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POTSDAM / Friedenskirche Sanssouci ROKOKO IN BEWEGUNG – Sanssouci tanzt en suite. Eröffnungskonzert mit dem Ensemble Zefiro und dem Ballet Rococo

POTSDAM / Friedenskirche Sanssouci ROKOKO IN BEWEGUNG – Sanssouci tanzt en suite, 7.6.2024

Eröffnungskonzert mit dem Ensemble Zefiro und dem Ballet Rococo

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Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Die diesjährigen Musikfestspiele Potsdam Sanssouci stehen unter dem Motto „Tanz“ in allen Facetten: Vom Renaissancetanz über die Barockoper bis hin zu Folk, Tango und Techno.

Zur Einstimmung auf das Thema machte sich die Italienerin Deda Cristina Colonna, hoch sympathische Regisseurin, Choreografin und Dozentin für historische Oper und Schauspieltechniken an der Schola Cantorum Basiliensis, in ihrer Eröffnungsrede ein Motto von Pina Bausch zu Eigen: „Tanzen wir nicht, so sind wir verloren.“ Es gäbe keinen Unterschied zwischen Tanz und Leben. Warum tanzt der Mensch? Der Rhythmus sei eine Art, die Zeit zu messen. Colonna fühle sich glücklich bei der Verteilung der Schritte im Raum, wenn die richtige Sache am richtigen Ort entsteht, was selten genug geschieht. Man glaubt es ihr und ist ganz charmiert.

Die Probe aufs Exempel gab es im Konzert des Ensembles Zefiro unter der Leitung des Oboisten Alfredo Bernardini. Auf dem Programm des mit einer dreizehnköpfigen Streichergruppe, zwei Oboen, einem Fagott und einem Cembalo besetzten Ensembles standen die Fantaisie „Les Caractères de la Danse“ von Jean-Féry Rebel, die Ouvertüre-Suite in a-Moll von Johann Gottlieb Graun (die Oper „Adriano in Siria“ seines Bruders Carl Heinrich Graun auf ein Libretto von Metastasio wird am 9.6. im Schlosstheater Neues Palais ihre erste moderne Wiederaufführung erleben), Ausschnitte aus Johann Philipp Kirnbergers „Les Caractères des danses“ und schließlich als musikalischer Glanzpunkt Johann Sebastian Bachs „Orchestersuite Nr. 1“ in C-Dur, BWV 1066.

Zu allen Stücken außer Grauns Ouvertüre-Suite hat Edmund Fairfax mit dem Ballet Rococo (Mojca Gal, Antonin Pinget und Ivan Yaher) Choreografien erarbeitet. Am gelungensten und anmutigsten erwies sich das kleine Liebesgeplänkel der Tänzerin mit ihren zwei sie umwerbenden Galanen zu Jean-Féry Rebels rhythmisch fesselndem Potpourri mit den barocken Tänzen Courante, Menuet, Bourrée, Chaconne, Sarabande, Gigue, Rigaudon, Passepied, Gavotte, Loure und Musette. Eine Schule historischen Tanzes in eine lockere Geschichte verwebt, wo Scheingefechte der Anziehung, Abweisung und des Schmollens zu einem Happy End führen. Die so Bedrängte nimmt halt alle zwei Männer, wobei gilt: Aufpassen, „die Rose sticht!“. Aber anders als offensichtlich bei der Startänzerin Francoise Prévost, die bei der Uraufführung in Paris alles zeigen konnte, was der moderne Bühnentanz an Ausdruckskraft, Raffinement und Virtuosität zu bieten hatte, wirkte die kleine Menage à trois ganz heutig und frei von der Leber weg allen historisierenden Kostümen und rekonstruierter Tanztechniken zum Trotz.

Johann Gottlieb Grauns 16-teilige Orchestersuite bot allerlei virtuosen Spielstoff für Oboen und Fagott, Streicher und Cembalo. Schon wegen der stupenden Spielkunst und -freude von Bernardini und seinen Mitstreitern Paolo und Alberto Grozzi (Oboe, Fagott), war das Stück eine Entdeckung wert. Allerdings traten bei allem reizvollen Konzertieren in der Friedenskirche die Streicher und vor allem das Cembalo akustisch (bisweilen allzu sehr) in den Hintergrund, was eine gewisse Eintönigkeit im Klangbild bewirkte.

Ganz anders nach der Pause Masura, Passacaille. Cosack und Fanfare des Johann Philipp Kirnberger aus einem ebenso wie das französische Vorbild benannten größeren Zyklus („Les caractères des danses“). Mag schon sein, dass dieser Kirnberger, Geiger in der königlichen Kapelle in Potsdam und später in der Kapelle des Markgrafen Heinrich in Rheinsberg, vor allem als bedeutender Theoretiker und Bewahrer des Erbes von Johann Sebastian Bach in die Musikgeschichte einging. Für mich waren die vier kurzweiligen und temperamentvollen Kostproben seiner Tanzmusik die musikalische Entdeckung des Abends. Edmund Fairfax ließ sich zu diesen fetzigen Klängen zu einer besonders unterhaltsamen und lockeren Mischung von Tanz und Musik inspirieren. Mojca Gal mischte sich wie Zerbinetta in das von Instrumentalisten getragene Bühnengeschehen, lugte da und dort in die Notenpulte, bis schließlich das ganze Ensemble sich wild durcheinander zu drehen begann und die Tänzerin selbst zur Geige griff. Welch schöne Metapher der Verbundenheit der beiden Künste

Rein musikalisch geriet J. S. Bachs fantastische Orchestersuite Nr. 1 zum Höhepunkt des Abends. Hier stimmte wieder die Balance zwischen Streicher, Cembalo und Holz. Bachs ganz auf gehobene Unterhaltungswelle getrimmte raffinierte kontrapunktische Meisterschaft („Was auf dem Tanzboden gefällt, hört man im Konzert künstlerisch veredelt gerne wieder“) gespickt mit flotter Italianità und französischer Galanterie ließ einmal mehr staunen. Das Ensemble Zefiro bot eine einzigartig gelungene Darbietung, die besonders die Freiheit der Komposition und die tänzerischen Grundlagen der Suite in mediterraner Duftigkeit in den Vordergrund rückte.

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Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Leider überzeugte dieser letzte Teil des Konzerts tänzerisch weniger, als das bemühte Trio des Ballet Rococo Harmonie und stilistischen Gleichklang etwa in der Körper- und Handhaltung arg vermissen ließ. Insgesamt ist dennoch von einem gut gelaunten und vom Publikum enthusiastisch gefeierten ersten Abend zu berichten.

Die Melomanen unter uns dürfen sich schon auf die Premiere von „Adriano in Siria“ am 9.6. in der Regie & Choreografie von Deda Cristina Colonna, musikalisch geleitete von Dorothee Oberlinger, mit Valer Sabadus als Adriano, Roberta Mameli als Emirena, Bruno de Sá als Farnaspe, David Tricou als Osroa, Keri Fuge als Sabina und Federico Fiorio als Aquilio.

Wer mehr über die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci 2024 wissen möchte, dem sei ein Blick bspw. auf den Konzertkalender empfohlen: https://www.musikfestspiele-potsdam.de/programm/kalender.html?tx_events_event%5Bcontroller%5D=Event&cHash=9049949610d126701cc6c0ab786be9d2#eventListItem-6129

Anm.: Das Konzert wurde von radio3 live übertragen sowie aufgezeichnet und WIRD zu einem späteren Termin im Rahmen des ARD-Radiofestivals gesendet. Mehr auf radiodrei.de

Dr. Ingobert Waltenberger

Fotos: I. Waltenberger

 

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