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PARIS/Théâtre des Champs Elysées: FARNACE von A. Vivaldi

11.01.2012 | KRITIKEN, Oper

PARIS A. Vivaldi „FARNACE“ konzertant, Théâtre des Champs Elysées 10.1.2012

Non è, non è Farnace facil trionfo : « Nein, schnell zu besiegen ist Farnace nicht! »


Max Emanuel Cencic als „Farnace“

 Das Libretto des Venezianers Antonio Maria Lucchini, das die Konfrontationen Farnaces, des Königs von Ponto, mit seiner Schwiegermutter Berenice wortreich erzählt, wurde vom „roten Priester“ sieben Mal(!) vertont. Von den beiden erhaltenen Versionen (Padua, Ferrara) hat Diego Fasolis, musikalischer Spiritus Rektor des Unterfangens, gemeinsam mit Frédéric Delaméa als Pionier die Partitur von Ferrara aus dem Jahr 1738 (3. Akt und vollkommen überarbeitete Rezitative) rekonstruiert. Der Oper Farnace des 60-jährigen Vivaldi war indes zu Lebzeiten des Komponisten kein Erfolg beschieden. Zu sehr hatte die Mode des „neuen virtuosen neapolitanischen Gesangs“ und der zu ihrer Zeit berühmtesten Vertreter Leo, Vinci und Porpora, später Hasse, bereits Oberhand gewonnen.

O tempora, o mores. Das Pendel der Zeit scheint jetzt wieder zurückzuschlagen: Letztgenannte Komponisten harren noch der großen (medialen) Wiederentdeckung, während auch ausgefallenere Vivaldi-Titel nicht zuletzt dank der äußerst verdienstvollen Vivaldi-Edition des Lables Naive in den CD-Schränken vieler Liebhaber von Barockmusik schon längst ihren Ehrenplatz gefunden haben.

In diesen Wiederbelebungs-Erfolg reiht sich auch die gestrige konzertante Aufführung des Farnace im TCE. Diego Fasolis, der in letzter Minute krankheitsbedingt absagen musste, wurde vom jungen, tapferen Cembalisten Andrea Marchiol gut ersetzt. Wenngleich der junge Musiker, wie das anhand der im Sommer 2010 in Lugano entstandenen Aufnahme (Virgin Classics, in ähnlicher Besetzung) nachzuhören ist, noch nicht wie sein berühmter Mentor voll das Feuer und den Elan des Ensembles I Barocchisti entfachen kann, gelingt schlussendlich eine rundum geglückte Wiedergabe der letzten uns überlieferten Oper Vivaldis. Worum geht es in Farnace? Um Macht, Schlachten, Familienfehden, befohlenem Kindesmord, Intrigen, Hass und Liebe um zwei feindliche Lager: Farnace, Tamiri, Selinda gegen Berenice und Pompeo. Dem römischen Präfekten Aquilio und Berenices Hauptmann Gilade verspricht Selinda (Schwester des Farnace) ihre Liebe gegen Verrat und Totschlag. Nach allgemeinem Sinneswandel sind am Ende alle wieder lieb zueinander und Farnace, der König von Pontus, erhält zu allgemeiner Freude seinen Thron zurück. Gesungen wird diese sonderbare Mischung aus barocker Norma und Medea mit Happy End durchwegs exzellent. Die Sänger gehören allesamt der jungen Generation an. Mit mehreren echten Atouts, deren Namen man sich einprägen sollte. Der Reihe nach: Besser als Max Emanuel Cencic kann man den Titelhelden Farnace nicht singen. Dem Ausnahmetalent Cencic stehen sowohl die nötige Technik in den „pyrotechnischen“ Koloraturarien, ein traumwandlerisches Legato sul fiato etwa in „Gelido in ogni vena“, vielleicht der schönsten Arie Vivaldis überhaupt, als auch die geforderte Dramatik für die Rezitative zur Verfügung. Cencic erweckt die Figur mit rein stimmlichen Mitteln so glaubwürdig zu blutvollem Leben, dass man darüber sogar die schemenhafte Anlage der opera seria vergisst. An zweiter Stelle folgt für mich sofort die Selinda der Hilke Andersen. Die finnische Kontraaltistin wartet nicht nur mit satter, reich timbrierter Stimme auf, sondern verleiht ihrem Gesang und damit dem Drama einen unvergleichlich markanten Charakter. Der vor allem in Frankreich wirkenden Mezzosopranistin Blandine Staskiewicz als stimmlicher Lichtgestalt gelingt mit der Arie „Scherza l’aura lusinghiera“ einer jener Theatermomente, wo der Zuhörer allen Gesetzen des Alltags enthoben sich wohlig in die Wolken vokalen Glücks fallen lassen kann. Die in Wien bestens bekannte Ruxandra Donose als Königin Tamiri wird neben ihrem umfangreichen klassischen Mezzo-Repertoire auch den Girlanden vivaldischer Virtuosität mit Bravour gerecht. Ein Quentchen mehr an Mut zu Ausdruck im Wort sowie dramaturgischer Kontur und der Platz in der ersten Reihe in diesem Fach wäre gesichert. So wie in der CD-Einspielung Diego Fasolis wird die Rolle der „biestigen“ Schwiegermutter Berenice von der Kanadierin griechischem Ursprungs Mary-Ellen Nesi gesungen. Ihre vier großen Solonummern könnten noch mehr zu den balsamisch frischen Energiequellen in der 3-stündigen Aufführung gehören, ließe die Künstlerin mehr an Impetus und stimmlicher Entäußerung vernehmen. Weniger Begeisterung hinterließen die beiden Tenöre Daniel Behle als Pompeo und Emiliano Gonzales-Toro als Aquilio. Behles trockenes, sachliches Timbre und Gonzales-Toros zu veristisch eingesetzte Stimmittel sind keine idealen Voraussetzungen für die Interpretation italienischer Barockmusik.

Was man aber auf jeden Fall wissen sollte: Die Produktion, Organisation und Durchführung der gesamten Aufführungstournee liegt in den Händen der kleinen, aber feinen österreichischen Agentur Parnassus Arts Productions (Sitz Baden bei Wien). Dessen rühriger Impresario Georg Lang stellt nicht nur die Besetzungen, CD-Produktionen und Tourneen zusammen, sondern hat ein beispielhaftes Modell eines europäisch barocken „Wandertheaters ohne Theater“ entwickelt. Ohne staatliche oder sonstige Subventionen, arbeitet Lang mit Hartnäckigkeit, Überzeugung und in Ko-Operation mit einer Reihe von mittleren europäischen Theatern vorwiegend in der Schweiz, in Frankreich und in Spanien an der Wiederentdeckung vergessener Meisterwerke. Eine wahrlich bewundernswerte Initiative. Musikbegeisterte haben so die Gelegenheit, die Oper Farnace noch im Mai dieses Jahres in Frankreich an der Opéra National du Rhin in Strasbourg (szenisch), im Juni 2012 in Amsterdam (Concertgebouw) und an der Opéra National du Rhin in Mulhouse wiederum in Szene zu sehen. Die nächste Produktion wird der Oper „Ataserse“ des bereits eingangs erwähnten Neapolitaners Leo Vinci gewidmet sein. Die Tournee wird im September 2012 mit der Prémière an der Opéra National de Lorraine in Nancy starten.

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

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