„WIR WOLLEN DEN SINN BEGREIFEN UND DIESEN AUF DER BÜHNE UMSETZEN“ – Peter Stein im Gespräch mit Heinrich Schramm-Schiessl zur Premiere von „Vec Makropulos“ (2.12.2015)
Peter Stein beim Interview. Foto: Heinrich Schramm-Schiessl
Herr Prof. Stein, nach „Simon Boccanegra“ im Jahr 2002 ist „Vec Makropulos“ jetzt die zweite Regiearbeit die Sie an der Wr. Staatsoper machen. Warum müssen da 13 Jahre dazwischen liegen?
Da müssen Sie die Herren fragen, die dafür zuständig sind. Das war zuerst Herr Holender und dann Dominique Meyer. Ich bin telefonisch immer erreichbar und zu jeder Schandtat bereit. Vielleicht meinen die Verantwortlichen, dass ich in der Zwischenzeit ein Auslaufmodell und daher nicht mehr interessant bin. Umsomehr bin ich Direktor Meyer sehr dankbar dafür, dass ich jetzt meinen ersten Janacek machen kann, danach habe ich schon sehr gedrängelt.
Ich frage das auch deshalb, weil anläßlich Ihres vielbeachteten Tschaikowsky-Zyklusses in Lyon es in Wien zumindest das Gerücht gab, es sei der Wr. Staatsoper eine Coproduktion angeboten worden. Ist da was dran, und wenn ja, warum ist dann nichts daraus geworden?
Das kann ich Ihnen nicht sagen, da mische ich mich nicht ein. Wenn es so gewesen wäre, hätte ich das gerne gemacht. Großen Anteil an diesem Erfolg hatte auch der Dirigent Kiryll Petrenko, der ja mittlerweile einen komentenhaften Aufstieg gemacht hat. Ich habe diese drei Werke (Eugen Onegin, Pique Dame und Mazeppa / Anm.) sehr gerne mit ihm gemacht.
Kommen wir nun zur aktuellen Premiere: Als was sehen Sie „Vec Makropulos“? Als Krimi, als Psychodrama, als „Fantasy-Geschichte“ oder einfach als die in eine reale Handlung gegossene Auseinandersetzung mit einem der großen Wünsche, zumindest mancher Menschen, nämlich den, nach dem ewigen Leben?
Das Stück von Capek ist sehr redselig, mit zahlreichen komischen Einlagen. Es gibt sich als ein sehr realistisches Stück, in dem allerdings eine Fiction-Frau enthalten ist, nämlich die Hauptperson, die beinahe 350 Jahre alt ist und damit führt das Ganze zu einem interessanten Doppelspiel. Auf der einen Seite ist das ganze eigentlich sogar langweilig, weil speziell im 1. Akt dauernd von einem Gerichtsfall berichtet wird, der äußerst kompliziert ist. Man versteht überhaupt nichts, wie immer wenn man mit Rechtsanwälten zu tun hat, und in Erbsachen ganz besonders. Das ganze Hin und Her, das wirkt aller séhr konkret und dann kommen immer wieder expresionistische erfundene Fiction-Elemente hinein, die sich um die Hauptfigur konzentrieren, die immer wieder merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag legt. Nicht nur, daß sie unverschämt ist und sexuell attraktiv. Das können auch Frauen der Jetztzeit sein, sagt man zumindest. Aber sie bekommt dann immer wieder plötzliche Müdigkeitsanfälle, die sind im Libretto vorgeschrieben. Sie erscheint dann in einem merkwürden Licht , einem grünlichen Licht, also etwas Gespensterhaftes.
Wird man das grüne Licht auch in der Inszenierung sehen ?
Das ist eine große Schwierigkeit. Ich wollte das unbedingt, aber es ist schwierig, denn das grüne Licht ist eines der dunkelsten überhaupt. Man sieht es kaum. Allerdings wenn ich grün tatsächlich machen will, dann muß ich alles andere Licht wegnehmen und dann sehe ich die Sänger nicht mehr. Aber wir bemühen uns, daß dieses Element vorkommt, vor allen Dingen dann am Schluss, wo der Autor auch will, dass der ganze Zuschauerraum auch grün wird, dass das gleichsam überschwappt in den Zuschauerraum hinein. Wir haben versucht, das alles zu berücksichtigen, denn sie wissen, ich mache Inszenierungen, die sich auf die Partitur stützen. Wir unternehmen hier den Versuch, das was der Autor sich ausgedacht hat, in die Tat umzusetzen und zu begreifen, warum er das gemacht hat. Wir wollen den Sinn begreifen und diesen auf der Bühne umsetzen. Das ist mein Bemühen, sonst habe ich keinerlei Ehrgeiz. Das tue ich zusammen mit den Sängern und vor allen Dingen mit dem Orchester, das versucht, das was es in der Partitur liest, in Klänge umzusetzen.
Wir haben das sogar – allerdings im Sinne des Autors – noch etwas weiter getrieben. Am Schluß ertönt ein Chor, nur klanglich eigentlich, der am Ende bestätigt, was die Hauptfigur sagt. Am Ende sagt die Hauptfigur, indem sie sich verabschiedet von der Idee des ewigen Lebens, dass „der Tod ein grandioses Institut des Lebens“ sei – dass ohne den Tod ein Leben gar nicht möglich ist. Denn sie hat es ja erfahren, sie lebt fast 350 Jahre. Sie sagt auch, dass das fürchterlich war, alles wiederholt sich, alles wird langweilig und alle Emotionen verlieren ihre Realität und ihren Sinn und vor allen Dingen breitet sich gräßliche Einsamkeit aus, weil man ja ununterbrochen Abschiede feiern muss. Dementsprechend lassen wir den Chor im grünen Licht im Zuschauerraum auftreten und der bestätigt das. So ist das vorgesehen in der Partitur. Sie sagt: „Ihr seid so glücklich, dass Ihr sterben könnt!“. „Wir sind so glücklich, dass wir sterben können!“ singt der Chor, sozusagen stellvertretend für das Publikum. So versuchen wir den Sinn der Partitur zu vermitteln.
Eines der – zwar nicht von Ihnen – verwendeten Elemente der heutigen Regie ist die Verlegung des jeweiligen Stückes in eine andere Zeit, sehr häufig in die Gegenwart. Jetzt steht im Libretto der „Vec Makropulos“ als Zeitangabe „Gegenwart“, allerdings sind damit die 20er-Jahre des vorigen Jhds. gemeint. Versetzen sie das Stück jetzt in die heutige Gegenwart oder belassen sie es in Janaceks Gegenwart?
Sie können sich die Antwort eigentlich selber geben. Natürlich lasse ich es so, wie es der Autor will, wobei wir insofern Glück haben, als die 20er-Jahre, in denen das geschrieben ist, vom Outfit her eigentlich so sind, dass man damit heute noch auf die Straße gehen kann. Es steht auch in der Partitur, dass sie 1585 geboren ist und jetzt 337 Jahre alt ist – wie soll ich das ins Heute verlegen. Aber das interessiert ja die heutigen Regisseure nicht, denen ist völlig gleichgültig, was gesungen oder gesprochen wird. Sie denken, die Zuschauer verstehen es so und so nicht, was da gesungen wird, egal ob tschechisch oder deutsch, also kann ich machen was ich will. Sie haben besondere Assoziationen und bezeichnen sich als Regieautoren, das mache ich nicht. Ich versuche, das was dort geschrieben steht in Noten- und in Textform zu begreifen, mit Hilfe des Dirigenten, der mir die musikalischen Aspekte erzählt, Nachforschungen, wie das mal gewesen ist, was Herr Capek für ein Typ war, wie die Situation in Prag zu dieser Zeit war. Daraus versuche ich mein Wissen zu beziehen und es an die Sänger zu vermitteln, die das wiederrum zusammen mit dem Orchester dem Publikum vermitteln. Das ist meine Vorstellung, eine Vorstellung die übrigens Luc Bondy auch hatte. Er war einer der wenigen, die diese Vorstellungen noch hatten, der ist jetzt gestorben und so fühle ich mich dementsprechend allein. Das ich dabei als Reaktionär und konservativer Regisseur beschrieben werde, ehrt mich zutiefst, denn ich weiß, dass ich damit mache, was ich immer gemacht habe, nämlich gegen den Strom zu schwimmen.
Sie arbeiten wieder mit ihrem gewohnten Team, Ferdinand Wögerbauer als Bühnenbildner und Annamaria Heinreich als Kostümbildnerin zusammen. Was kann man – ohne schon zuviel zu verraten – optisch erwarten?
Es ist das Thema des Stücks, dass sich verschiedene Zeiten ineinander schieben. Wir haben ein Heute, das ist 1924. Da ist eben der Prozess der schon ewig dauert. Der 1. Akt spielt in der Registratur einer alten Anwaltskanzlei, wobei schon der Vater, der Großvater und der Urgroßvater des jetzigen Kanzleibesitzers mit diesem Prozess zu tun hatte. Es ist also eine alte Anwaltskanzlei, nicht von 1924 sondern aus dem 19. Jahrhundert. Deshalb werden wir das sehen, es ist ein neugotischer, muffiger dekorierter Raum. Es gibt allerdings auch Modernes, wie ein Leuchter, der aus den 20er-Jahren stammt und eine Sitzgruppe auch aus dieser Zeit. Der 2. Akt spielt auf der Bühne eines Opernhauses, denn die Hauptfigur ist ja eine Operndiva. Wir haben das etwas gedreht, das heißt, wir schauen über die leere Bühne in den Zuschauerraum der Staatsoper, allerdings jener vor der Zerstörung. Der letzte Akt spielt dann in einem Hotelzimmer und das ist ein ganz neu gebautes Hotel von 1922 im Art-Deco-Stil.
Die Aufführung wird in Tschechisch gesungen. Jetzt weiß man, dass Sie bei Ihren Inszenierungen immer sehr nah am Text sind. Können Sie Tschechisch oder wie haben Sie das diesmal gelöst?
Ich kann überhaupt nicht Tschechisch. Die Partitur, mit der ich arbeite, ist dreisprachig- ´Tschechisch, Deutsch und Englisch. Die deutsche Übersetzung muss man absolut vergessen, sie stammt von Max Brod und hat mit dem Original überhaupt nichts zu tun.Wir mußten also eine richtige Übersetzung besorgen. Ich habe während der Proben jemanden hinter mir sitzen, der mir – quasi simultan – die richtige Übersetzung vorsagt und das kann ich den Sängern vermitteln, denn die wissen eigentlich auch nicht wirklich, was sie da singen. Mittlerweile funktioniert alles schon sehr gut und die Sänger machen einen fantastischen Job. Man hat eigentlicht nicht das Gefühl in einer Oper zu sein, sondern in einem Theaterstück, das in Musik gesetzt ist. Eine wirkliche Unterszützung von der Musik gibt es nicht. Das führt dazu, daß man eine sehr flüssige, eigenartige, selbstverständliche und natürliche Atmosphäre auf der Opernbühne hat, wie man sie sonst selten erlebt.
Das Stück wird, obwohl es nur eine Spieldauer von rund 2 Stunden hat, mit Pause gespielt. Zerstört das nicht die Spannung, wo doch die Handlung einen sehr engen Zeitrahmen umfasst?
Die Pause ist musikalisch motiviert. Es gibt einen ganz wahnsinnigen Effekt am Schluß des 2. Aktes der Bläser und der Trommel (macht es vor/Anm.) nur dass sich zwei Menschen ansehen und sich verabreden, miteinander ins Bett zu gehen. Daher ist es gut, dass danach eine Pause ist, zumal das ganze ja unbefriedigt bleibt und man sich entsprechend schlapp dann am nächsten Morgen begegnet.
Kommen wir zu den Mitwirkenden. Die Interpreten der wichtigsten Rollen, Laura Aikin, Rainer Trost und Markus Marquart haben zwar schon öfter am Haus gesungen, aber noch nie eine Neuproduktion. Ich nehme an, Sie hatten ein Mitspracherecht bei der Besetzug und warum haben Sie sich gerade für diese Künstler entsachieden?
Mit der ursprünglich vorgesehen Besetzung der Hauptrolle war ich nicht einverstanden und habe mich quergelegt. Dann kam der Vorschlag Laura Aikin, mit der ich im Theater an der Wien die Lulu gemacht hatte. Da ich sie für eine grandiose Schauspielerin halte, war ich sofort damit einverstanden. Von Rainer Trost war ich sofort begeistert, weil ich ihn ja kenne. Herrn Marquard habe ich nicht gekannt, aber ich habe mir Videos von ihm angeschaut und war einverstanden. Das war alles ein sehr angenehmer Prozess. Anders als bei Herrn Holender. Ich hatte schon einen Vertrag, ich glaube es war für „Jenufa“, und ich habe ihn nicht eingehalten – das einizge Mal in meinem Leben übrigens – weil man zweimal, ohne mich zu informieren, die Hauptrolle umbesetzt hat.
Sie kommen als Regisseur vom Theater, sind sich aber der Bedeutung der Musik in der Oper voll bewusst, was – so hat man manchmal den Eindruck – bei nicht allen ihrer Kollegen der Fall ist. Anläßlich der Salzburger „Macbeth“-Produktion haben Sie einmal erzählt, dass Sie mit Riccardo Muti das Werk tagelang am Klavier durchegangen sind. Wie haben Sie das bei „Vec Makropulos“ gemacht?
Ich habe mich zunächst mit Welser-Möst getroffen, um mit ihm an der Partitur zu arbeiten. Das Problem war, dass er ledigich für den 1. Akt präpariert war. Ich beobachte schon länger, dass sich Dirigenten oft sehr spät mit der Partitur befassen. Da haben wir halt zunächst den 1. Akt gemacht, dann ist er ausgestiegen. Dann musste ich ein Jahr warten, dass ein neuer Dirigent kommt, bis dann endlich der junge Jakub Hrusa kam. Der war ausgezeichnet vorbereitet und wir haben die Partitur durchgearbeitet. Auf Grund der kurzen Zeit konnten wir das erst jetzt bei den Proben vertiefen. Er war immer dabei und ich gebe sehr gerne 50% meiner Proben für musikalische Proben her.
Ein nicht unwesentlicher Unterschied zwischen Theater- und Opernregie ist der Umstand, dass bei einer Theaterproduktion die Besetzung während der gesamten Laufzeit der Produktion ident bleibt, während es in der Oper, speziell in einem Repertoiretheater wie es Wien ist, wechselnde Besetzungen gibt, also Sänger einsteigen, die das Stück nicht mit Ihnen erarbeitet haben. Wie löst man dieses Problem?
Zunächst, dass man sich weigert, an einem Repertoiretheater zu arbeiten. Hier in Wien hatte ich von Anfang an mit Herrn Meyer besprochen, dass nur Serien gespielt werden, und zwar mit nur mit jenen Sängern, die mit mir gearbeitet haben. Wenn es dann einmal eine Wiederaufnahme gibt, dann möchte ich wieder hinzugezogen werden. Für den Krankheitsfall gibt es für jede Rolle einen Ersatz, der die Proben mitgemacht hat.
Was sind eigentlich Ihre nächsten Pläne? Soviel ich weiß, machen Sie in dieser Saison an der Mailänder Scala die „Zauberflöte“. Das besondere dieser Produktion ist die Zusammenarbeit mit jungen Sängern. Wie man lesen konnte, haben Sie bereits angeordnet, dass alle Mitwirkenden ein tadelloses Deutsch sprechern müssen. Das heißt, Sie werden den Dialogen einen besonderen Stellenwert einräumen?
Das ist schon seit langem ein Lieblingsprojekt von mir, ich habe das auch schon dem Theater an der Wien vorgeschlagen, aber es kam nicht zustande. Da in der „Zauberflöte“ bekanntermaßen 50% Dialoge sind, brauche ich Sänger, die akzentfrei deutsch sprechen. Die Dialoge sind eminent wichtig, weil sonst versteht man die Geschichte nicht. Ich werde die Dialoge natürlich behutsam bearbeiten, so dass sie von den Sängern leichter zu sprechen sind, aber so, dass man es kaum merken wird. Die Sänger kommen aus der Akademie der Scala. In dieser Akademie kann man alles, was zur Oper gehört, lernen. Gleich nach der Premiere reise ich nach Mailand und werde vier Tage pro Monat mit den jungen Leuten arbeiten. Ich erkläre ihnen auch, wie man spricht, und da sind sie dankbar. Das Risiko dabei ist natürlich, dass die sängerische Qualität nicht starmäßig ist.
Zum Abschluß noch eine etwas provokante Frage: Wird es wieder 13 Jahre dauern, bis Sie wieder an der Staatsoper arbeiten?
Das hängt nicht von mir ab. Ich sage ihnen ganz ehrlich, in 13 Jahren bin ich tot und ob ich davor in Wien noch einmal eine Aufgabe bekomme, weiß ich nicht. Ich würde es sehr gerne tun. Ich bin gerne in Wien, das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich bin immer sehr dankbar, wenn ich eingeladen werde. Das muss man auch sein und deswegen hätte ich nichts dagegen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Heinrich Schramm-Schiessl mit Peter Stein an 2.12.2015 in der Direktionsräumen der Wiener Staatsoper