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PARIS/ Opéra Comique: „LA MUETTE DE PORTICI“ von Auber – Sensationelle Ausgrabung

13.04.2012 | KRITIKEN, Oper

Paris: Sensationelle Ausgrabung: Auber „LA MUETTE DE PORTICI“, Opéra comique, 11. 4. 2012

Das Libretto (in Versen) von Eugène Scribe für La Muette de Portici von Daniel-François-Esprit Auber (Biographien im Anhang) spielt 1647 in Neapel zur Zeit der Revolte gegen die spanische Besetzung. Die Hochzeit der Prinzessin Elvire mit Alphonse, dem Sohn des spanischen Vizekönigs, wird vorbereitet. Doch die stumme Fenella erkennt in Alphonse ihren Verführer. Ihr Bruder, der Fischer Masaniello, ruft zum Aufstand gegen die verhasste spanische Besetzung. Elvire vergibt Alphonse und versucht, Fenella zu finden um sich ihrer anzunehmen. Masaniello, entsetzt über die Gräuel der Aufständischen, droht die Kontrolle über den Aufstand zu verlieren. In diesem Moment suchen Alphonse und Elvire Schutz bei ihm, der die Gastfreundschaft ehrt. Masaniello muss nun den Zorn seiner rebellischen Freunde fürchten. Sein Freund Pietro sieht ihn als einen Verräter und neuen Tyrannen und vergiftet ihn (die Erinnerung an Robespierre war während der Restauration noch sehr präsent). Der sterbende Masaniello rettet Elvire vor den Rebellen. Alphonse mobilisiert inzwischen Truppen gegen die Revolte. Am Ende der Oper bricht der Vesuv aus, und Fenella stürzt sich verzweifelt in die glühende Lava. Also ein einigermaßen wüstes Libretto!

Musikalisch ist die Oper stark von Gluck, Mozart und Rossini beeinflusst, aber Auber ist ein wirklicher Könner. Auffallend sind mehrere sehr hübsche Barkarolen – bei Fischern kein Wunder – als Arien oder Ensembles mit Chor, z.B. in der wunderschönen Markt-Szene. Für die Sänger ist die Oper ausgesprochen „dankbar“, denn La Muette de Portici ist ein ausgezeichnetes Beispiel des Melodrama des 19. Jahrhunderts. Es ist unverständlich, weshalb dieses prächtige Werk nicht öfter gespielt wird.

Für diese Ausgrabung wurden keine Kosten gescheut. Unter der musikalischen Leitung von Patrick Davin spielten Orchester und Chor des Théâtre Royal de la Monnaie großartig. Der junge Dirigent dirigierte bereits die sehr zackige Musik der Ouvertüre mit enthusiastischem Schwung und zeigte sich als ein hervorragender Begleiter der Sänger. Obwohl er ein Schüler der „Modernen“ (Boulez, Eötvös) ist, zeigte er sich durch sein straffes Dirigat den Schwierigkeiten der ungewohnten Partitur gewachsen.

Die Inszenierung der Produktion war in den Händen der sizilianischen Dramaturgin Emma Dante, die auch das ganze Bühnenteam mitbrachte. Die Ästhetik von Frau Dante ist gewöhnungsbedürftig (Siehe die von ARTE aus der Scala übertragene Carmen vor zwei Jahren). Das kahle Bühnenbild von Carmine Maringola ließ einige Wünsche offen. Zu Beginn der Aufführung glaubte man sich auf einem Friedhof zu finden, denn acht ca. 2m hohe schmale Blöcke zierten die Bühne. Doch diese Blöcke stellten sich als Türrahmen heraus, die verschieden tapeziert für ziemlich alles herhalten mussten und wie Zusammenstoßautos herumgefahren wurden. Schließlich ergaben am Schluss die leeren, in einer Reihe aufgestellten Türrahmen eine Art Laubengang. Die Kostüme von Vanessa Sannino waren zwischen banal und verrückt; nicht ganz verständlich waren die schwarzen Masken der Tänzer der Fischer. Das noble spanische Ehepaar Elvire und Alphonse trug stilisierte Halskrausen und bizarre Kostüme, wie der ganze Hof. So trugen die Damen (einschließlich des Chors) große Reifenkleider, halb offene, richtige Käfige, die von innen beleuchtet waren! Masianellos Behausung bestand aus einer leeren Bühne, einer Glühlampe, mit einem blauen Segel (?) im Hintergrund und einer querstehenden Türe. Dominique Bruguière sorgte für die passende Beleuchtung.
Sehr wichtig war hier die Choreographie von Sandro Maria Campagna, denn es gibt mehrere Ballette – wir sind ja im Paris von 1828, die durchwegs sehr packend waren (einige wurden zum Glück gestrichen, die Vorstellung dauerte immerhin über 3 ½ Stunden mit zwei kurzen Pausen). Vor allem wird die Titelfigur, die stumme Fenella, von einer Tänzerin, Elena Borgogni, dargestellt, die ihre „Äußerungen“ durch Gesten darstellen muss. Die physische Leistung von Frau Borgogni, immer mit einem großen feuerroten Schleier, ist bewundernswert, denn sie war meist sehr „verständlich“, doch eher hysterisch und bisweilen einigermaßen exzessiv. Sie ist zwar stumm, aber nicht irr! Die Schlussszene, wo sie sich in die Lava des ausbrechenden Vesuvs stürzen soll, wurde durch einen von zwei Stiegen flankierten und von einer roten „Säule“ verdeckten Berg ersetzt. Die Säule – Fenellas Schleier – „stürzt“ ein und sie erscheint goldgekrönt in einer Heiligen-Nische – einigermaßen kitschig.

Die durchwegs guten Sänger wurden von Michael Spyres als Masaniello, dem Bruder Fenellas, angeführt. Der amerikanische Tenor, der in Berlin an der Deutschen Oper engagiert ist, hat nicht nur eine sehr kräftige und ausdrucksvolle Stimme, sondern verfügt über eine außergewöhnliche Phrasierung und eine mustergültige Diktion. Seine große Arie im 4. Akt „O Dieu! toi qui m’as destiné“ war ein großer Moment und wurde mit langem Szenenapplaus bedacht. Seine Registerübergänge sind unmerklich und ich musste an Leo Slezak denken (den ich natürlich nur von Platten kenne). Ein großer Sänger, dessen Karriere sicher außergewöhnlich sein wird.

Der zweite Tenor war ein großer, fescher Russe, Maxim Mironov, der Alphonse, dem Sohn des spanischen Vize-Königs, Statur und seine volle Stimme gab. Er spielte auch – trotz der großen, etwas läppischen gepuderten Perücke – den von Reue gepeinigten Prinzen höchst überzeugend. Das war leider nicht ganz der Fall bei seiner Gattin Elvire, der Église Gutierrez zwar eine gute Darstellung gab und auch teilweise ordentlich sang, doch ihre Höhen waren durchwegs gepresst oder sie hatte Schwierigkeiten, eine Kantilene richtig zu führen. Diese Rolle, die ein besonders großes Stimmausmass umfasst, kann heute wohl nur Antonacci, di Donato oder Bartoli singen. Schade!
Als Masianellos Freund Pietro war Laurent Alvaro zu erleben. Mit Spyres intonierte er das emblematische Ensemble „Amour sacré de la patrie“ des 2. Akts. Dieser sehr verlässliche Bariton gab dem Fischer, der befürchtet, dass Masaniello ein neuer Tyrann werden könnte und ihn vergiftet, sowohl stimmlich als auch darstellerisch eine sehr kraftvolle Figur. Als Fischer Borella war Tomislav Lavoie rollendeckend, ebenso wie Jean Teitgen als Selva. Lorenzo, der Handlanger Alphonses wurde mit schwarzem Bass von Martial Defontaine passend dargestellt.

Diese interessante Produktion – die erste seit dem 19. Jhdt. in Frankreich (!) – der Opéra Comique kam in Koproduktion mit dem Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel zustande, sowie mit Hilfe des Centre de musique romantique française / Palazzetto Bru Zane in Venedig. Die Aufführungsserie war natürlich total ausverkauft und das Publikum dankte mit stürmischem Applaus den Künstlern.   

          Wilhelm Guschlbauer

 

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