Peter Blaikner:
VIRGINIA HILL
DAS MONDÄNE LEBEN EINER GANGSTERBRAUT
284 Seiten, Gmeiner-Verlag; 2022
In den amerikanischen Südstaaten lebte ein sehr armes kleines Mädchen, das immer dasselbe Kleid trug und das nie neue Schuhe bekam, weil man es sich nicht leisten konnte. Wenn sie die reichen Kinder sah, wurde sie von einer einzigen Leidenschaft angetrieben: einmal selbst reich zu werden. Als sie es dann war, entwickelte sie eine unbezähmbare Lust an Luxus, von Schmuck bis zu Nerzen…
Möglich war dies, weil sie nach Chicago ging, wo sie – immer bereit, ihren Körper einzusetzen – im Nachtclubmilieu geschmeidig Anschluß an die Gangster-Kreise fand – sie hatte die Skrupellosigkeit und die sexuelle Hemmungslosigkeit, um sich in diesem Milieu wohl zu fühlen, aufzublühen, sozusagen „Karriere“ zu machen, so weit es einer Frau in dieser Männerwelt möglich war.
Sie hieß Virginia Hill, das war ihr wirklicher Name, und sie wurde als „Gangsterbraut“ berühmt. Der österreichische Autor Peter Blaikner, der über Virginia auch ein Musical geschrieben hat, erzählt ihre Lebensgeschichte nun in einem flotten historischen Roman, der die 1916 Geborene in Amerikas wilde Zeiten hinein katapultiert – Prohibition, schrankenloses Gangstertum, ein Al Capone, der „Geldwäsche“ im wahrsten Sinn des Wortes mit Waschautomaten erfand, schließlich die lange Beziehung der ebenso attraktiven wie hemmungslosen Virginia zu „Bugsy“ Siegel, der nach dem Zweiten Weltkrieg Las Vegas geradezu erfand. An seiner Seite, auch immer wieder in Hollywood und anderswo unterwegs, war Virginia – immer noch verlässliche Geldbotin der Mafia – berühmt.
Was ihr Schicksal jedoch gerade für österreichische Leser interessant macht, ist die Tatsache, dass ihr Leben 1950 eine Wende nahm, die dazu führte, dass sie 16 Jahre später in Koppl bei Salzburg starb. Der zweite Teil des Buches beginnt so: „Hallo. Ich bin der Hans, euer Skilehrer.“ Seit den Olympischen Winterspielen in Lake Placid war in Amerika das Interesse am Skifahren erwacht. Da konnte auch ein Österreicher wie Hans Hauser, der in seiner Heimat ein preisgekrönter Skisportler gewesen war, seinen Lebensunterhalt verdienen. Er lebte schon länger in den Staaten, als er Virginia Hill begegnete, die von Bugsy Siegel getrennt war. Hochzeit und Geburt des Sohnes Peter ergaben sich schnell.
Nach Europa, zurück in Hausers Salzburger Heimat, gingen die beiden allerdings erst, als in den USA der Boden für Virginia zu heiß wurde. Als es große Anhörungen zur Mafia gab, wurde auch sie – unter lebhafter Anteilnahme der Medien – verhört und leugnete natürlich alles. Man schätze sie sehr, ließen ihre Mafia-Freunde sie wissen, aber jemand der so sehr im Blickpunkt der Öffentlich stände, sei für sie eigentlich nutzlos. Als dann auch noch eine gewaltige Forderung wegen Steuerhinterziehung auf sie zukam, war es Zeit, ihrem Leben als übel beleumdete Mafia-Braut ein Ende zu setzen.
In der Salzburger Heimat des Gatten misstrauisch beäugt, verlief der Rest ihres Lebens nicht sonderlich spektakulär. Gegensätzlicher hätten die Welten – jene, aus der sehr kam, und jene, in die sie kam – wohl nicht sein können. Für diesen Salzburger Teil hat der Autor, der selbst aus Zell am See stammt, noch Augenzeugen befragen und in Dokumente Einsicht nehmen können.
Als Virginia tot aufgefunden wurde, sprach ein kurzer Abschiedsbrief an ihren Mann eindeutig für Selbstmord. Sie wollte verbrannt werden, der Ehemann gab ihre Urne in sein Familiengrab. Er und sein Sohn sind später auch unter nicht völlig geklärten Umständen ums Leben gekommen. Im Hintergrund stand ja stets Virginias Befürchtung, dass sich die Mafia üblicherweise ihrer Mitwisser zu entledigen pflegte…
Es ist eine bunte Geschichte, vor allem im ersten Teil, und Virginia war sicher keine gewöhnliche Frau. Aber auch keine Heldin – und sie wird auch nicht dazu gemacht. Als Musical kann man sich ihre Geschichte weniger vorstellen – aber als Film von Scorsese, das wäre doch etwas!
Renate Wagner