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PARIS/ MC93 Bobigny: LA FINTA GIARDINIERA

30.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Paris MC93 Bobigny „LA FINTA GIARDINIERA“ 29.6.2012


Joao Pedro Cabral (Comte Belfiore) und Chenxing YUAN (Sandrina). Foto: Mirco Magliocca

Mozart in der Pariser Vorstadt: Mit Der Gärtnerin aus Liebe setzen das Atelier Lyrique der Pariser Oper und das MC93 Bobigny ihre Zusammenarbeit zum fünften Mal nach Cosi fan tutte, Die geheime Hochzeit (Cimaros), Mirandolina (Martinu) und Orphée et Euridice erfolgreich fort. Ein immens wichtiges, erfolgreiches Projekt junger Talente der Pariser Oper, das man kulturpolitisch gar nicht hoch genug bewerten kann.

Bobigny: Endstation der Metro Linie 5. Einer jener berühmt berüchtigten Banlieue, wo die Polizei nur zu viert patrouilliert, die Jugendarbeitslosigkeit 50% und darüber liegt, Gewalt, Alkohol und Drogen zur sichtbaren Alltagswelt gehört. Das gesichtslose Kulturzentrum MC93 liegt in einem architektonischen Niemandsland am Kanal Ourcq neben einem riesigen Einkaufszentrum aus grauem Beton und einem Rathaus aus bizarren Betonrhomben, das bei einem Wettbewerb um den hässlichsten Bau der Welt gute Chancen auf einen ersten Preis hätte.

Man spielt Mozart, jenes dramma giocoso, deren Hauptgeschichte sich um die treue Gärtnerin Sandrina (in Wirklichkeit die Marquise Violante Onesti) dreht, die von ihrem Liebhaber, dem Grafen Belfiore, in einem Eifersuchtsanfall mit einem Dolch attackiert und als tot geglaubt liegen gelassen wurde. Nachdem die Arme jedoch unerwartet wieder geheilt ist, macht sie sich trotz des Mordversuchs auf, ihren „Geliebten“ wieder zu finden. Unglaublich, wenn man so eine Geschichte an einem Ort serviert bekommt, wo solche Ungeheuerlichkeiten heute wahrscheinlich häufiger vorkommen als man sich das vorstellen kann/will. Rundherum zwei andere Paare in emotionellen Nöten, präsidiert vom reichen Podesta (Bürgermeister) Don Anchise, einem alten Bock, der seiner feschen Gärtnerin nachstellt.

Künstlerisches Fazit: Um den lyrischen Nachwuchs braucht man sich keine Sorgen zu machen, Mozart wird man auch morgen erstklassig besetzen können. Das Atelier Lyrique hat das Werk viermal in zwei Besetzungen unter zwei unterschiedlichen Dirigenten dargeboten. Spielfreudig, quirlig und sympathisch jung hat der britische Regisseur Stephen Taylor diese musikalische Farce mit ernstem Unterton in Szene gesetzt. Zwei mobile Wände als Blumenspalier, ein Gemüsebeet, ein Gewächshaus, drei Gartentische, eine Scheibtruhe und Windlichter sind der ideale optische Rahmen (Laurent Peduzzi), die Kostüme aus der Entstehungszeit (Nathalie Prats) passend. Allein das aus der Pariser Pique Dame entwendete Krankenbett zur Verdeutlichung des Wahnsinns des Protagonistenpaars im Qui pro Quo als Tribut an billige Regietheater-Konvention ist absolut entbehrlich.

Aus der Besetzung bieten die Chinesin Chenxing Yuan als lyrische Gärtnerin mit dramatischen Ansätzen (an der Opéra Bastille hat sie schon in Suor Angelika mitgewirkt) und die freche schlaue Dienerin Serpetta der Maria Virginia Savastano (gesanglich und darstellerisch ein Reri Grist Typ) die reifsten Leistungen. Aber auch der Diener Sandrinas, Roberto, der sich als deren Cousin Nardo ausgeben muss und in Serpetta verliebt ist, ist mit dem jungen polnischen Spielbariton Michal Partyka trefflich besetzt. Auch das zweite „tragische“ Paar, der in bewährter Hosenrollenmanier mit dem klangschönen Mezzo der Sizilianerin Anna Pennisi besetzte Don Ramiro, als auch die zickige Arminda der Èlodie Hache, Nichte des Podestaten, die den untreuen Eifersuchtsmesserstecher Graf Belfiore heiraten soll, spielt und singt in bester Buffomanier.


Michal Partyka (Nardo) und Maria Virginia Savastano (Serpetta). Foto: Mirco Magliocca

Letzterer wird vom jungen portugiesischen Tenor Joao Pedro Cabral karikatural wehleidig in Szene gesetzt. Köstlich! Was für eine schön timbrierte, doch noch etwas kleine Stimme. Ein Versprechen. Der alte Podesta wird vom sehr jungen aus Toulouse stammenden Tenor Kévin Amiel glaubhafter gesungen als dargestellt.

Das ebenfalls junge Orchestre-Atelier Ostinato unter Inaki Encina Oyon kann mit den gesanglichen Leistungen leider nicht mithalten. Da klingt vieles doch noch sehr „grün“, die mittelmäßige Qualität der Instrumente als auch das vollkommen leidenschaftslose Dirigat sind störend, werden aber durch das überschäumend engagierte Ensemble auf der Bühne einigermaßen wettgemacht. Wenngleich sich da ein grundsätzliches Strukturproblem zeigt: Es gibt ein gewaltiges Nachwuchspotenzial auf der Sängerseite, bei den Orchestern und Dirigenten ist das leider nicht selbstverständlich der Fall.

Die für das Hoftheater in München zur Karnevalssaison 1774/1775 komponierte Musikkomödie auf ein Libretto des Giuseppe Petrosellini enthält alles, was damals gefragt war: „Eine möglichst unterhaltsame Folge burlesker Verwicklungen, Verkleidungen, Verwechslungen, Enthüllungen überraschender und parodistischer Situationen.“ Genieflammen in Vor-Ahnung der Entführung, der Cosi oder des Figaro gehen einher mit reichlich konventionellen Arien. Aber das Erstaunliche: Mozart verfügte bereits bei der Finta Giardiniera über das gesamte Repertoire an ironischen Brüchen, Spiegelungen, Augenzwinkern gepaart mit echter emotionaler Empörung über die conditio humana und tragischen Grundkonstellationen, final aufgehoben in utopischen „Happy Ends“. Die solche auf Dauer keine sein können. Natürlich wird auch der Figaro Graf nach dem Ende der Oper weiter seinen hübschen jungen Susannas nachstellen und teuflisch eifersüchtig bleiben, wie es der Podesta und der Graf Belfiore hier als Typen verkörpern. Was sollen Frauen da machen? Schön schlau bleiben, Gefühle verstecken und den Männern zeigen, wo ihre Grenzen sind. Was sich aber nur „Dienerinnen“ erlauben dürfen, zu mächtig sind gesellschaftliche Zwänge für sozialen Status und Geschlechterrolle. „So geht es ja auch in der Buffa darum, die komischen Rollen und ihre besondere Idiomatik abzuheben von den halb- bzw. karikierend komischen Figuren und vor allem gegenüber den stets auch sozial höher gestellten, zu leidenschaftlichen oder elegischen ernsthaften Empfindungen ausgreifenden Figuren“ (Stefan Kunze). Die genialen musikalischen Finale sind dessen beredte Zeugen.

Und wie gefällt dies allem dem Publikum in Bobigny? Um Mozart zu zitieren: „Gottlob! Meine opera ist gestern in scena gegangen, und so gut ausgefallen, dass (ich) der Mama den lärmen ohnmöglich beschreiben kann.“ Auch dem vollzählig erschienen Pariser (Vorstadt) Publikum hat es mehr als gefallen. Langer begeisterter Jubel für alle Beteiligten, mit den kleinen Abschattierungen, wie sie auch der Rezensent empfunden hat. Welchen Wert solche musikalischen Manifestationen in Zeiten wie diesen haben, kann nicht hoch genug gepriesen werden. Einerseits jungen Sängerinnen und Sängern am Beginn ihrer Karriere alles in die Hand zu geben, um in ihrem Metier Fuß zu fassen. Andererseits einem jungen, defavorisierten Publikum zu zeigen, dass (klassische) Kunst nicht fad ist und vielen wie das im Sport der Fall ist, lustvoll erlaubt, einen gesellschaftlich anerkannten Weg zu gehen. Es ist zu wünschen, dass die Pariser Oper hier weiter so aktiv bleibt.

Tipp: Wer die Oper La finta giardiniera noch nicht kennt, kann deren Qualitäten jetzt in einer wieder veröffentlichten, legendär schönen CD-Aufnahme unter Nikolaus Harnoncourt (Warner Classics; Das Alte Werk) nachhören. Unter den Solisten befinden sich keine Geringeren als Edita Gruberova, Thomas Moser, Uwe Heilmann, Anton Scharinger, Charlotte Margiono und Dawn Upshaw. Eine Referenz! Die junge Pariser Truppe hätte alles Zeug dazu, einmal in deren Fußstapfen zu treten.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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