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Philippe Jordan: DER KLANG DER STILLE

05.10.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Philippe Jordan
DER KLANG DER STILLE
Aufgezeichnet von Haide Tenner
254 Seiten, Residenz Verlag, 2020

„Musik wird störend oft empfunden, derweil sie mit Geräusch verbunden“, ist ein nicht ganz korrektes Zitat nach Wilehlm Busch, und man würde es nicht wagen, dergleichen im Zusammenhang mit großen Dirigenten zu erwägen (Gott sei Dank machen sie Geräusch!), wenn man nicht schon zum zweiten Mal feststellte, dass diese besonders auf Stille setzen. „Als ich die Stille fand“ nannte Franz Welser-Möst sein kürzlich erschienenes Erinnerungsbuch, und nun zieht Philippe Jordan mit „Der Klang der Stille“ nach. Aufgezeichnet von Haide Tenner, die dem Künstler nach langer gemeinsamer Arbeit mit vielen Gesprächen in der Pariser Bastille Oper „Klarheit, Weitblick und Stilgefühl“ attestiert.

Stille ja, berichtet wird allerdings von einem sehr ambitionierten, arbeitsreichen, bewegten Künstlerleben. Auf die Stille kommt er ganz zuletzt – am Gipfel eines Berges, mitten in der Wüste, die unerlässliche Konzentration vor einer Aufführung. Philippe Jordan ist ein spiritueller Mensch, wie er eingesteht, ohne religiöse Bindung, aber kulturell im christlichen Abendland verwurzelt. Das würde auch nicht jeder so ohne weiteres zugeben.

Es liest sich ungemein interessant, Philippe Jordan durch sein Leben zu begleiten. Der Vater Deutsch-Schweizer, die Mutter Sudetendeutsche, die einen Teil ihres Lebens in Irland verbracht hatte und darum zuhause Englisch sprach, damit die Kinder (Philippe hat eine jüngere Schwester) zweisprachig aufwuchsen. Vater Armin Jordan (1932-2005), berühmt frankophil, arbeitet als Dirigent vielfach in der französischen Schweiz und galt dermaßen als Fachmann für französische Musik, dass sich sein Sohn erst nach des Vaters Tod so richtig an dieses Repertoire wagte…

Philippe, geboren 1974 in Zürich, wurde die Musik quasi in die Wiege gelegt, aber er musste sie sich hart erarbeiten (was ihm durchaus zugute gekommen ist): Als Kind am Klavier (das Klavierspiel hat er, wie dem Vater versprochen, nie aufgegeben) und auf der Geige, als Sängerknabe (bei Harnoncourt als Knabe in der „Zauberflöte“ auf der Bühne), früh als Korrepetitor, eine Fähigkeit, die erlernt werden will und gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. In diesen Jugendjahren spekulierte er mit vielem: Pianist? Vielleicht sogar Sänger? Das Theater faszinierte ihn, vielleicht also Regisseur? Aber spätestens, als er den Vater in die USA begleiten durfte, wo Armin Jordan in Seattle „Die Walküre“ dirigierte, „wusste ich: Ich wollte dirigieren!“

Er ist die Ochsentour gegangen, die Galeerenjahre, und wie jeder weiß, gibt es keine bessere Vorbereitung für den Ernst des Künstlerlebens: Philippe Jordan wurde 1994 (man bedenke: Er war 20 Jahre alt) Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung am Stadttheater Ulm (nie vergisst man bei diesem Haus zu sagen: „Wo auch Karajan begonnen hat…“). Und er lernte viel in freundlicher Atmosphäre: „Ein Orchester ist der beste Lehrer für einen jungen Dirigenten.“ Hier dirigierte er seine ersten Opern, hier hatte er seine ersten Begegnungen mit Regisseuren.

Apropos: Ein Buch wie dieses ist darauf angewiesen, sich im allgemeinen freundlich zu äußern – Jordan ist erst unglaubliche Mitte 40, er wird in seinem hoffentlich langen Leben noch mit vielen Leuten zu tun haben, will sich also niemanden vergrätzen. Er wird also nur an zwei Stellen dezidiert: damals, als sein Abgang in Graz auch die Schuld der Politik war. Und wenn es um Regie geht. Am Beispiel von Peter Jonas sagt er es klar (auch Hanekes „Cosi“ war nicht so ganz „meine Sicht“), später grundsätzlich: „Ich denke, spannend ist Theater nur, wenn eine Inszenierung aus dem Stück heraus entsteht. Die Geschichte muss wahrhaftig und erkennbar sein und so gut wie möglich erzählt werden, mit starker Personenführung und hoher Professionalität.“ Hoffentlich ist er da an der Roscic-Staatsoper am richtigen Ort, wo es von der Regie her ja nicht sanft zugehen wird… Aber Jordan erklärt auch: „Ich vertraue da Bogdan Roscic sehr.“

Auf Ulm folgte erst Berlin (Eva Wagner hatte ihn an Barenboim empfohlen), vor allem aber Graz, wo er mit 27 Jahren Chefdirigent an der Oper war, in enger und harmonischer Zusammenarbeit mit der ambitionierten Intendantin Karen Stone. (Jordan sagt, er kann jedem jungen Dirigenten nur empfehlen, ein paar Jahre in fixer Position an ein mittleres Haus zu gehen.) Mit Graz, dann den Wiener Symphonikern und nun an der Wiener Staatsoper hat Jordan einen wesentlichen Teil seiner Karriere auch in Österreich gemacht. Graz war für ihn ideal, nicht zu groß, aber gut genug, um viel zu lernen (auch, wie weit man als Dirigent Kompromisse eingehen darf). Viele, die heute berühmt sind (Stephen Gould zum Beispiel) fingen damals mit ihm an. Es war ein Aufbruchsort für Talente. Und alles lief schief, als Karen Stone ging und die Verhandlungen mit Politikern scheiterten. Damals lernte er auch, dass man die Notbremse zu ziehen hat, wenn Dinge nicht länger funktionieren. Außerdem war Philippe Jordan damals schon so gefragt, dass er als frei schaffender Dirigent weiter machen konnte.

Er arbeitete mit der Staatskapelle Berlin, mit dem Gustav Mahler Jugendorchester (daher kommt die Freundschaft mit Thomas Hampton, der für ihn einer der größten Mahler-Fachleute ist), Pereira holte ihn nach Zürich für diverse Opernproduktionen, und dann kam auch wieder die Met, wo er schon 2002 mit der „Fledermaus“ debutiert hatte (Otto Schenk, erinnert er sich, wollte „Wiener Schmäh“ im dritten Akt, was am New Yorker Publikum vorbei rauschte, weil sie es mentalitätsmäßig natürlich nicht verstehen konnten).

Zur Operette bekundet Jordan übrigens eine freundliche Beziehung. Auch in Wien debutierte er (schon 1999) mit einer Operette, der „Lustigen Witwe“, dann kamen er und Holender bloß aus Termingründen schwer zusammen. Als er hier 2008 „Capriccio“ mit Renée Fleming dirigierte, hätte er jeden für verrückt gehalten, der ihm gesagt hätte, er würde seine nächste Vorstellung hier 2020 als Musikdirektor des Hauses leiten…

An der Met war Jordan immer wieder, zuletzt dirigierte er 2019 den Lepage-Ring, und James Levine, der ihn im Radio gehört hatte, rief ihn an, um ihm sein Kompliment auszusprechen. Sie diskutierten auch Tempi, Boulez… Musikergespräche eben zwischen dem noch immer jungen Dirigenten und dem aussortierten Mann im Rollstuhl, der so viel von Musik versteht…

Wagner ist immer wichtig für Jordan, was das Besondere an Bayreuth ist, zumal aus der Sicht eines Dirigenten, erklärt er aus seiner Sicht. Und was nun folgte, nennt sich in dem Buch „Pariser Leben“: Er wurde musikalischer Direktor der Opéra National de Paris und gedenkt dankbar des Direktors Nicolas Joel, dem er viel verdankte. Hier schon zählt er auf, wie vielfältig er seine Pflichten in solch einer Position sieht, und Ähnliches hat er später für Wien ausgehandelt. Dass die französische Mentalität eine ganz andere ist als jene in Wien, schreckt ihn nicht. Obwohl er sich auch mit Joels Nachfolger Stephane Lissner sehr gut verstand, kam das Wiener Angebot von Bogdan Roscic zur richtigen Zeit: Man soll nie zu lange bleiben, offenbar hat Gustav Mahler so etwa gesagt, nach zehn Jahren ist die Luft raus…

Nun, der neue Anfang ist gegeben. Dass es für Roscic jegliche Komplimente gibt, sollte zu einer besseren Zusammenarbeit führen als einst bei Meyer / Welser-Möst… („Ich lernte einen hoch intelligenten Mann mit großer Sachkenntnis über Oper und Sänger kennen, der analytisch scharf denkt, soziale und emotionale Intelligenz besitzt sowie einen klaren Blick und ein aufgeschlossenes Problembewusstsein hat.“)

Man möchte annehmen, dass es kein gezieltes Kompliment ist, wenn Jordan schreibt, dass die Wiener Philharmoniker jenes Orchester sind, von dem er am meisten gelernt hat. Beste Voraussetzungen für Wien, wo er an der Oper mindestens drei Premieren in der Saison dirigieren will, ein weit gespanntes Repertoire (er glaubt nicht an Spezialistentum) und sehr viel Mozart.
Apropos: Das Buch bietet nicht nur seine Lebensgeschichte, sondern auch breite Auseinandersetzungen mit wichtigen Komponisten (wobei er auch die Theorie von Wagners „jüdischen Figuren“ von Beckmesser bis Kundry vertritt, diese aber für besonders farbig und gelungen erklärt).

Es ist wirklich faszinierend, Philippe Jordan in diesem Buch zu begegnen. Man kann sagen, man weiß nun wirklich (glaubt zu wissen), mit wem man es zu tun hat. Und freut sich auf ihn.

Renate Wagner

 

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