationen einer Caballé oder Scotto nicht mithalten.
Ihr zur Seite gibt sich Ehemann Yusif Eyvazov alle Mühe, der enorm anspruchsvollen Partie des Cavaliere Renato Des Grieux gerecht zu werden. Mit Stentorstimme und mehr Kraft als Stil fällt sein musikalisches Porträt eher ungeschlacht und deftig aus. Eyvazovs Tenor mit kurzem Vibrato und bisweilen scharfem und gestemmten Höhen bleibt Geschmackssache und erinnert vom Typ her an Aldenhoff oder Usunow, ohne deren Profil zu erreichen. Auch er singt sich im Laufe des dritten und vierten Aktes frei und kann sich im Aufschrei „Ah! Non v’avvicinate, ché vivo me, costei nessun strappar potrà“ zu großer Glaubwürdigkeit aufschwingen. Aber ob diese wenigen „echten“ Momente genügen, über ein „Traumpaar“ der Oper zu kreieren, ist eine andere Frage.
Carlos Chausson als Geronte di Ravoir, Armando Pina als Lescaut als auch der Rest der Besetzung singen rollendeckend, ohne aufhorchen zu lassen. Das Münchner Rundfunkorchester unter Marco Armiliato blüht vor allem in der großen Emphase auf, das Zwischenspiel gerät ganz hervorragend, in den parlando Passagen im ersten Akt kommt manches holprig und unpräzise daher.
Auch vom Klang her überzeugt mich die Aufnahme nicht. Präsente Stimme stehen einem eher pauschal klingenden Orchester gegenüber, die Balance hätte hier ruhig mehr „Instrumentales“ vertragen. So ist und bleibt dieser Mitschnitt ein Dokument eines stimmungsvollen Salzburger Festspielabends. Die definitive Manon Lescaut Einspielung mit Gesangspartner auf Augenhöhe ist uns Anna Netrebko noch schuldig.
Dr. Ingobert Waltenberger