Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

PARIS / Bastille Opéra: LA FILLE DU RÈGIMENT

28.10.2012 | KRITIKEN, Oper

PARIS „LA FILLE DU RÉGIMENT“ Opéra National de Paris Bastille, 27.10.2012

Nathalie Dessay und Juan Diego Florez in den Traum-Rollen ihres Lebens


Nathalie Dessay, Juan Diego Florez. Foto: Agathe Poupeney

 Salut à la France! À ses beaux jours! À l‘ésperance! À nos amours! Wie in der Schlussszene dann noch der bunte Postkartenhahn sich auf die Bühne senkt und sein stolzes Kikeriki in den Saal stößt, da gibt es kein Halten mehr. Das Pariser Publikum feiert frenetisch die tolle Aufführung der eigentlich geheimen französischen Nationaloper La Fille du Régiment. Allein an der Opéra Comique wurde das Werk bis 1908 über 1000 Mal aufgeführt, lange Zeit regelmäßig am Abend des 14. Juli. Für Paris ist die Übernahme der Co-Produktion des Donizetti-Reißers in der Inszenierung von Laurent Pelly ein vorprogrammierter Erfolg. Nach Covent Garden, wo die Premiere dieser wohl besten Arbeit des französischen Regisseurs schon 2007 ein Riesenhit war, Wien, New York und San Francisco.

 Was soll man Neues schreiben über eine bereits legendäre Produktion und die beiden „Wundertiere“ der Oper Nathalie Dessay und Juan Diego Florez? Besonders, weil die Inszenierung auch in Österreich noch in bester Erinnerung sein dürfte dank TV-Übertragung und nicht zuletzt auch wegen des letzten Bühnenauftritts der verehrten Monserrat Caballé an der Wiener Staatsoper.

 Dessay als Marketenderin Marie, aus Schande wegen einer nicht standesgemäßen Liaison am Tiroler Schlachtfeld zurückgelassene Tochter der Marquise de Berkenfield, in großer Liebe zum Tiroler Partisanen Tonio entflammt. Das muss man gesehen haben! Schon längst lässt sich La Dessay nicht mehr in bloßen Kategorien des Gesangs messen. Was rein stimmlich nicht mehr mit derselben Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit wie früher gelingt, wird durch Raffinesse des Ausdrucks, einem Zugewinn an Farben und einer traumwandlerischen Rollengestaltung mehr als wett gemacht. Das Gesamtkunstwerk oder die Marke Dessay, Energiebündel an darstellerischer Selbstentäußerung, mutiger Ironisierung bis hin zur augenzwinkernden Persiflage der eigenen „Show“, berührt nunmehr besonders in den melancholischen Passagen und den Piano-Legati. Und natürlich die Erz-Komödiantin Dessay, die nicht einmal zu singen braucht, um ihr Publikum in den Bann zu schlagen. Ihre Pantomime allein genügt, um Schmerz und Freude, Zorn und Zärtlichkeit, Aufbegehren und Verzagen unvergleichlich menschlich und berührend mitzuteilen. Ihr Gesang ist nur die sichtbare Lava des Bühnenvulkans, ihre ganze zarte Person dennoch Inbegriff französischer Grazie und Eigensinns. Genießen wir einfach jeden Augenblick, den sie uns noch auf einer Opernbühne schenkt. Und wenn es einmal Schauspiel sein soll, dann werden wir auch da hingehen und uns von ihr verzaubern lassen.

 Florez steht dem Faszinosum Dessay in Nichts nach. Freilich besticht er weniger durch darstellerische Intensität, aber was Florez vokal liefert, das sucht wirklich seinesgleichen. Von Pavarotti die perfekte Gesangstechnik und von Carreras den etwas scheuen Latinocharme in sich vereinend, ist er derzeit wohl der mit Abstand weltbeste lyrische Tenor im Belkantofach. Nach der berühmten Arie „Ah! mes amis, quel jour de fête“ gibt es minutenlangen donnernden Applaus (der in Frankreich immer in rhythmisiertem Takt-Klatschen mündet und besonders wirkungsvoll ist), den der sympathische Star mit einem (unglaublichen) da capo belohnt. Wie viele hohe Cs waren das insgesamt in wenigen Minuten? 18? Und das, nachdem der Wahlösterreicher am Vorabend am Nationalfeiertagsempfang der österreichischen Botschaft seine Aufwartung gemacht hat und durchaus für ein entspanntes Gespräch zugänglich war.


Alessandro Corbelli, Juan Diego Florez, Natalie Dessay. Foto: Agathe Poupeney

 Köstlich, wie der „Vater“ des französischen 21. Regiments, der Sergeant Sulpice des unglaublich witzig und gemütlich wirkenden Alessandro Corbelli sich eher um die Liebe der Regimentstochter als um kriegerische Ziele sorgt. Und noch unglaublicher, wie Donizetti diese Kriegspersiflage à la Stan Laurel und Oliver Hardy mit italienischer Verve in französische Farben gießt. Offenbach ist nicht weit, wie das auch der Regisseur Laurent Pelly und seine Bühnenbildnerin Chantal Thomas erkannt und in Szene gesetzt haben. Wobei zur Gesamtwirkung auch wesentlich die Choreographie und Bewegungsregie von Laura Scozzi beiträgt. Allein das „Putzquartett“ zu Beginn des 2. Aktes ist ein Kabinettstück vom Feinsten.

 Naturgemäß sind die Rollen der Marquise von Berkenfield und der Herzogin von Krakendorp mit der Österreicherin Doris Lamprecht und Dame Felicity Lott anders besetzt als in Wien oder London. Lamprecht, ein langjähriges Ensemblemitglied der Pariser Oper, singt mit vollem Mezzo und ergänzt auch von der Spielfreude her bestens das All-Star-Ensemble. Sie bringt ein bisschen Wiener Operettenflair in die italienisch-französische Offenbachiade. Felicity Lott ist als Figur der prätentiösen Adeligen umgeben von einem senil-debilen „Hofstaat“ wundervoll besetzt. Das durch Caballé berühmt gewordene Liedchen „Schätzli“ will ihr allerdings nicht so recht gelingen. Wie auch immer, man stelle sich vor, mit welcher Freude das Pariser Publikum letztlich die Niederlage dieser deutschen Adeligen, verkörpert von einer Britin (!) durch die französische Armee genossen hat. Auch wenn der Nutznießer von so viel französischem, vor allem vokalem Militäreinsatz (Choreinstudierung Patrick Marie Aubert) ein Tiroler Partisan (dargestellt von einem Peruaner mit öst. Staatsbürgerschaft) ist. Delikat, delikat!

 Am Pult des Orchesters der Pariser Oper Marco Armiliato, der das ganze Unternehmen mit Schwung und Elan leitet. Auch wenn manche Passage etwas derb klingt und im Terzett des zweiten Aktes nicht alles ganz mit der Bühne im Einklang steht, dennoch ein überzeugendes Plädoyer für den französischen Donizetti. La Fille du Régiment ist mit dieser Aufführungsserie triumphal in der musikalischen Heimat angekommen.

 Für Freunde historischer Aufnahmen: Trotz der unerreichten Vokalvirtuosinnen Sutherland und Gruberova ist die stimmschönste Marie für mich Anna Moffo in einem klangtechnisch hervorragenden Mitschnitt aus Mailand vom 2.12.1960 mit Giuseppe Campora als Tonio (Walhall Eternity Series).

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

Diese Seite drucken