OSLO / Oper: HOFFMANNS EVENTYR von Jacques Offenbach. Premiere: 4. Dezember 2013
Foto: Erik Berg/ De Norske Opera Oslo
Freunde ausgefeilten Regietheaters sollten sofort den nächsten Flug nach Oslo buchen, um zu sehen, was Calixto Bieito aus den guten, alten „Hoffmanns Erzählungen“ gemacht hat. Das ist eine Rocky Horror Hoffmann-Show in einer Welt der Abgewrackten, wo es nur um Sex und Alkohol geht – Johnny Walker oder Jack Daniels oder wer immer in den viereckigen Flaschen steckt, ist immer dabei und wird vom Helden als Damenersatz nachdrücklich umarmt. Wenn er die Damen nicht nach allen Regeln der Kunst sexuell belästigt. Aber der Reihe nach…
Wenn man „Hoffmann“ in zweidreiviertel Stunden (eine halbstündige Pause inbegriffen) über die Bühne schicken kann, muss man gewaltig kürzen, und das hat Bieito getan, allerdings, das muss man ihm zugestehen, absolut aufs Wesentliche hin. Viel Beiwerk ist weg (vor allem mit dem Chor gibt er sich nicht gerne ab ) allerdings darf Giuletta ein Chanson trällern, das wohl nicht bei Offenbach steht, aber der Abend ist kurz und bündig to the point: ein versoffener Verlierer hat sich in irgendwelche Phantasiewelten hineingeträumt und geht schwer beschädigt daraus hervor. Was die Welt Hoffmanns ursprünglich ausmacht – der Dichter, die Muse, die Rahmenhandlung bei Lutter – ist auf der zuerst leeren Bühne nicht aufzufinden. Der Besoffene, der mit seinen abgerissenen Kumpanen herbeistürzt, ist erst einmal Lindorf, der in seinen Verwandlungen in dieser Inszenierung dann noch extremer auftrumpfen darf als üblich. Die Männergesellschaft, die sich dann einstellt, ist besonders übel, zieht gerne die Hemden hoch und klopft sich auf ihre dicken Bäuche. Wenn sie sich nicht benehmen wie Gorillas, wälzen sie sich wie Schweine am Boden herum. Hoffmann, die armselige Gestalt, dazu angehalten, blöd dreinzuschauen und sich ebenso zu benehmen, ist ein Niemand ohne weiteren Umriss. Die schöne blonde Dame in Abendrobe, die die Musik der Muse singt, ist allerdings im Laufe des Geschehens meist auf der Seite der „Bösen“ und umschwänzelt Lindorf in allen seinen Gestalten.
Wenn sich die Handlung zu Olympia bewegt, darf Bühnenbildnerin Rebecca Ringst erstmals ihr Geld verdienen. In einer glitzernden Plastik-Dekoration baumeln 20 Schaufensterpuppen von der Decke herab, alle barbieblond, ebenso ihre lebenden Ebenbilder am Boden, die aber alle nicht Olympia sind – die hängt auch an Schnüren, als sie sich herabsenkt (ist das neuerdings für Opernsängerinnen verpflichtend?). Dann allerdings erfolgt eine Show, wie man sie noch nie gesehen hat – denn die Arie der Dame wird zum sexuellen Akt, erst reitet sie ihn, dann nimmt er sie von hinten, und immer passen ihre Koloraturen punktgenau zu Stich und Stoss, zu Orgasmus und Abschlaffen, Kompliment… Die Idee, so pervers sie sein mag, funktioniert.
Natürlich kann ein solcher „inszenatorischer“ Höhepunkt nicht wieder erreicht werden, es ist weit schwerer, sich etwas zu Antonia und Giulietta einfallen zu lassen – immerhin agiert Dr. Mirakel an der Dame, die ungewöhnlich fröhlich ist und mit Hoffmann jeglichen Jokus treibt (nicht nur, wenn es gilt, den armen Franz zu verspotten), als Gynäkologe und holt ihr eine lebende Taube zwischen den Beinen hervor… Bei der höchst reduzierten Giulietta war dann kein Raum mehr für besondere Ideen, außer dass Hoffmann (der schon die arme Antonia bei ihrem Gesang, sie am Klavier, er darauf liegend, per Busengrapschen dauernd sexuell beästigte) hier auch wieder heftig bei Beischlafbewegungen tätig ist. Vielleicht ersticht (!) sie ihn deshalb. Aber nein, er ist ja nicht tot.
Es gibt ja noch das Nachspiel, wo die Muse – vom Abendkleid mittlerweile völlig verdreckt und abgewrackt – ihre sinnlos tröstenden Worte singt, die sie sich schenken könnte, weil sie wahrlich nicht stimmen. Immerhin behauptet Hoffmann plötzlich aus heiterem Himmel „Je suis un artiste“, was man ihm bitte nicht glauben mag, denn es gab den ganzen Abend in dieser Welt der dreckigen Unglücksgestalten keinerlei Anzeichen dafür. Wie schön war das, als er wirklich noch ein Dichter sein durfte…
Für die Oper in Oslo war diese Premiere zwar ein einhelliger Erfolg, aber bis er über die Bühne gegangen war, vermutlich ein Katastrophenabend erster Ordnung. Zuerst fiel der hauseigene Hoffmann-Sänger wegen Krankheit aus. Dann holte man den Amerikaner Evan Bowers. Der erkrankte vor der Premiere, wurde aber mit Medikamenten ausreichend hochgeputscht, um die Premiere zu spielen. Als Sänger postierte man den in letzter Minute herbeigeholten Waliser Timopth Richards im Orchesterraum. Das war aber Bowers offenbar nicht recht, denn er sang mit Resten einer Stimme bis zur Pause. Danach liess er sich ueberreden, den stimmfrischeren, aber durch seine Position im Orchester dann wieder reduzierten Kollegen „zu Stimme“ kommen zu lassen (bewegte aber seinerseits wie aus Protest nicht mehr den Mund). Kurz, es gab keinen wirklich vollgültigen Titelhelden an diesem Abend, aber was will man von der Jammergestalt, auf die Bieito den armen Dichter reduziert hat?
Foto: Erik Berg
Mari Erkismoen, aus dem Theater an der Wien wohl bekannt, wo sie nächsten Maerz prominent in Harnoncourts Mozart-Projekt dabei sein wird, vollbrachte als Olympia ein Virtuosenstück, wie man es in dieser Rolle noch nicht gesehen hat, Mittelding aus Monroe und Madonna zuerst, dann absolut enthemmter und gleichzeitig urkomischer Sex-Maniac, am Ende ausflippend, sich selbst verstümmelnd (jede Note ein Stich in Arme, Beine, Hals) und durch Harakiri endend. Dass man bei solchem Aufwand die Partie noch singen kann, grenzt an ein Wunder. Viel Applaus erhielt auch Nina Gravok als Antonia, während Randi Stene als Giuletta den Eindruck eines abgewrackten Mezzos nicht verhindern konnte – dass sie mehr wie Puffmutter als Kurtisane wirkte, dankte sie dem Regisseur.
Die stärkste Leistung des Abends kam wohl, Olympia einmal ausgenommen, von Alex Esposito, den wir in Wien auch kennen, der in den klassischen „Bösewicht“-Rollen allerdings wahrlich brillierte – in immer stärkerer Steigerung des Exzessiven war er am Ende als Dappertutto in Frauengewändern unterwegs, enger Rock, Stöckelnschuhe, einfach irrwitzig. Der Rest der Besetzung zeigte sich ähnlich hingebungsvoll im Umsetzen dessen, was Bieito in schöner Zerstörungswut gegen das Werk unternommen hat. Er tat es allerdings, das muss man sagen, konsequent, intelligent und gekonnt, und langweilig ist er natürlich nie, weil man im Gegensatz zu anderen Regisseuren nicht weiss, was in der nächsten Minute geschehen wird… Aber kommt es eigentlich darauf an – auf das „Du sollst nicht langweilen“? Denn viel Konzept ist in der Geschichte eines Sandler-Säufers nicht zu erkennen.
Stefan Blunier hat sich in seiner evident „harten“ musikalischen Interpretation dem harten, unromantischen Konzept des Regisseurs anpasst. Die Norweger waren durch Bieitos Mischung von Sex und Untergrund nicht zu schockieren. Nicht der geringste Widerstand störte den Erfolg des Abends. Vielleicht treiben es diese so sympathisch und harmlos wirkenden Herrschaften in ihren Saunas noch viel ärger, als es sich Bieito je ausdenken könnte? Denn auch Familien mit Kindern klatschten freundlich.
Renate Wagner