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PETRA LANG zu ihrem Bayreuther Meisterkurs: „Es brennt generell…“

13.09.2013 | INTERVIEWS, Sänger

BAYREUTH/Festspiele: Interview mit Petra Lang zu ihrem Meisterkurs für Wagner-Gesang in Bayreuth v. 13.-16.8.2013

„Es brennt generell…“

Petra Lang 2010
Petra Lang. Foto: Ann Weitz

Anlässlich des in diesem Heft besprochenen Meisterkurses für Wagner-Gesang, der im Rahmen des Wagner-Jahres in Kooperation mit den Bayreuther Festspielen und der Städtischen Musikschule Bayreuth von Petra Lang und Adrian Baianu veranstaltet wurde, konnte ich mit der weltbekannten Wagnersängerin in Bayreuth ein Gespräch über den Zustand des Operngesangs und des Wagner-Gesangs im besonderen führen. Im Jahre 2005 hatte ich Petra Lang bereits ein erstes Mal in Wien für den neuen Merker interviewt.

Was ist Ihr Eindruck von Ihrem Bayreuther Meisterkurs für Wagner-Gesang?

Dieser Meisterkurs war ein Spiegelbild der Sängerstimmen, wie wir sie heute vorfinden. Er ist symptomatisch für die gesamte Sängersituation. Als Anfänger ist es noch leicht, in die lyrischen Fächer hineinzukommen. Nach einigen Jahren stoßen die SängerInnen dann aber an Grenzen, wo es nicht mehr weitergeht. Fachliche technische Gründe sind verantwortlich dafür, dass man Bedingungen nicht mehr herstellen kann, die das größere Fach erfordert. Zu Berufsbeginn kommt man mit lyrischen Partien und kleinem Orchester gut zurecht und baut darauf langsam auf. Mitte 30 bis Anfang 40 sind dann diese lyrischen Partien aber nicht mehr singbar. Das Alter ist zu hoch, und nun kommt man an den Punkt, wo der Fachwechsel ansteht. Eine Soubrette wechselt in den lyrischen Sopran, aus einer Papagena wird erst eine Pamina, später vielleicht eine „Meistersinger“-Eva. Wenn man sich organisch entwickelt hat, kommt man in diese neuen Fächer hinein. Der Körper wird stabiler, und man kann dann die schwereren lyrischen Partien gut singen. Für das hochdramatische Fach aber, und da wären wir bei Richard Wagner und Richard Strauss, braucht man Extra-Anlagen. Man muss auch anders gebaut sein, der Körper sollte größer dimensioniert sein, die muskulären Anforderungen sind andere als für die lyrischen Stimmen.

Was sind die spezifischen Anforderungen des Wagner-Gesangs?

Weil eben oft diese Extra-Anlagen für den hochdramatischen Gesang, also auch den Wagner-Gesang, nicht gegeben sind, wird versucht, Wagner zu brüllen, oder – statt Wagner singen, Wagner schreien. Viele SängerInnen denken, es sollte so laut wie möglich sein. Dann kommt es aber zu stimmlichen Farbverlusten, und auch die Glaubhaftigkeit der künstlerischen Gestaltung leidet. Für den Wagner-Gesang braucht es einen Körper mit großer Stabilität.

Im Wesentlichen sollten folgende drei Voraussetzungen gegeben sein:

• Material (richtige Stimme und richtiger Körper)

• Intellektuelle Reife

• Erfahrung

Denn es ist ein anstrengender Beruf. Man sollte den Körper wie ein Sportler trainieren. Viele SängerInnen drücken zu viel, um hier Defizite auszugleichen und überhaupt einen Sound hinzubekommen – ein Problem mangelnder Technik. Für den Wagner-Gesang im Speziellen muss man wissen, wie man die eigenen Resonanzräume optimal nutzt. Mit falscher Lage oder zu viel Emotion kann bleibender Schaden entstehen.

Dazu ein Beispiel: Die Stimme ist nicht richtig fokussiert, der Sänger dunkelt sie ab, um einen dunkleren dramatischen Klang zu erzeugen. Das geht mit kurzen lyrischen Partien vielleicht noch gut, wenn man entsprechende Wartezeiten einhält, ebenso wie ausreichend Erholung zwischen den Auftritten einlegt. Bei Wagner kommt man aber an den Punkt, dass man meint, mehr „Gas geben“ zu müssen, um über das viel größere Orchester drüber zu kommen. Nun geht es mit einer gewissen Gewalt gegen die Stimme: Singen mit Druck geht nur mit höherem Luftdruck, und dieser wiederum kann zu oberflächlichen Verletzungen der Stimmlippen führen. Außerdem werden diese relativ schnell müde. Bei entsprechender Erholung können sich diese Verletzungen schnell zurück bilden. Wenn aber die Müdigkeit ignoriert und weiter so gesungen wird, ist der möglicherweise irreparable Verletzungseffekt sehr groß. Deshalb ist das erste Gebot immer: Ausheilen lassen. Heiser geht es nicht im Gesang!

Konsequent klangorientiertes Singen ist bei Wagner unabdingbar. Stattdessen ist es allzu oft zu lang, zu laut und zu hoch. Man sollte auch auf den Klang der Sprechstimme hören. Er sagt oft viel darüber aus, ob und was man auf der Bühne singen kann. Ganz wichtig ist also eine gute Vorbereitung, immer wieder Erholungsphasen einbauen – und man muss in dem Fach sein! Externe Risikofaktoren können aber auch das sehr große Orchester, rücksichtslose Dirigenten und das Unverständnis von Regisseuren sowie sehr große Räume mit schlechter Akustik sein. Man sollte aber immer das lyrische Singen als Klangideal erhalten. Birgit Nilsson sagte einmal: „Wenn ich Mozart nicht singen kann, dann droht mit Wagner Gefahr.“ Die Rücknahme des dramatischen Stimmklangs ist also sehr wichtig.

Welche Rolle spielen die Gesangslehrer?

Im Vordergrund steht immer der Sänger selbst. Er macht den Beruf, er singt, macht eine künstlerische Aussage. Einzig die schöne Stimme reicht heute nicht mehr. Hier ist das „Gesamtpaket“ wichtig: Stimme, Aussehen, Spiel müssen rollendeckend rüberkommen.

In der Ausbildung der GesangslehrerInnen liegt vieles im Argen. Hier haben wir heute im Laienbereich und im Therapiebereich ein sehr hohes Niveau, das wir leider nicht im Bereich der Spitzensänger halten können. Petra Lang hat beispielsweise Geige und Gesang studiert, wobei für das Unterrichten viel Wert auf Psychologie und die Umsetzung der Methodik in der Praxis gelegt wurde. Ziel war immer, innerhalb von fünf Minuten die Probleme zu erkennen und mindestens eines davon in der laufenden Stunde zu lösen. So legt sie in ihren Gesangs-Stunden viel Wert auf Technik in Verbindung mit Interpretation. Die Technik als Basis für eine künstlerische Aussage und eine möglichst lange stimmgesunde Karriere. Früher hat man doch so Singen gelehrt und gelernt. Das braucht Zeit, um erst einmal technische Vorgänge im Körper zu manifestieren. Sitzt die Technik, ist es ein Leichtes, SEINEN Inhalt, SEINE Interpretation zu transportieren und diese vor allen Dingen immer wieder abrufen zu können. Professionalität im Singen zeichnet sich durch stabile und sichere Wiederholbarkeit von Abläufen aus.

Es ist schwer von richtig oder falsch, gut oder schlecht bei Gesangstechnik und Gesanglehrern zu sprechen. Dies ist auch eine Frage des Geschmacks, d.h. welchen Klang möchte ich mit welchen Mitteln herstellen. Hier bestätigt letztendlich das Wie, Wo, Wann, Was und Wie Lange bei der Ausübung des Sänger-Berufes, ob die Wahl der Mittel und des Lehrers richtig waren. Petra Lang hat immer bei Sängern gelernt, die diesen Beruf auch mindestens 25 Jahre aktiv ausgeübt haben und die gleichzeitig in der Lage waren, ihre Erfahrungen jungen Sängern weiterzugeben. Das war vielleicht Glück. Oft findet man Sänger, die mit 40 in die erste Krise kommen, dann ihre Liebe zum Gesangsunterricht entdecken und dann nur noch ausschließlich unterrichten. Das muss nicht immer schlecht sein. Wenn ein Sänger jedoch eine stabile Technik hat und/oder seine Probleme gelöst hat, singt er: er macht den Beruf.

Der Bund der Gesangspädagogen (BdG) bietet pädagogische Aufbaukurse im Schnellverfahren an, um Sängern, die keine pädagogische Ausbildung hatten, den Einstieg in das Unterrichten zu erleichtern.

Am Ende steht aber allein die Verantwortung des Sängers und der Sängerin. Das Nein-Sagen schadet langfristig nicht! Ich kann nur das singen, was ich singen kann…!

Klaus Billand

 

BAYREUTH/Festspiele: Meisterkurs für Wagner-Gesang – 13.-16.8.2013

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Marlene Lichtenberg, Katharina Leyhe, Adrian Dwyer, Johan Weigel, Christian Mogosan, 2 Sänger MK, Marius Bolos. u.a. Foto: Dr. Klaus Billand

Im Rahmen des Wagner-Jahres veranstalteten Petra Lang, dieses Jahr auch als Ortrud im „Lohengrin“ auf dem Grünen Hügel engagiert, und Adrian Baianu in Kooperation mit den Bayreuther Festspielen und der Städtischen Musikschule Bayreuth einen Meisterkurses für Wagner-Gesang. In Einzel- und Gruppenunterricht orientierten sie zehn junge SängerInnen, die bereits ganze Wagner-Rollen gesungen hatten und zum Teil auch schon in festen Engagements standen, in Artikulation, Intonation und Gesangstechnik des Wagner-Gesangs. Der Kurs fand an der Städtischen Musikschule Bayreuth statt und lief in zwei Einheiten parallel. Petra Lang unterrichtete die TeilnehmerInnen in der Anlage der Partien und der szenischen Gestaltung. Im Wesentlichen konzentrierte man sich dabei auf eine zuvor ausgewählte Arie bzw. einen Monolog aus dem Werk Richard Wagners. Adrian Baianu, Liedbegleiter, Korrepetitor und Vocal Coach widmete sich in den Vocal Coaching Sitzungen speziellen Fragen der Gesangstechnik, die unter anderem mit dem Namen des bekannten italienischen Tenors Angelo Loforese verbunden sind. Dieser singt mit über 90 Jahren – man glaubt es kaum – noch Arien wie die Stretta aus dem „Trovatore“ und „Nessum dorma“ aus „Turandot“! Parallel zum Meisterkurs von Petra Lang lief eine kleinerer von Markus Eiche. Ein gut besuchtes Abschlusskonzert in der Bayreuther Stadthalle stand am Ende der intensiven Tage dieses Meisterkurses, der für das Publikum kostenfrei zu besuchen war. Insbesondere viele junge SängerInnen machten von diesem Angebot Gebrauch und konnten auch entsprechende Fragen stellen.

Die aus etwas 50 Bewerbungen ausgewählten 10 Sänger und Sängerinnen waren: Daniela Köhler, Deutschland, Sopran (Senta); Eva Leitner, Österreich, Sopran (Brünnhilde „Götterdämmerung“); Katharina Leyhe, Deutschland, Sopran (Senta); Marlene Lichtenberg Italien (Südtirol), Mezzosopran (Waltraute „Götterdämmerung“); Michaela Polkehn, als passive Teilnehmerin, Deutschland, Mezzosopran (Erda); Marius Bolos, Rumänien, Bass (König Heinrich); Adrian Dwyer, Tenor, Australien (Loge); Ünüsan Kuloglu, Türkei, Tenor (Tannhäuser); Christian Mogosan, Rumänien, Tenor (Erik); und Johan Weigel, Schweden, Tenor (Lohengrin).

Die intensiven Gesangsstunden mit Petra Lang und Adrian Baianu waren ganz offensichtlich von großer Bedeutung für die SängerInnen und werden für ihre weitere Entwicklung sicher von Nutzen sein. Die Stimmung war ausgezeichnet, es entstand ein Art Teamgeist mit Blick auf den Wunsch, die Technik weiter zu verbessern. Alle waren sehr engagiert bei der Sache und haben nach eigener Aussage viel dazu gelernt. Einige meinten aber auch, dass sie Zeit brauchen werden, um die neuen technischen Erkenntnisse für sich zu absorbieren. Allgemein wurde der Wunsch geäußert, dass man sich in einem Jahr wieder treffen sollte, um den Fortschritt jedes einzelnen zu überprüfen und gegebenfalls noch zu beschleunigen.

Angesichts der Sängerkrise im Wagnerfach (siehe dazu auch das obenstehende Interview, das haben unter anderem auch Gesangswettbewerbe in München und Istanbul im September, in Baku im November und auch der speziell für Wagnerstimmen ausgeschriebene Wettbewerb in Karlsruhe im Oktober 2012 gezeigt, möge sich die Festspielleitung Bayreuth überlegen, einen oder mehrere Meisterkurse im Rahmen der Bayreuther Festspiele zu institutionalisieren. Da eine große Zahl an Wagner-SängerInnen zu diesem Zeitraum in Bayreuth versammelt ist, von denen möglicherweise einige dafür gewonnen werden könnten, und fast alle Opernhäuser geschlossen sind, wären die Transaktionskosten relativ gering. Bayreuth könnte so ganz gezielt viel für die Förderung des Wagnergesangs tun und gleichzeitig vor Ort neue Talente entdecken, auch für die Bayreuther Festspiele selbst. Wolfgang Wagner war es immer ein ganz besonderes Anliegen, in Bayreuth neue und gerade auch junge Wagnerstimmen zu präsentieren und für das Wagnerfach international vorzubereiten. Diese Tradition könnte man mit solchen Meisterkursen akzentuiert fortzusetzen.  (Fotos in der Bildergalerie)    

Klaus Billand

 

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