Melanie Diener, Oleg Korotkov, Sebastian Holecek. Copyright: Prag/ Nationaltheater
Prag/ Nationaltheater: „FIDELIO“ – 22.9.2018 – Neuinszenierung
Es erklingt die Ouvertüre, vor dem Revuevorhang steht ein Weib im weißen Kleid rückwärts zum Publikum, einen Rucksack auf dem Rücken. Sie dreht sich um, zieht ihr Kleid aus und zieht einen unansehnlichen abgetragenen Anzug eines Installateurs an. Sie flicht ihren Haarknoten auseinander, dann wieder zusammen, setzt sich eine Mütze auf – ein junger Mann ist da! Im Ständetheater in Prag beginnt die Premiere von Ludwig van Beethovens „Fidelio, in jenem Gebäude, in dem diese Oper einst Carl Maria von Weber und später Gustav Mahler dirigierten. Heute steht am Pult Andreas Sebastian Weiser, die Regie ist in den Händen von Vera Nemirova.
Die szenische Gestaltung des Vorspiels und seine musikalische Aufführung lassen erahnen, dass diese Inszenierung nicht so ein Beethoven sein wird, wie wir uns es wünschten. Das Orchester der Staatsoper, obwohl aus hervorragenden Musikern zusammengesetzt, interpretiert unter dem Taktstock von A. S .Weiser die Partitur ausdrucklos, mit wenig ausgearbeiteten Phrasen und zu kleinen dynamischen Kontrasten; einige Themen sind undeutlich (z.B. im Rezitativ der Leonore oder in ihrem Duett mit Rocco). Nur selten gelang eine wirkungsvolle musikalische Fläche, wie am Anfang des ersten Quartetts. Das Auslassen der Ouvertüre N. 3 zu Leonore vor dem zweiten Finale muss man bei diesem musikalischen Niveau dankbar quittieren.
Melanie Diener, Daniel Frank. Copyright: Prag/ Nationaltheater
Die Rollen wurden überwiegend mit ausländischen Gästen besetzt, aber außer den Wienern, dem ausgezeichneten Sebastian Holecek in der Rolle Don Pizarro und Paul Armin Edelmann als Don Fernando, haben sich die Sänger mit ihren Partien nicht immer leicht getan. Daniel Frank in der Rolle des Florestan disponiert über eine schöne schlagfertige Stimme und könnte mit einem anderen Dirigenten und Regisseur zweifellos nicht nur ein qualitätsmäßiger, sondern sogar vorzüglicher Florestan sein. Doch hier war er zum unempfindlichen Umgehen mit der Stimme verurteilt und gerade seine Gestalt wurde durch die Regieführung am meisten deformiert. Melanie Diener als Leonore hat eine schöne dramatische Stimme mit kräftigen Höhen, aber nur auf ihnen steht die Rolle nicht. Die Mittellage könnte mehr intonationssicher sein, einige höhere Töne klangen unangenehm scharf und die tiefen unausgeglichen. Marzelline wurde von Felicitas Fuchs auch gesanglich verlässlich dargestellt, gleich wie Jaquino durch Josef Moravec. Oleg Korotkov gab dem Rocco zwar die Sonorität seiner Stimme, jedoch kämpfte er mit der deutschen Sprache. Keines der Ensembles hatte aus der Sicht der Einheit und Erarbeitung die nötige Qualität erreicht.
Sebastian Holecek dominierte den Gesangsleistungen eindeutig. Den Pizarro stellte er mit einem bewundernswerten Einsatz und vor allem mit der stimmlichen Sicherheit seines schönen, kräftigen, in allen Lagen voll klingenden Baritons dar. Seine Arie und das Duett mit Rocco waren die Höhepunkte des Abends. Durch seine angenehme Stimme und den ausgeglichenen Gesangsausdruck gab Paul Armin Edelmann dem Don Fernando Würde.
Der vielmals bewährte Chor der Staatsoper, einstudiert von Adolf Melichar, hat diesmal seine Partien nur durchschnittlich aufgeführt. Der Einleitungschor der Gefangenen hat sogar den Eindruck gemacht, als ob seine Mitglieder sich erstmals kurz vor der Premiere getroffen haben. Die Unfähigkeit, den ersten Ton der Phrasen verlässlich zu beginnen, war befremdend. Die Soloauftritte der zwei Gefangenen steht außer aller Kritik.
Vera Nemirova traut der Musik von Beethoven nicht. Sie beschäftigt ununterbrochen die Sänger mit unsinnigen Aktionen und lenkt so die Aufmerksamkeit vom gesungenen Text ab. Gleich in der ersten Szene muss Marzelline mit Tellern und Tassen herumlaufen und die Jause vorbereiten, anstatt ruhig Wäsche plätten. Die Standardzeitverschiebung in die unansehnliche Gegenwart, auf der Szene und in Kostümen durch Ulrike Kunze verwirklicht, sagt und bringt nichts Neues. Der Plafond im Kerker ist eine durchsichtige Fläche der Dachfenster, in der von Zeit zu Zeit Neonlicht aufleuchtet. Statt einer tiefgelegenen Zelle evoziert sie eine Mansarde, wo Florestan im Trainingsanzug einen Haufen von Papieren durchwühlt, anscheinend im Bestreben, ein belastendes Material gegen Pizarro zu finden.
Durch die unlogisch dazugegebenen Aktionen sind auch die natürlichen menschlichen Beziehungen deformiert. Als Florestan nach zwei Jahren wieder seine Gattin trifft, zeigt er keinerlei Freude, beim Duett mit Leonore steht er abseits und beschäftigt sich immer mit seinen Schriftstücken: statt einer kräftigen Persönlichkeit wird er zum unsympathischen Verrückten. Leonore dagegen wirkt durch die Regie und Kostümierung eher wie seine Mutter.
Der Höhepunkt der Geschmacklosigkeit kommt im Quartett des 2. Aktes. Als Leonore bei Abwehr von Florestan dem Pizarro ihre wirkliche Identität offenbaren will, zerreißt sie mit den Worten „Töt´ erst sein Weib“ ihre Jacke vorne und streckt ihren (Gott sei Dank nicht entblößten) Busen zu Pizarro heraus. Die Zuschauer lachen selbstverständlich. Bevor sich das Publikum nach diesem Schock wieder fassen kann, kommt der weitere – aus der Versenkung fährt ein halbnackter Trompeter herauf und bläst die Fanfare, die Ankunft des Ministers ankündigend. Nachher fährt er wieder runter ab. Jetzt lachen die Zuschauer nicht nur, sondern sie applaudiern auch ironisch. Das Drama ist weg, aber das macht nichts, um sein Erfassen geht es der Regisseurin allem Anschein nach nicht. Zum Schluss fahren Leonore (nachdem sie leidenschaftlich Marzelline geküsst hatte) und Florestan (unbeteiligt irgendwas in den Händen knitternd) auf den weißen Stühlen über die sich vergnügende Menge auf; in den Logen feiern nicht nur der Minister und die festlich angezogene Noblesse, aber siehe da! – auch Pizarro!
Schluss-Szene: Melanie Diener, Paul-Armin Edelmann, Daniel Frank. Copyright: Prag/ Nationaltheater
Fidelio, diese hinreißende Beethovens ´Ode an die Freiheit, ist durch die Schuld der flachen musikalischen Einstudierung und der ewig störenden Regieeinfälle nicht so würdig ausgeklungen, wie es im Prager Nationaltheater sein sollte. Die Entlohnung dafür war ein lauer Applaus für die Regisseurin und den Dirigenten, gemischt mit vereinzelten Bravo- und Buhrufen.
Gabriela Spalkova