Posen – Teatr Wielki, Parsifal 18. Oktober 2013 (Premiere)
Amfortas, Kundry. Fotocopyright: Katarzyna Zalewska
Wagner und Polen, das ist eine besondere Geschichte. In seinen frühen Jahren sympathisierte Richard Wagner aufgrund seines revolutionären Gedankenguts natürlich mit den östlichen Nachbarn, speziell in ihrem Freiheitskampf gegen Russland nahm er ihre Position ein. In seiner Leipziger Zeit schrieb er damals sogar zwei Polonaisen für Klavier, welche auf die traditionelle polnische Musik Bezug nahmen. Seine „Politische Ouvertüre“ aus dem Jahr 1830 wurde auch als „Polnische Ouvertüre“ bezeichnet und natürlich muss auch sein Orchesterwerk „Polonia“ (1836) genannt werden.
Was die Aufnahme seiner Opern durch das polnische Publikum anging konnte man im 19. Jahrhundert von einer regelrechten Erfolgsstory sprechen. Sein „Tannhäuser“ schaffte es schon 1867 auf eine dortige Bühne, nämlich jener von Lvov, aber auch in Warschau waren Wagners Bühnenwerke sehr populär. Auch das deutschsprachige Theater von Posen hatte sowohl vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs als auch danach alle seine wichtigen Werke im Repertoire. Nach dem 2. Weltkrieg gab es klarerweise einen totalen Stillstand und es dauerte bis zum Jahr 1956, als Lohengrin in Warschau aufgeführt wurde, im selben Jahr folgte Posen mit einer Produktion des „Fliegenden Holländers“. Die Vereinnahmung Richard Wagners durch die Nationalsozialisten und das Naheverhältnis des Wagner-Clans belasteten klarerweise die Sicht der polnischen Opernhäuser und deren Besucher auf sein Oeuvre. Wenn es Inszenierungen gab, blieben diese sehr konservativ und erst in den letzten Jahren 10 Jahren öffnete man sich für moderne Sichtweisen. Und damit verliert auch das (ironische) Wort Woody Allen’s aus seinem „Manhattan Murder Mystery“ immer mehr an Bedeutung : „Jedesmal wenn ich Wagner höre bekomme ich Lust in Polen einzumarschieren!“
Renata Borowska-Juszczyńska, die Direktorin des Teatr Wielki in Poznan (Posen), ging ausgerechnet im heurigen Jubiläumsjahr das Wagnis ein, an ihrem herrlichen Haus (1910 von Max Littmann erbaut, Fassungsvermögen über 800 Plätze), eine außergewöhnliche Sicht auf Parsifal, das letzte Werk Richard Wagners, zu präsentieren:. Das Regiekonzept übertrug sie der seit 1985 bestehenden dänischen Gruppe „Hotel Pro Forma“, deren Hauptakteure die Regisseurin Kirsten Dehlholm und Choreograph Jon R. Skulberg sind. Aufmerksamkeit zog „Hotel Pro Forma“ in jüngster Vergangenheit mit seinen Inszenierungen im Opernhaus von Riga (u.a. Rienzi) auf sich, mit ihrem Engagement wollte Poznan sich aus dem Einheitsbrei der sogenannten polnischen „Provinztheater“ hervorheben. Eine mutige Entscheidung, denn das Regieteam bekannte im Vorfeld der Aufführung freimütig die Musik des Parsifal zuvor nicht gekannt zu haben!
Und das merkte man an diesem Abend leider allzu sehr. Für mich sind Inszenierungen, die man nur nach dem Lesen des Programmheftes versteht, eine glatte Themenverfehlung und ungenügend. Noch schlimmer war es aber hier, denn diesmal hatte der Zuseher, der Parsifal das erste Mal sieht, auch nach der Lektüre der theoretischen Schriften und Anmerkungen des Leading-Teams keine Chance, die Handlung und den Inhalt zu verstehen. Und das lag nicht an der mangelnden Textdeutlichkeit der Sänger! Im Gegenteil, die war nämlich vorbildlich. Für einen Parsifal-gewohnten Rezensenten ergaben sich zwar interessante neue Einblicke und nette Regiegags, aber das Geheimnisvolle und Symbolhafte des Bühnenweihspiels ging leider fast vollständig verloren.
Ein paar Beispiele gefällig? Der Speer, den Klingsor im zweiten Akt Richtung Parsifal schleudert, erweist sich als Meteor, der auf der Erde einschlägt – er soll die übernatürlichen Kräfte repräsentieren. Die Rollen von Kundry und Parsifal werden quasi gedoppelt, eine stumme Figur agiert im Hintergrund der Sänger, bei Parsifal übernimmt diese Funktion ein Schauspieler, der in der Gebärdensprache den Text wiederholt (eine wenigstens originelle Sichtweise), bei Kundry glückt der schon sehr abgelutschte Verdoppelungs-Gag weniger, völlig unverständlich bleibt dann die Szene, in der die „zweite“ Kundry ein Kind getöt hat! Warum sich Titurel als Trapezkünstler auf der Schaukel beweisen muss, verstand ich ebenso wenig wie die Tatsache, dass die (verhüllten) Blumenmädchen Parsifal im Yoga-Sitz zwar gesanglich, aber nicht darstellerisch an die Wäsche wollen (obwohl die Damen bei der Premierenfeier dann ihre Reize durchaus zeigten). Lediglich als penetrant muss das Aufkleben von roten Blutspuren bezeichnet werden, das der im Rollstuhl sitzende Amfortas vorzunehmen hat. Aber vielleicht war nur der Schreiber dieser Zeilen mit dem intellektuellen Verstehen des Gesehenen überfordert?
Parsifal und die Blumenmädchen. Fotocopyright: Katarzyna Zalewska
Das Ganze wird von den Dänen (die eine richtige Schlachtenbummlergruppe nach Poznan mitbrachten) als post-dramatische Theater-Dramaturgie bezeichnet und erinnert an die Inszenierungen eines Calixto Bieito, allerdings nicht in dessen Radikalität. Und eine solche wäre sogar besser gewesen als die lediglich wahllose Aneinanderreihung von Versatzstücken des modernen Regietheaters: Ein würdevoll schreitender Chor mit Koffern (schon zigmal gesehen), die Überlebenden des Meteoreinschlages, die zu Beginn des dritten Aktes am Boden liegen (was komplett dem Zeitraster der Oper widerspricht, denn da müssten sie viele Jahre so zugebracht haben), eine sehr herkömmliche Lichtregie, bei der ins Publikum strahlende Scheinwerfer das Publikum mehr irritierten als sie stimmungsvolle Bilder schufen, der immer und immer wiederkehrende Einsatz von Spiegeln durch die Choristen, mit dem wohl Lichteffekte erzielt werden sollten, was aber gründlich misslang.
Bleibt nur abschließend die Textierung von „Hotel Pro Forma“ zu wiederholen, in der „Parsifal als szenisches Gedicht gesehen wird, in welchem der menschliche Körper eine Metapher ist, die Bühne die Architektur, die Stimme die menschliche Kunst und die Musik als die Brücke zu unserem inneren Wagner“ gesehen wird. Ich hoffe, sie verstehen was gemeint ist, ich tat es nicht!
Ganz anders fällt die Kritik aber aus, was die musikalische Substanz dieser Premiere betrifft. Hier ist die Oper von Poznan auf dem richtigen Weg. Das Orchester meisterte die Partitur dank ihres Chefs Gabriel Chmura in fast jeder Situation mit Bravour. Chmura gelang es auch über die volle Länge (und der Abend dauerte wegen einer überlangen, einem Sponsorendinner geschuldeten ersten Pause, über 5 ½ Stunden) die Spannung aufrecht zu erhalten und als man beim Schlussapplaus die noch sehr jungen Orchestermitglieder sah, musste man diese Leistung noch umso mehr würdigen. Aber auch die Solistenriege verdient in jeder Hinsicht die besten Zensuren. Allen voran natürlich Thomas Mohr, der in der Titelrolle souverän dann zur Stelle war, wenn es heikel wurde. Er klang immer so, als wäre der Parsifal die leichteste Tenorpartie der Welt: Unangestrengt, wortdeutlich, in schauspielerischer Hinsicht tat er das, was gefordert wurde – die absolute Nummer 1 des Abends. Dann muss aber schon der Amfortas von Mark Morouse genannt werden, der seine Leiden mit gewaltiger Baritonstimme fast körperlich spürbar machte. Als beim zweiten „Erbarmen“ die Intonation ins Schwanken geriet, konnte man richtig die gesamte Erschütterung des Mannes erfühlen. Leider musste er – wie bereits erwähnt – einige Regiegags mitmachen, er entledigte sich dieser Aufgaben aber routiniert und unaufgeregt. Und auch der Gurnemanz von Mario Klein verdient ein uneingeschränktes Lob. Besonders soll auch auf die Tatsache hingewiesen werden, dass er relativ kurzfristig einspringen musste,– keine leichte Situation beim gewaltigen Umfang dieser Rolle. Das angenehme Timbre seines Basses ließ auch bei ihm die ständigen Störungen des szenischen Ablaufes in den Hintergrund treten (er war als Bibliothekar mit einem in seinen Rock eingearbeiteten Rucksack versehen worden, aus dem Studenten immer wieder Bücher entnahmen und wieder hineinlegten).
Nicht ganz so glücklich sein durfte man mit der Kundry von Agnieszka Zwierko sein, die doch hörbar an ihrem sängerischen Limit angelangt war, während die ebenfalls am Haus engagierten engagierten Jerzy Mechliński als Klingsor und Krzysztof Bączyk als Titurel positiv überraschten. Die Gruppe der Blumenmädchen (Natalia Puczniewska, Monika Mych-Nowicka, Magdalena Wilczyńska-Goś, Barbara Gutaj-Monowid, Galina Kuklina und Katarzyna Włodarczyk) seien pauschal erwähnt, auch sie konnten mit Wortdeutlichkeit und idealen Stimmfärbungen punkten, was man von den Knappen und Gralsritter leider nicht behaupten konnte. Ein Extralob verdient der gewaltige Chor des Hauses, er konnte mit dem manch größeren Hauses durchaus mithalten.
Alles in allem war Poznan trotz allem eine Anreise (die aus Wien gar nicht so unkompliziert war) wert, es muss nämlich einer Operndirektorin im Stagionesystem auch gestattet sein, ein Wagnis einzugehen und vielleicht mit Bomben und Granaten zu scheitern. Für diesen Mut ist die Dame zu beglückwünschen, „Hotel Pro Forma“ kann man nur wünschen aus diesen Erfahrungen zu lernen. Von Buh-Orkan des Auditoriums wurden sie diesmal offenbar überrascht. Insgesamt aber ein interessantes Experiment und allein das europaweite Medienecho sowie der Besuch hochkarätiger Mitarbeiter der Kulturszene sind der Beweis dafür, dass für das Teatr Wielki die Rechnung aufgegangen ist.
Fotocopyright: Katarzyna Zalewska
Ernst Kopica