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PARIS/ Théâtre des Champs Elysées: LA CLEMENZA DI TITO

27.02.2012 | KRITIKEN, Oper

Paris Théâtre des Champs Elysées „LA CLEMENZA DI TITO“ konzertant, 25.2.2012


Malin Hartelius, Alice Coote und Michael Schade. Foto: Petra Coddington

Paris Théâtre des Champs Elysées „LA CLEMENZA DI TITO“ konzertant, 25.2.

 

Nach der szenischen Aufführungsserie in der Opéra National de Paris im Palais Garnier im Oktober 2011 nun also als Zugabe eine konzertante Version des genialen Spätwerks im TCE. Eine beeindruckend schöne Ensembleleistung, die ihren nachhaltigsten Eindruck im einzigartigen Quintett-Finale des ersten Aktes entfaltet. Musik pur, Balsam fürs Gemüt, und ein kleiner akustischer Vorgeschmack, zumindest was die Besetzung der Hauptrolle und den Dirigenten betrifft, auf die Titus Premiere an der Wiener Staatsoper am 17. Mai.

Eine nicht-szenische Aufführung hat den Vorteil für den Rezensenten, dass man sogleich in medias res in Sachen Musik einsteigen kann. Also zuerst einmal heißt es Eulen nach Athen tragen bzw. für die kommende Wiener Neuinszenierung zu bekräftigen: Michael Schade ist ideal in der Rolle des römischen Kaisers Titus‘, dessen Gerechtigkeitssinn nicht dem Bild eines aufgeklärten Herrschers entspricht, sondern vielmehr dem eines Mannes, der empfindet, liebt, leidet, entsagt und sich hinter seine Staatsgeschäfte stellt. Schades Tenor, im schönsten Herbst seiner Stimme zu einem edlen Instrument gereift, wandelt die psychologisch doch etwas steife Figur in differenzierten Ausdruck. Wenn Schade die Bühne betritt, wird der kahle enge Raum zwischen den Orchester-Sesseln zum fesselnden Schauplatz. Ambivalente Ehr- und Liebesgefühle, Freundschaft, letztendlich Zorn, Enttäuschung, Verzicht auf Rache (nicht auf Macht) und eine mystische Verschmelzung mit dem Volk sind die (emotionalen) Ingredienzien dieses eigentümlich einsamen Mannes. Für einen Herrscher freilich sind Vergebung von Hochverrat und Revolte seltsame Utopien in sich. Ein Regent, dessen Legitimation vor allem aus Macht(erhalt) für sein Volk besteht, darf bei laesio majestatis nicht einlenken. Das wäre für den Staat destabilisierend. Eigentlich gehört ein solcher Herrscher weg vom Thron. Bringt die Oper (Uraufführung zwei Jahre nach der frz. Revolution) in Wahrheit damit nicht noch viel radikaler eine „Absolutismus-Endzeitstimmung“ zum Ausdruck als Figaro? Viele Fragen, die durch die Faszination Mozart-Gesang wenn schon nicht gelöst werden, so doch in die zweite Reihe treten. Wenn Schade singt, gibt ein Stilist hohen Ranges dem Zuhörer eine genießerische Lektion in Sachen musikalischer Dramaturgie und Ästhetik. Der kann sich als „neutralerer“ Gast als beim effekt-geladeneren Idomeneo in eine quasi Oratorien-Essenz klassischer Gefühle und Konflikte versenken. Und bei genauem Hinhören vor allem zu Ende der Oper schon die Entwicklung hin zur Komplexität und Wucht Beethovens erspüren. Für mich klingt das Finale schon nach Fidelio, wobei unenthüllt bleibt, wer schlussendlich wen wovon befreit? Rund um diesen Michael Schade ein großes Ensemble:

Die Römerin Rosa Feola, die als Servilia die positive Seite der Liebe verkörpert, füllt den vokalen Kelch ihrer Rolle mit exquisiten Kuppeltönen. Ein üppiger lyrischer italienischer Sopran, untadelig in Intonation und Stil. Im Duett mit ihrem Geliebten Annius, den Christina Daletska mit feminin jugendlichem Feuer charmant serviert, bleibt kein Wunsch offen. Das kann man leider nicht uneingeschränkt von der Vitellia der Malin Hartelius sagen. Die in Schweden geborene, in Wien ausgebildete und am Züricher Opernhaus beheimatete lyrische Sopranistin ist eine begnadete Mozart-Stilistin. Sie weiß, was sie singt und wie man aus Tönen einen musikalischen Charakter formt. Aber warum nimmt sie gerade die Vitellia in ihr Repertoire auf, eine Rolle, die in Relation zu den vorhandenen vokalen Mitteln zu groß dimensioniert ist? Weder verfügt Hartelius – auch im Vergleich zu ihren Bühnenpartnern – über das nötige Stimmvolumen, noch hat sie die Partie technisch ganz im Griff. In der großen Arie im 1. Akt schafft sie es mit Kunstfertigkeit und letzter Reserve gerade noch, einen finalen Absturz zu vermeiden. Dennoch hat sie mich berührt und auch das Publikum gefesselt. Zu verdanken ist dieses Paradoxon dem außerordentlichen künstlerischen Vermögen dieser Sängerin. Über ein solches verfügt auch die Interpretin der Schlüsselfigur Sextus, von Mozart mit der schönsten Musik bedacht. Alice Coote ist unbestreitbar ein vollwertiger Ersatz für die ursprünglich angekündigte, durch eine Babypause verhinderte Elina Garanca. Alice Coote nennt einen perfekt geführten, in allen Registern ausgeglichenen Riesenmezzo ihr Eigen. Ihr Sextus ist kein larmoyanter, innerlich Zerrissener, sondern ein ganzer Kerl, der bewusst bereit ist, den Freund Titus aus Liebe für Vitellia zu morden. Ein faszinierendes Stimmporträt, wobei auch die leiseren Töne gelingen. Alice Coote hat lässt mit dieser Leistung zukünftige schwerere Kaliber, wie Kundry, Brangäne oder sogar Ortrud erahnen. Der gediegene Publius des britischen Basses Brindley Sherratt komplettiert ein Ensemble, das aus der Oper Titus einen Suchtfaktor macht.

Und das Orchester und sein Dirigent? Ich möchte und kann keinen Vergleich zum in Wien engagierten Titus-Ensemble ziehen, aber dass das Wiener Staatsopernorchester unter dem Dirigenten Louis Langrée hoffentlich saftiger, samtiger bzw. mutig akzentuierter klingt als die doch recht trockene, klein dimensionierte Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, lässt sich unschwer prophezeien. Louis Langrée ist mehr als ein Routinier, er sorgt für spannendes musikalisches Theater. Als Atout der Pariser Aufführung ist abschließend noch der Deutsche Kammerchor unter der Leitung Florian Benfers zu erwähnen. Ein für dieses Repertoire prädestiniertes Ensemble mit jungen, vollen vibratoarmen Stimmen, traumwandlerischer Intonation und vorbildlichem chorischem Zusammenklang.

Das Publikum des TCE hat die Aufführung zu Recht lange und begeistert akklamiert.

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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