OSLO: TRISTAN UND ISOLDE – NI am 24.3.2012
1. Aufzug: Tristan und Isolde. Foto: Erik Berg
Vor zwei Jahren gab es an der Norske Opera, deren Neubau in strahlendem Weiß in Anlehnung an einen Eisberg eine Hafenbucht von Oslo ziert, eine bemerkenswerte Neuinszenierung von Wagners „Tannhäuser“ durch norwegischen Star-Regisseur Stefan Herheim. Für die Neuproduktion von „Tristan und Isolde“ hatte man nun den Briten Daniel Slater engagiert, der nach breit gefächerter Opernregie-Erfahrung 2008 mit „Lohengrin“ in Genf seinen ersten Wagner inszeniert hatte (Merker 6/2008). Damals gab es ein déjà-vu nach dem anderen, ohne klare dramaturgische Linie und erkennbares Konzept, und man konnte meinen, es handele sich bei diesem „Lohengrin“ um einen parodistischen Abgesang auf das viel diskutierte sog. Wagnersche Regietheater. Robert Innes Hopkins war auch diesmal Bühnen- und Kostümbildner, Simon Mills wieder für die allgemein gute und subtile Lichtregie zuständig. Ein erster Blick ins Programmheft versprach interessante Assoziationen mit dem „Tristan“-Stoff. Man sieht dort Bilder aus Bangladesh, das an der Küste bei Chittagong das Mekka der internationalen Schiffsabwrackung beherbergt. Rostig-braune riesige Schiffswracks und Teile davon stehen wie eschatologische Mahnmale des Verfalls in der Gegend herum, werden durch das unermüdliche Zerschweißen unterbezahlter und zu abenteuerlichen Bedingungen beschäftigter Arbeiter – derzeit etwa 20 Tote pro Jahr – immer kleiner, bis sie verschwunden sind… Das klingt eher nach einer Dramaturgie für Wagners „Rheingold“. Aber auch Tristan hat ein Schiff, und die Oper von Oslo liegt im Wasser…
So beherrscht auch ein riesiger Schiffsrumpf hier die „Tristan“-Bühne, im 1. Aufzug noch intakt und zum Heck hin geschlossen, aber durch Rost schon stark von kommendem Zerfall gezeichnet. Beim Anlagemanöver am Schluss des 1. Aufzugs bricht dieser Rumpf zum ersten Mal auf und lässt das warme Tageslicht herein. Im 2. Aufzug stehen nur noch die Seitenwände, und im 3. sind auch diese bereits in ihre Einzelteile zerfallen. Zunächst noch geordnete Seekisten liegen nun chaotisch verstreut umher. So wird das langsam zerfallende Schiff zu einer schlüssigen Metapher für die schon zu Beginn der Unmöglichkeit geweihten Liebe zwischen Tristan und Isolde und damit zu einer überzeugenden optischen Klammer um das Geschehen. Weit weniger dramaturgisch einleuchtend ist hingegen, was sich innerhalb des Schiffsrumpfes abspielt. Dabei fängt es durchaus vielversprechend noch während des Vorspiels an. Im Dunkel wird unter einer im Zuge des Crescendo der Musik immer stärker pendelnden Deckenlampe ein nacktes junges Paar sichtbar, welches sich liebend umarmt, aber immer ängstlicher das helle Licht von oben beobachtet – offenbar eine Anspielung auf das Licht, den „hellen Tag“, der später der diesseitigen Liebe der Protagonisten zum Verhängnis werden soll.
So weit so gut. Bizarr wird es nun, wenn sich die beiden neben der schlafenden Isolde in Krankenhemden hüllen, mit einem Blutfleck an der linken Seite, und in zwei von drei Krankenbetten steigen, in denen sie am Tropf hängen und den Rest des Aufzugs von Brangäne als Krankenschwester gepflegt werden. Im dritten Bett liegt ein Junge, der im 2. Aufzug wie ein Sängerknabe gekleidet auf der Bühne erscheinen und einen Spielzeugturm bauen wird, der just zum Einbruch Melots umstürzt. Statt eines Liebestranks injizieren sich Tristan und Isolde das Blut aus der Vene der jungen Dame, das ihr Brangäne zuvor entnommen hat. Im 2. Aufzug ist das Pärchen offenbar wieder gesund und bildet den nackten zärtlichen Rahmen um die nun im Klatschmohn-Feld liegenden Tristan und Isolde während der Brangäne-Rufe. Das wirkt wie eine vordergründige Delegation von Erotik an das junge Statisten-Paar. Im Schlussaufzug ist sie in jungfräulich weißem Gewand dann sogar schwanger… All dies wirkt relativ konzeptlos und teilweise beliebig, auch wenn einige tiefersinnige Bilder entstehen. Insbesondere ist die mittlerweile als postmoderne Stereotype auch schon überkommene Krankenhaus-Ästhetik gerade im Ambiente eines verrosteten Schiffsrumpfes unpassend, ja eigentlich völlig abwegig. Diese Regie-Verirrungen nehmen der an sich guten Gesamt-Optik der Produktion viel von ihrer Wirkung. Da macht das Schachspiel Tristans mit Kurvenal auf dem Oberdeck im 1. Aufzug zur Überbrückung der „langen Fahrt“ weit mehr Sinn, wenngleich beide entweder unkonzentriert spielen oder von Schach keine Ahnung haben – denn mit fast jedem Zug fällt eine Figur. Auch wird allein Daniel Slater wissen, warum König Marke, nachdem sich Tristan den Dolch Melots reuevoll in die Seite gerammt hat, diesen hinterrücks auch noch erdolcht, und zwar bis zum Anschlag. Brutaler hätte man selbst die Ermordung Siegmunds durch Hunding – und eventuell Wotan – kaum zeigen können. Eine solche Tat war aus Markes Monolog zuvor nicht abzuleiten, also auch hier dramaturgische Beliebigkeit.
2. Aufzug: Marke erdolcht Tristan. Foto: Erik Berg
Dafür entschädigten einige kontemplative Momente mit dem Spieler des Englischhorn-Solos auf der Bühne. Jan Bertelsen spielte es wunderbar mit dem angebrachten depressiven Melos. Die Kostüme der Herren hielten sich in dem bei Innes Hopkins üblichen Uniformstil, Isolde und später Marke ließen mit ihren Übergewändern eine königliche Note erkennen. Tristan deutete im Schlussaufzug auch optisch seinen Verfall an – Blut spielte dabei eine große Rolle.
Die US-Amerikanerin Karen Foster gab in dieser Produktion ihr Rollendebut als Isolde, nachdem sie zuvor szenisch nur Nebenrollen im Wagnerfach wie drei kleine Walküren und Wellgunde gesungen hatte. Foster hat einen kraftvollen und zu starker Attacke fähigen Sopran, eher hell timbriert. Was der Stimme jedoch (noch) fehlt, ist eine gewisse Wärme und Facettierung, auch eine farbigere Phrasierung, um nachhaltigen Ausdruck zu erzielen und der Isolde mehr menschliches Profil zu verleihen. Oft legt sie ihren Vortrag zu eindimensional auf Lautstärke an, und einige expressive Höhen geraten dann auch forciert. Klangfülle geht dann sofort verloren, so beim Wiedersehen mit Tristan im 2. Aufzug und bei Isoldes Klage. Die Wortdeutlichkeit lässt auch zu wünschen übrig. Ein wahres Desaster war aber der Tristan des US-Amerikaners John Uhlenhopp, der sich nicht ansagen liess. Der Rezensent hatte ihn in dieser Rolle schon im März 2009 in Wuppertal erlebt (Merker 4/2009), wo sich der Eindruck einstellte, dass es sich um einen Bariton handelte, der in tenorale Höhen drängt. Schon damals entfaltete die Stimme kaum tenoralen Klang, abgesehen von einigen schöneren Tönen, die immer wieder einmal gelangen, auch diesmal. Es war aber für eine glaubhafte Interpretation des Tristan zu wenig. Die Stimme hat kaum Resonanz und Höhe, klingt oft angeschliffen und als sänge Uhlenhopp mit einer strukturellen Heiserkeit. Bei unzureichender Diktion gerät die Mittellage oft zu tief und Intonationsprobleme werden zur Regel. In den fordernden Fieberfantasien des 3. Aufzugs kamen dann noch Intonationsprobleme hinzu mit gepressten Höhen und immer stärker werdender Deklamation. Dementsprechend sprang von den beiden Protagonisten den ganzen Abend über kaum ein emotionaler Funke über, zumal im Liebesduett des 2. Aufzugs auch noch Rampenstehen angesagt war. Tuija Knihtilä verlieh der Brangäne einen prägnanten farbigen Mezzo und konnte die Rolle trotz der Krankenschwesterbehinderungen überzeugend engagiert gestalten. Vielleicht sollte sie die Stimme etwas ruhiger führen. Ole Jorgen Kristiansen gab einen wackeren unbedarften Kurvenal mit klangvollem Bariton-Potenzial, das er etwas eindimensional führt und mit Arbeit am Text sicher noch mehr facettieren und fokussieren könnte. Der riesige Magne Fremmerlid sang einen etwas teilnahmslosen aber stimmlich überaus imposanten Marke mit guter Diktion und großem Bass, der noch etwas kultiviert werden müsste, um größere dramatische Durchschlagskraft zu erzielen. Svein Erik Sagbraten sang einen unauffälligen Melot, Daniel Johansson einen guten jungen Seemann aus dem Off. Jens-Erik Aasbo war ein ansprechender Steuermann und Brenden Gunnell gab den kurzen Auftritt des Hirten. Der Chor der Norske Opera sang kraftvoll aus dem Off.
Der von seiner Arbeit an der Rheinoper Düsseldorf-Duisburg auch in „südlicheren“ Breiten bekannte John Helmer Fiore leitete das Opernorchester und begann mit einem gefühlvoll zarten und langsam wirkungsvoll gesteigerten Vorspiel. Auch das Vorspiel zum 3. Aufzug mit der optisch und akustisch wirkungsvollen Einbindung des Englischhorns gelang erstklassig. Schon bald wurde aber im 1. Aufzug klar, dass der Orchesterklang oft viel zu laut war und damit auch den Sängern in keiner Weise entgegen kam, die vielleicht auch deshalb in oft zu lautem Singen Zuflucht suchten. Das Schlagwerk meinte es häufig zu gut, und trotz hervorragender Streicher und sehr guter Bläsergruppen ging durch die große Lautstärke viel von der Brillanz der „Tristan“-Musik verloren. Auch ein Versetzen von der 5. in die 12. Parkettreihe zum 3. Aufzug schuf nicht nennenswerte Abhilfe, wenngleich es weiter hinten besser klang. Fraglich ist, ob das bei dem neuen Opernhaus auf einen akustisches Problem hindeutet, obwohl der Zuschauerraum komplett mit feinen Holz-Materialien ausgestaltet ist. Jedenfalls sollte man sich im hohen Norden dazu ein paar Gedanken machen…
(Fotos in der Bildergalerie)
Klaus Billand