Riccardo Muti dirigiert Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“ im Teatro Massimo am 18.4.2021 – Stream/PALERMO
Sakraler Zauber
Dieses klingende Denkmal für den italienischen Dichter Alessandro Manzoni fasziniert als Monument des Schmerzes über den Verlust alles Irdischen. Außerdem fühlte sich Giuseppe Verdi mit Manzoni wesensverwandt. Gleich zu Beginn überzeugten Orchester und Chor des Theaters Massimo bei den flüsternden Stimmen des „Requiem aeternam“ und der geheimnisvoll absteigenden a-Moll-Melodie der Violoncelli. Ferenc Fricsay sprach hier vom Hinabsteigen in eine finstere Gruft, was bei der subtilen Wiedergabe unter Riccardo Muti deutlich zu Gehör kam. Man hat auch immer wieder auf Parallelen zu Franz Schubert hingewiesen. Das gewaltige Fugato des Männerchores „Te decet hymnus“ wiederum ließ a cappella ganz entfernt an den Klang der Palestrina-Zeit erinnern. Beklemmend wirkte dann die „Dies irae“-Vision des Jüngsten Gerichts, der Muti eine elektrisierende Kraft abgewann. Rasende Sechzehntelläufe korrespondierten mit chromatisch geführten Aufschreien des Chores. Die Trompeten-Passagen des „Tuba mirum“ besaßen große Präzision.
Riccardo Zanellato (Bass) ließ die Passage „Mors stupebit“ mit glühender Emphase erklingen, während Martina Belli (Mezzosopran) der großen Arie „Liber scriptus“ bewegende Leuchtkraft verlieh. Auch beim berührenden Bittgesang „Quid sum miser“ verleugnete Martina Belli eine gewisse theatralische Wirkung nicht, wobei Riccardo Muti mit dem Ensemble eine homogene Balance erreichte, die sich im Laufe dieses eindrucksvollen Konzertabends immer mehr steigerte. Bass und Männerchor intonierten dann kraftvoll „Rex tremendae majestatis“, wobei sich durchaus sphärenhafte Mystik einstellte. Das „Recordare“-Duett zwischen Sopran und Mezzosopran gefiel ebenfalls ausgezeichnet, weil sich die Sopranistin Joyce El-Khouri mit Martina Belli gut ergänzte. Der riesige Trauermarsch in b-Moll hinterließ eine gewaltige Wirkung, weil Riccardo Muti die großangelegten Strukturen mit dem Ensemble stets berücksichtigte. Dabei agierte der von Ciro Visco einstudierte Chor glanzvoll von den Emporen aus. Das Psalmodieren des Beginns zog sich hier geheimnisvoll durch den weiteren Fortgang der Komposition. Schmerzliche Synkopen der Holzbläser begleiteten den Gesang des Mezzosoprans. Als lichtes A-Dur-Andante fesselte das „Offertorium“ des dritten Teils, wo Muti den überirdischen Effekten dieses eher „weltlichen“ Requiems durchaus Rechnung trug. Der Tenor Franceso Meli agierte bei der Passage „Qui Mariam absolvisti“ mit genauer Betonung der träumerisch-ekstatischen Melodie. Hier erreichte die Jenseits-Vision eines Entrückten ihren erschütternden Höhepunkt, der sich zum Elysium der Erlösten steigerte. Dynamische Kontraste arbeitete Riccardo Muti mit dem Ensemble immer wieder nuanciert heraus. Großartig wirkte der letzte Satz mit der Bitte „Libera me“, wo die Sopranistin Joyce El-Khouri eine hervorragende Leistung bot. Obwohl die Sängerin hier im gregorianischen Sinne agierte, steigerten sich die Kantilenen schließlich zum großen, dramatischen Affekt. Die folgende Chorfuge offenbarte nochmals den gesanglichen Glanz des Chores, der zwischen Bitten und Flehen eindringlich hin- und herschwankte und eine große Strahlkraft besaß. Muti betonte das Erlöschen der schönen Vision besonders ergreifend. Angesichts der Aufhellung nach Dur konnte sich die Sopranstimme exzellent behaupten.
Alexander Walther