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PARIS: Théâtre de l’Atelier – 8 XI 2015 „HOMMAGE AN INGRID CAVEN“

"Schatten der Engel" BRD/CH 1975/1976 Rainer Werner Fassbinder, Ingrid Caven

„Schatten der Engel“
BRD/CH 1975/1976
Rainer Werner Fassbinder, Ingrid Caven

PARIS:
„HOMMAGE AN INGRID CAVEN“ Théâtre de l’Atelier – 8 XI 2015

Filmretrospektive und Konzert der „letzten deutschen Diva“ in Paris

 

Wer ist Ingrid Caven? In Deutschland kennt man sie vor allem als Frau von Rainer Werner Fassbinder, als Schauspielerin. In Frankreich eher als Frau des Schriftsteller Jean-Jacques Schuhl, als Sängerin. Und in der Opernwelt als Schwester der Mezzosopranistin Trudeliese Schmidt (unter anderem allein 120 Vorstellungen an der Wiener Staatsoper von 1974-1991).
Das Goethe-Institut in Paris organisierte nun eine „Hommage“, in der die vielen Facetten der Diva wörtlich „ans Licht kamen“. Denn will man die schillernde Identität der Caven begreifen, so muss man aus dunklen Archiven alte Filme hervorholen, die man so gut wie nie mehr irgendwo sieht. Das Goethe-Institut zeigte einige alte Filme von Walter Bockmayer, Rainer Werner Fassbinder und Daniel Schmid, die alle in einer „Halbwelt“ von Ganoven, Prostituierten, Transvestiten und Zuhältern spielen und, in denen Ingrid Caven meistens als zwielichtige „Chansonnière“ auftrat.

Ihren Durchbruch erlebte Caven 1974 mit dem Film „La Paloma“ von Daniel Schmid, damals noch ein Mitglied des „Antiteaters“ von Rainer Werner Fassbinder in München, bevor er zehn Jahre später ein gefeierter Opernregisseur in der Schweiz wurde. In „La Paloma“ spielt Caven eine moderne Traviata: eine Nachtclubsängerin, die an Tuberkulose leidet und von einem reichen Verehrer von Kurort zu Kurort geführt wird, bis sie schließlich im Schloss seiner Familie landen. Das alles wird sehr opernhaft erzählt, denn der Verehrer/Ehemann Isidor im Film ist eine moderne Fassung von Paul aus Korngolds Oper „Die tote Stadt“. Nur eben, dass die Stadt nicht Brügge ist, wie im Roman von Georges Rodenbach, sondern ein Schloss am Genfer See. Und hoch in den Bergen singen La Paloma und Isidor das berühmte Lied/Duo „Glück was mir verblieb“ (in Play Back mit einer alten Aufnahme von Lotte Lehmann & Richard Tauber).
In Daniel Schmids Film „Schatten der Engel“ (1976), nach Fassbinders Theaterstück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ spielt Ingrid Caven eine überhaupt nicht idealisierte Prostituierte, die sich hörig von ihrem miesen Zuhälter (Fassbinder selbst) verprügeln lässt und in den artifiziellen Dialogen danach auch noch ganze Sätze aus der „Zauberflöte“ zitiert. So haben wir sie noch nie gehört! Was immer man von Fassbinder hält – deutlich die stärksten Filme der „Hommage“ im Goethe-Institut –, man kann ihm nicht absprechen, dass er sich genuin mit der deutschen Geschichte & Philosophie beschäftigt hat.

"Mutter Küsters Fahrt zum Himmel" BRD 1975 Ingrid Caven

„Mutter Küsters Fahrt zum Himmel“
BRD 1975
Ingrid Caven

Genau dafür steht Ingrid Caven in Paris. Ihr Lebensgefährte Jean-Jacques Schuhl schrieb eine Biographie über sie, die er mit einem Zitat aus „Über das Marionettentheater“ von Heinrich von Kleist einleitete. Schuhl, der für dieses Buch den hochangesehenen „Prix Goncourt“ bekam (der wichtigste Literaturpreis in französischer Sprache), eröffnete die Hommage im Goethe-Institut mit einer einstündigen Laudatio an seine Frau. Caven antwortete bescheiden, dass sie sich in all diesem Lob gar nicht wiedererkennen würde – denn das sei nicht sie, sondern ein Wesen, das ihre Freunde erfunden haben. So lässt sich die Faszination erklären, die Ingrid Caven in Frankreich ausübt – wo sie viel, viel bekannter ist als in Deutschland oder Österreich. Sie ist eine Ikone, „eine Romanfigur“, so wie es nun die Zeitung „Le Monde“ auf einem ganzseitigen Artikel schrieb (ich erinnere mich nicht, dass ein Opernabend eine ganze Seite in „Le Monde“ bekommen hätte).

Zum Abschluss gab Ingrid Caven ein Konzert im Theater de l’Atelier, ein kleines, altes Theater in Montmartre. Am Klavier saß Jay Gottlieb, seit über dreißig Jahren ihr treuer Begleiter und Arrangeur. Sie trug nun nicht mehr das lange Kleid, das Yves Saint-Laurent 1978 für ihren legendären Auftritt im Folies Pigalle (zwei Monate lang ausverkauft) entworfen hatte. Der schwarze „fourreau“, mit theatralischer Schleppe und Rückendekolleté saß 1986 im Théâtre de l’Odéon noch perfekt. Fünfzehn Jahre später, im Rond-Point des Champs-Elysées „schwabberte“ es schon so sehr, dass Saint-Laurent darauf bestand es um einige Zentimeter zu kürzen. Jetzt blieb nur noch ein Torso von dem übrig, denn Ingrid Caven ist inzwischen so geschrumpft, dass sie die lange Schleppe nicht mehr „schleppen“ kann. Leider blieb auch nur noch ein „Torso“ von ihrer Stimme übrig.
Sie begann den Abend mit dem für sie komponierten „Abendstern“ von Hans-Magnus Enzensberger (Text), mit Musik von Peer Raben (der als einer der treusten Weggefährten von Fassbinder die Musik beinahe aller seiner Filme komponiert hat). Nach diesem Lied heißt auch Cavens einzig noch erhältliche Platte. Doch der Unterschied zu dem, was man auf der Aufnahme aus 1979 hört, ist leider sehr groß. Ihr Auftritt ging vollkommen daneben: Ingrid Caven sang entweder zu hoch oder zu tief und schaffte es nicht der Orchesterbegleitung auf Band zu folgen. Gab es ein technisches Problem, konnte sie das Band nicht gut hören? Wie dem auch sei, sie bewies eiserne Nerven und große Professionalität, indem sie einfach weitersang. Und beim nächsten Lied, „Die Frau in schwarz“ ging es schon besser. Das berühmte „Shanghai“ aus dem Film „La Paloma“ hat sie teilweise runteroktaviert und mehr gesprochen als gesungen. Denn aus der Sängerin ist inzwischen eine Diseuse geworden, die sich in den Liedern, in denen sie hauptsächlich sprechen muss, am wohlsten fühlt. Sie nuschelte, raschelte und machte die seltsamsten Geräusche – genau, gekonnt und sehr expressiv. Am besten war sie in den Liedern von Peer Raben mit Texten von Jean-Jaques Schuhl, wie „American Bar“, „Hall d’hôtel“ oder „La la la“.

"Schatten der Engel" BRD/CH 1975/1976 Rainer Werner Fassbinder, Ingrid Caven

„Schatten der Engel“
BRD/CH 1975/1976
Rainer Werner Fassbinder, Ingrid Caven

Marlene Dietrich, die letzte deutsche Diva in Paris, die sich gerade von der Bühne zurückzog als Ingrid Caven erschien, sang mit 75 in ihrem letzten Konzert im Espace Cardin genau eine halbe Stunde lang sieben Lieder, kerzengerade in ihrem weißen Mantel aus Schwanenfedern. Ingrid Caven sang dagegen fast zwei Stunden – 23 Lieder! Sie hüpfte dabei wie ein junges Mädchen über die Bühne, kniete, lag singend auf dem Boden und tat einiges mehr, das man von einer 76-jährigen Dame kaum erwarten würde. Das Publikum dankte ihr mit einer „Standing ovation“.

 

Waldemar Kamer

MERKEROnline-Paris

 

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