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PARIS/ Salle Pleyel: PHAÉTON von Jean Baptiste Lully

27.10.2012 | KRITIKEN, Oper

PARIS „PHAÉTON“ Salle Pleyel, 25.10.2012


Christophe Rousset. Foto: Klara Festival

 Jean-Baptiste Lullys zehnte tragédie lyrique konzertant für Feinspitze barocker Kulinarik – ein Hochgenuss mit amuse-bouche und fünf wahrlich köstlichen Gängen.

 Christophe Rousset ist nicht nur einer der begabtesten Cembalisten Frankreichs, wie seine Referenzeinspielungen der Werke Couperins, Rameaus, d‘Angleberts oder Forquerays eindringlich belegen. Als Dirigent des renommierten Originalklangensembles Les Talents Lyrique hat er sich ebenso um die Neuentdeckung der Opern des Florentiners Lully verdient gemacht. Nach Persée, Roland und Béllerophon stellt er nunmehr dessen Meisterwerk Phaéton nach den Aufführungen im Juli beim Festival de Beaune dem Pariser Publikum vor. Die Aufnahme des Mitschnitts soll im Herbst 2013 beim CD-Label Aparté als weiterer Meilenstein in der Lully-Diskographie erscheinen.

 Philippe Quinault hat ein berühmtes Sujet dramatisch zubereitet, das wie ein Handschuh das feine kompositorische Händchen Lullys umhüllt. Der große Erfolg des affektgeladenen Werks (Uraufführung 1683) soll aber neben den kurzweiligen Arien, Ensembles und Ballettszenen ebenso dem Glanz der Kostüme, Maschinen und Dekors zu verdanken gewesen sein. Da eignet sich natürlich die Schlussszene mit dem schwindelerregenden Lauf des Sonnenwagens samt dem spektakulären Absturz Phaétons, der von Jupiter mit einem Blitz für seine Kühnheit niedergestreckt wird, besonders für barocken Bühnenzauber. Tja, der Sonne soll man nicht zu nahe kommen, diese Botschaft dürfte zusätzlich für spannenden Schauer im Rücken der ehrgeizigen und stolzen Höflinge von Versailles gesorgt haben.

 Was den heutigen Zuhörer so berührt, ist, wie sehr es dem Komponisten neben aller „Sonnenherrlichkeit“ und höfischer Delikatesse vor allem um das Liebes(un)glück der beiden weiblichen „Heldinnen“ gegangen ist. Phaéton, von Théone geliebt, möchte unbedingt König von Ägypten werden. Aber Libye, die Thronerbin des Königs Mérops, liebt Épaphus. Was den König nicht weiter kümmert, er will Phaéton als Erben und Gatten seiner Tochter. Nach einigen Intrigen und Handlungsvolten scheitert der allzu ehrgeizige Titelheld und stürzt in den Tod. Und obwohl die Oper nach Phaéton benannt ist, der mit Emiliano Gonzales Toro vokal dramatisch gut besetzt ist und vom Ausdruck her machtbesessen über „Liebesleichen“ geht, adelt Lully die betrogene Théone mit der schönsten Musik. Isabelle Druet als unglücklich treu Liebende verfügt über einen Prachtmezzo der Sonderklasse und rührt in ihrem Monolog „Il me fuit l‘inconstant“ („Der Untreue flieht mich“) zu Tränen. Auch stilistisch singt sie alle Verzierungen fokussiert und klangemotional höchst differenziert. Bravo. Den Namen wird man sich merken müssen. Im Gegensatz zu dem auch in Frankreich viel öfter gespielten Händel legt Lully großen Wert auf Ensembleszenen. So gehören die beiden Duette der unglücklichen Königstochter Libye (Gaëlle Arquez) und ihrem geliebten Épaphus (stimmgewaltig Andrew Foster-Williams) im 2. und 5. Akt zu den Höhepunkten der Partitur. Besonders hervorheben möchte ich den in diesem Fach bereits bestens bekannten Tenor Cyril Auvity, der als Triton und Sonne vokale Sterne in die Salle Pleyel zaubert.

 Eine der Schwierigkeiten in der Interpretation der Musik Lullys besteht darin, die langen Rezitative bei aller Präzision mit Expressivität so zu laden, dass der Spannungsbogen erhalten bleibt. Eine schwierige Kunst fürwahr. Zumal die oftmals extrem kurzen musikalischen Motive, die häufigen rhythmischen Wechsel, der verschwenderische Einsatz komplexer Kontrapunktik von den Interpreten bei allem Tempo der einzelnen Szenen eine gewisse überlegene Ruhe im Gesamtüberblick voraussetzt. Und hier gebührt dem Spiritus Rektor des Unterfangens, Christophe Rousset, ein besonderes Lob. Bei aller Feinzeichnung des motivischen Geflechts in raffiniertesten Verästelungen gleich einem französischen Barockgarten behält er stets das Ganze, den dramatischen Bogen im Auge. Und damit das Unternehmen gelingt, wird er dabei nicht zuletzt vom Choeur de chambre de Namur auf Augenhöhe unterstützt. Jede/jeder einzelne der 20 Choristen sollte namentlich genannt werden, so wunderbar singen sie im tutti oder solistisch in diversen Formationen und leihen so Wassergöttern, Furien oder dem Volk ihre schönen Stimmen.

 Der reich mit musikalischen Köstlichkeiten gedeckte Tisch wäre aber unvollständig, ohne den weiteren Solisten zu danken, die das Licht ihre großen Könnens großzügig verströmen: Ingrid Perruche in der Rolle der ehrgeizigen Mutter Phaétons, Frédéric Caton als König Mérosp, Herbst und Jupiter, Benoit Arnould als Protée und Saturn sowie Virginie Thomas (ägyptische Hirtin).

 Wer sich Phaéton schon vor dem Erscheinen der Gesamteinspielung unter Christophe Rousset zu Hause anhören will, hat schon jetzt dazu Gelegenheit und wird mit der Aufnahme unter Marc Minkowski von der Opera de Lyon aus dem Jahr 1993 bestens bedient.

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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