Otakar Ostrčil: JACK’S KINGDOM – CD-Premiere – Supraphon
Exzellente Aufnahme des tschechischen Rundfunks aus dem Jahr 1954
In den Archiven des ehemals sozialistischen, stets extrem rührigen und aktiven Musiklabels Supraphon (das gleiche gilt auch für Melodiya), schlummern ungeheure und teils ungeahnte Schätze. Die durch eine großzügige private Unterstützung mögliche Restaurierung der Bänder und damit Wiederveröffentlichung der letzten Oper Ostrčils, Jack’s Kingdom, ist einer dieser Fälle und schlichtweg eine Sensation
Die auf zwei CDs gebannte Oper ist die einzige Studioaufnahme des spannenden Werks, 1954 mit dem Prager Radio Sinfonieorchester unter der vor Präzision und Spiellust nur so strotzenden Stabführung von Václav Jiráček aufgenommen. Stars der Prager Oper, wie Ivo Žídek, Jaroslava Vymazalová, Josef Celerin oder Přemysl Kočí sangen damals die Hauptrollen. Das neue Album enthält auch die einzige Aufnahme von Ostrčils „Calvary“, seine 14 Variationen für großes Orchester, Op. 24, aus dem Jahr 1957 (Rudolfinum). Die Tschechischen Philharmoniker sind hier unter der Leitung von Václav Neumann zu hören.
Die gar diabolische Märchenoper nach einer Kurzgeschichte von L. N. Tolstoi erzählt vom Kampf des von einer gewalt- und krankheitsfreien Gesellschaft träumenden Honza gegen das Böse, verkörpert durch den Teufel, der die Weltherrschaft an sich reißen will. Bemerkenswert ist, dass die Oper nur wenige Monate vor Ostrčils Tod, aber schon nach der Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutschland am 26. Mai 1934 uraufgeführt worden ist. Wie Zbyněk Brabec aus Pilsen uns mitteilt, fanden die letzten Inszenierungen in der Tschechischen Republik 1979 in Pilsen, 1978 in Olmütz, 1965 in Reichenberg und in 1959 in Brünn statt. Die letzte Inszenierung in Prag hatte am 14. März 1958 Premiere. Otakar Ostrčil arbeitete im National Theater Prag ab 1919 zuerst als Operndrammaturg und 1920/1935 als Operndirektor. Er leitete den ganzen Opernbetrieb und natürlich dirigierte er auch.
„Hansens Königreich“ handelt von einer friedensstiftenden humanistischen Gesellschaftsutopie, die gerade heute im Zeiten von Kriegs- und nordkoreanischem Atom-Raketengerassel wieder hochaktuell ist. Die musikalische Qualität der Oper ist stupend. Der einzige Grund, aus dem das Werk kaum aufgeführt wird, kann nur daran liegen, dass es eben niemand kennt. Das sollte sich nach Vorliegen dieser CD rasch ändern. Intendanten aufgepasst!
Der Fibich-Schüler Ostrčil pflegt einen expressiven, rhythmisch komplexen und Dissonanzen nicht aussparenden Stil. Die Oper klingt – vereinfacht ausgedrückt – wie eine ganz eigenständige Mischung des späten Janacek mit Shostakovich und einem Schuss Zemlinsky, („zornige“) Blechbläser und genuin tschechische Idiome beherrschen den Sound. Die Oper ist durchkomponiert, nutzt die Leitmotivtechnik, die aber so schlau angewandt, rhythmisch und harmonisch ausgetüftelt ist, sodass ein völlig neuer Stil entsteht. Die Szenen sind durch reizvolle Zwischenspiele verbunden, das große Orchester ist durch ein Saxophon, eine Orgel und sogar eine Militärtrommel erweitert. Melodramatisch gesprochene Passagen wechseln ab mit großen Tableaus für Solisten und Chor. Die Vorliebe des Komponisten für Mahlers und Schoenbergs Schaffen ist ebenso unüberhörbar.
Eine veritable musikalische Entdeckung ist aber auch die halbstündige symphonische Dichtung/Variationen mit dem Titel „Kalvarienberg“. Die technische Qualität der Aufnahmen ist historisch, aber klar, rauscharm und transparent mit natürlich abgebildeten Stimmen. Die künstlerischen Leistungen des Ensembles, des Chors und vor allem der Pultgrößen Jiráček und Neumann sind atemberaubend. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Eine Empfehlung für Freunde der Musik der Dreißigerjahre, aber auch für alle, die die gemäßigte Moderne des 20th century Musiktheaters lieben und schätzen.
Dr. Ingobert Waltenberger