Pilsen als Europäische Kulturhauptstadt 2015, 30.10.2014
von Ursula Wiegand
Pilsen ist – neben Mons in Belgien – Europas Kulturhauptstadt 2015, und schon bei der Einfahrt in den Bahnhof fällt die Pilsner Urquell-Brauerei auf. Die gehört zur Stadt wie das Amen in der Kirche. Hier erfand der Bayer Josef Groll am 5. Oktober 1842 ein neues untergäriges Bier: das erste Pils.
Pilsner Urquell-Brauerei, Architekt Martin Stelzer. Foto: Ursula Wiegand
Als Pilsner Urquell, stets gebraut aus bestmöglichen Rohstoffen und weichem Wasser aus 80 Meter Tiefe, trat es seinen weltweiten Siegeszug an. Die schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Bauten und das Brauereimuseum gehören nun zur Europäischen Route der Industriekultur. Blitzblank leuchten die Kupferkessel im historischen Sudhaus.
Historisches Sudhaus der Brauerei Pilsner Urquell. Foto: Ursula Wiegand
Im Brauereimuseum erfahren wir, dass schon die Mesopotamier, Ägypter und Germanen gerne Bier tranken. Selbst Kinder bekamen es, war es doch gesünder als das zumeist schmutzige Wasser. Bis heute halten die Tschechen den Rekord im Bierkonsum. In Pilsen verwundert das nicht. Kurz nach der Stadtgründung (1295) hatte König Wenzel II allen Bürgern der Stadt das Braurecht verliehen.
Pilsen unterirdisch, 19 km Kellergänge. Foto: Ursula Wiegand
Neben der Brauerei geht’s gleich in den Untergrund. Vom 14. bis zum 18. Jahrhundert legten die Bürger Keller mit Verbindungsgängen an, insgesamt 19 km. Dort gruben sie eigene Brunnen, lagerten Lebensmittel und versteckten sich in Kriegszeiten. Die Führungen durch ein Teilstück sind ein echt cooles Erlebnis.
Platz der Republik, das Herz von Pilsen. Foto: Ursula Wiegand
Oberirdisch kann die Stadt noch weit besser punkten. Fein restaurierte Barock- und Renaissancehäuser, eines immer schöner als das andere, überraschen auf dem Platz der Republik, dem historischen Marktplatz. Farbenfroh rahmen sie die gotische St. Bartholomäus-Kathedrale. Ihr 102,6 m hoher Turm ist der höchste in der Tschechischen Republik.
Gotische Bartholomäus-Kathedrale. Foto: Ursula Wiegand
Bis auf 62 m kann man emporsteigen und auf Pilsen blicken. Dieses Stadtbild, das rege Kulturleben, die Museen und der Programmentwurf gaben 2010 den Ausschlag bei der Wahl Pilsens als Europäische Kulturhauptstadt 2015.
Pestsäule von 1681. Foto: Ursula Wiegand
Zwischen der barocken Pestsäule und dem schmucken Renaissance-Rathaus von 1559 informieren Plakatständer, welch nachhaltige Verbesserungen dieses Ereignis für die Bürger mit sich bringt. Die 167.000 Pilsner ins Kulturhauptstadt-Geschehen einzubinden, ist das erklärte Ziel des Künstlerischen Leiters Petr Forman (ein Sohn des Filmemachers Milos Forman).
Renaissance-Rathaus, erbaut 1559 . Foto: Ursula Wiegand
Die Bevölkerung gewöhnt sich zurzeit an Modernes. Spendabel setzte die Stadt zunächst drei neuartige Glitzerbrunnen (mit insgesamt 720 g Goldauflage) an die Stelle der früheren auf den Platz der Republik. Leise plätschert das Wasser in schwarze Schalen aus chinesischem Marmor.
Platz der Republik, moderner Brunnen an der Kathedrale. Foto: Ursula Wiegand
Noch wichtiger ist jedoch das ersehnte Neue Theater. Schon am 1. September 2014 wurde es eingeweiht, nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung des großen J.K.Tyl-Theaters. Der prächtige Saal in diesem Neorenaissance-Bau (von 1902) besaß nach der Restaurierung nur noch rd. 500 Plätze statt zuvor 1.100. Das war den Pilsnern zu wenig.
J.K.Tyl-Theater, Neorenaissance von 1902. Foto: Ursula Wiegand
Das Neue Theater (Nove Divadlo), geplant von Vladimir Kruzik und gebaut von Hochtief (Kosten 30 Millionen Euro), bietet nun weitere 461 Plätze, dazu noch 150 in der Kleinen Szene für Kammerensembles. „Ich glaube, dass im Neuen Theater auch ein neuer Geist für Pilsens kulturelles Leben einziehen wird,“ äußerte Martin Otava, Direktor des J. K. Tyl-Theaters.
Neues Theater, Architekt Vladimir Kruzik. Foto: Ursula Wiegand
Optisch ergibt sich ein deutlicher Kontrast zum älteren Haus. Der neue rote Bau mit der hellgrauen Lochfassade mag für einige gewöhnungsbedürftig sein. Es ist „ein Theater des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Und jeder, der sich als Pilsener fühlt, muss einfach stolz sein auf das Neue Theater,“ ruft Otava etwaige Kritiker sofort zur Raison. Feierlich eröffnet wurde es mit Smetanas „Die verkaufte Braut“, die aber in konservativen Kostümen, wie es sich für dieses tschechische Kultstück gehört.
Beide Häuser bieten nun gemeinsam Oper, Konzert, Ballett und Theater. Für Pilsen-Besucher ist das ein Kultur-Doppelpack zu günstigen Preisen. (Programm auf Deutsch für beide Häuser unter http://www.djkt-plzen.cz/de/program.
Bendova ulitze 10, Wohnung designed von Adolf Loos. Foto: Ursula Wiegand
Genau genommen gab es in Pilsen schon weit früher einen Trend hin zur Moderne. Wohlhabende jüdische Bürger engagierten um 1930 einen Wegbereiter, den Architekten Adolf Loos, obwohl dessen schmuckloses „Loos-Haus“ von 1910 in Wien bekanntlich große Empörung bis hin zu Kaiser Franz Josef I provoziert hatte. Inzwischen war die Erregung über seinen funktionalistischen Stil jedoch abgeklungen.
Von den mehr als ein Dutzend Wohnungen, die Loos in Pilsen eingerichtete, können einige nächstes Jahr besichtigt werden, u.a. die noch weitgehend originale, konzipiert für die Familie Kraus, in der Bendova ulice 10.
Fenster der Wohnung, gestaltet von Adolf Loos. Foto: Ursula Wiegand
Loos, der Wert auf hochwertige Materialien legte, kombinierte dort strenge Linien mit kräftigen Farben. Von außen fallen bereits die grünen Fensterkreuze auf. Drinnen überraschen bläuliche Sitzmöbel und rote Heizkörper unter der blank polierten Edelholzdecke. Zeitlos schön und von hohem Gebrauchswert, so der heutige Eindruck.
Platz der Republik mit Ethnologischem Museum. Foto: Ursula Wiegand
Eröffnet wird das Kulturhauptstadtjahr am 17. Januar 2015, natürlich auf dem Platz der Republik, dem Herzen der Stadt. Das Geviert soll dann prächtig erstrahlen, um die Festumzüge und den Hochseilakt des Schweizer Artisten David Dimitri ins rechte Licht zu rücken. Danach wird in historischen Häusern und Höfen, Kultursälen, Museen, Galerien, Bibliotheken, Musikklubs und Kneipen weiter gefeiert.
Kurz darauf startet der „Neue Zirkus“. Von Januar bis November wollen Ensembles aus Frankreich, Italien, Spanien, Kanada und der Schweiz Menschen allen Alters und aller Sprachen begeistern. Ein Punkt, der auch bei den insgesamt mehr als 600 Veranstaltungen beachtet wurde.
Westböhmische Galerie. Foto: Ursula Wiegand
Deutlich betont „Pilsen2015“ seine Zugehörigkeit zu Westeuropa. „München – die strahlende Kunstmetropole“ heißt die erste Ausstellung in der Westböhmischen Galerie. Von Januar bis April werden dort die bedeutendsten Maler des Fin de siècle und der europäischen Moderne präsentiert. Jetzt wird gerade die Straße davor ausgebessert. Nach dem Lichterfest am 20./21. Februar läuft in der Kulturfabrik Svetovar eine spielerisch angelegte Schau zur Geschichte Europas. Das Ende des 2. Weltkriegs vor 70 Jahren und die Befreiung Pilsens durch US-Truppen werden vom 1.-6. Mai mit einem „Freiheitsfest“ begangen
Das Loutek-Marionettenmuseum. Foto: Ursula Wiegand
Mit „9 Wochen Barock“ nutzt man im Juli und August die eigenen Schätze. Neun barocke Kulturdenkmäler in und um Pilsen werden durch Musik, Theater und Tanz belebt, vermutlich ein Vergnügen für Große und Kleine. Noch mehr davon verspricht das Loutek-Marionettenmuseum mit seinen historischen und neueren Puppen, das Gespenstermuseum sowie der Zoo plus Dinopark.
Mondlandung im Planetarium. Foto: Ursula Wiegand
In den früheren Skoda-Werkhallen begeistert das interaktive Techmania Science Center plus 3D-Planetarium mit einem Film über das Astronautentraining, die Mondlandung und das Leben in einer Raumstation.
Und danach? Ein Prost auf Pilsen!
Bild: Pilsner Urquell im Originalglas. Foto: Ursula Wiegand
Infos zu Pilsen auf Deutsch unter www.pilsen.eu sowie unter http://www.czechtourism.com. Kulturhauptstadt-Programm unter www.plzen2015.cz, in Kürze auch auf Deutsch.