PERUGIA UND UMGEBUNG: SAGRA MUSICALE UMBRA am 16. und 17. 9.2015
Perugia. Foto: Robert Quitta
Da fährt man also von Perugia aus eine knappe Stunde bei einbrechender Dämmerung in der umbrischen Gegend herum und schlängelt sich steile Bergstraßen hoch, bis man sich, es ist bereits dunkel, auf 653m, hoch über dem Transimener See, in einem dichten und finsteren Wald wiederfindet. Beim Aussteigen erwartet man eigentlich eher von Wölfen angefallen zu werden, als einem mittleren Weltwunder zu begegnen. Aber doch : da steht auf einmal – in the middle of really nowhere – eine mächtige, prächtige Kirche, von niemand geringeren als von einem Bramante- Schüler errichtet : das Santuario Madonna dei Miracoli in Castel Rigone.
Solche Erlebnisse sind charakteristisch, wenn man die renommierte und traditionsreiche Sagra Musicale Umbra besucht. Die heuer ihre 70. Edition feierte und unter dem Motto „voglio svegliare l’aurora“(ich möchte die Morgenröte erwecken) stand.
Ebenfalls typisch ist es für sie, dass man dabei nicht nur Überraschungen erlebt, was die Spielorte anlangt, sondern mindestens ebenso, was das musikalisch Gebotene betrifft.
Perugia. Foto: Robert Quitta
Im Fall des ganz Franz Schubert gewidmeten Konzerts in Castel Rigone waren das (neben den „bekannteren“ Programmpunkten wie dem Magnificat, Salve Regina und Tantum Ergo) vor allem zwei Psalme. Vom einen („Gott ist mein Hirte“) hatte man zumindest schon einmal gehört, aber von dem anderen, in h e b r ä i s c h e r Sprache vertonten Psalm 92 („Tov lehodos ladonoi“) ?
Nicht einmal annähernd. Von seiner Existenz nichts gewusst. Im Juli 1828, wenige Monate vor Schuberts Tod, auf Einladung des Wiener Oberkantors Salomon Sulzer entstanden, ist er allerdings ein äußerst enigmatisches und mit nichts anderem in Schuberts Schaffen vergleichbares Werk. Eine wahre Entdeckung (Ausführende: der Coro Canticum Novum unter Fabio Ciofino).
San Gemini. Foto: Robert Quitta
Dasselbe Erlebnis wiederholte sich am nächsten Tag, beim Ausflug nach Mongiovino. Nach einer ähnlich langen Autofahrt landet man 2km außerhalb eines unbedeutenden Kaffs, wiederum in der Mitte von Nirgendwo. Aber was erblicken da die ungläubigen Augen ? Schon wieder eine riesengroße Kirche, vielleicht noch größer als die andere, und schon wieder von einem Bramante-Schüler erbaut …!
Des Rätsels Lösung: in der Renaissance soll das Santuario di Mongiovino nach einer Marienerscheinung ein ungeheuer populärer Wallfahrtsort gewesen sein. Und da hat man dann halt nicht gekleckert, sondern geklotzt. Die Pilgerströme sind fast mittlerweile versiegt, aber dieses reich ausgeschmückte, ein wenig vom Verfall bedrohte, Monument steht noch immer da.
Und dank des künstlerischen Leiters der Sagra, Alberto Batisti, einem der besten Musikologen Italiens (der es weder sich, noch den Künstlern, noch uns leicht macht), erlebte man auch hier erneut eine ungaublich beglückende musikalische Entdeckung. Denn nach ein wenig – aber auch nur ein wenig – bekannteren und „eingängigeren“ Werken wie Beethovens irischen Liedern und Samuel Barbers „Hermit Songs“ brachten Elisaveta Martirosyan (Sopran), Marco Scolastra (Pianoforte), Mizuho Ueyama (Violine) und Gianluca Pirisi(Violoncello) auch Dmitri Schostakowitschs op.127, die „Sieben Romanzen auf Gedichte von Aleksandr Blok“ zur Aufführung. Der 1967 im Auftrag von Mstislav Rostopovitsch und dessen Gattin Galina Vishenvskaya entstandene Zyklus fällt aus Schostakowitschs Schaffen ebenso heraus wie der hebräische Psalm aus dem Schuberts, und ist ebenso bewegend und berührend. Vor allem das vierte Lied, „Die schlafende Stadt“ ist von einer solchen entrückten Schönheit, dass einem dabei auch durchaus die Tränen kommen dürfen.

San Gemini. Foto: Robert Quitta
Wer mehr Zeit erübrigen kann, könnte sich im nächsten umbrischen Herbst auch noch Konzerte in den mindestens so bezaubernden Nachbarorten Bevagna, Montefalco, San Gemini, Torgiano, Umbertide und Assisi zu Gemüte führen.
Robert Quitta, Perugia