Opernfestspiele St.Margarethen
Giacomo Puccini “LA BOHÈME”
Premiere 10. Juli 2013
Giacomo Puccini
+ Hollywood
= die größte singende Ansichtskarte der Welt
Bereits jetzt wird für das nächste Jahr eine “Monumentalinszenierung” der “Aida” beworben, vor dessen Triumphmarsch man sich jetzt schon fürchten muß, fuhr doch die vergleichsweise weitaus ruhigere “Boheme” mit einer Lautstärke in die Publikumsmassen, die so manches Hörgerät überforderte, feinsinnigere Ohren eines Operngourmet überhaupt einer Irritation unterzogen.
Lieber Herr Intendant, Sie sind der Welt noch eine Verstärkeranlage schuldig, eine Anlage die von Kennern des Metiers bedient wird, eine Anlage, die dem Orchesterklang jene Sinnlichkeit verleiht, die sich Komponisten ausdachten, eine Anlage, die den Stimmen eine Verhältnismäßigkeit gibt, die auch ihren natürlichen Klangentfaltungen entsprechen, eine Anlage die auch optisches Hören möglich macht und nicht die ins Unermessliche aufgeblähten Töne von ganz anderer Seite erklingen lässt, als von dem Ort, an dem sie auf der Bühne produziert wurden. Ist das zu viel verlangt, vielleicht lassen sich die Kosten dafür durch Entfall so mancher ”Monumentalität” oder gar durch Entfall des Feuerwerks einspielen.
Ansonsten pflegt die heurige Bohème weiter die Richtung, die das Festival konsequent beschreitet: Zur Erschaffung einer eigenen Spezies an Freiluftmegaopernevent, für die sogar der Name Spektakel nicht taugt, weil die gleichartige Bezeichnung “Spettacolo” für ein Opernfestival in Oberitalien in Verwendung steht, einem vergleichweise intimen Unternehmen trotz ihrer rund 12.000 bis 14.000 täglichen Besucher. Was in St.Margarethen erfunden ist, die Volltechnisierung des Musikalischen mit dem Verschwinden des Chors und der “Einkerkerung” des Orchesters, der stets wachsenden Ertwartungshaltung für eine vergleichslose Bühnenopulenz, für das gibt es noch keine Benennung, daher muss ich bei der “Die größte singende Ansichtskarte der Welt” bleiben.
Heuer wurde mit großem Tamtam gar ein Regisseur aus Hollywood eingeflogen, der, das muss man sagen, etwas mehr Belebung in die Szenerie brachte. Alle die Darsteller und Darstellerinnen, all die wenigen singenden Choristen (die andern sind hinter der Bühne irgendwo versteckt) die Statisten und wer sonst noch die Bühne vollmachte, wussten was Sache ist und standen nicht, wie früher so oft, unbeweglich herum. Aber dass Robert Dornhelm, jener herbeiersehnte Guru der Opernregiekunst, ausgerechnet in seinem eigentlichen Metier so schlecht aussah, hätte man nicht erwartet, denn die angekündigten Projektionen im Fenster der Mansarde waren nicht Lippensynchron, andere Aufnahmen litten an der Kameraführung und an Schnitt-Problemen. So gut die Idee war, Videofokussierungen auf die Hauptszenen zu richten, es trug nur wenig mehr zur Verständlichkeit bei. Gerade einmal die langsame Ausblendung der toten Mimi hätte Wirkung haben können, aber da war schon eine erheblich störende Hundertschaft an Besucher – bereits Minuten vor dem Schluß – von ihren Sitzen unterwegs zu den Parkplätzen. Das ergibt bereits freudige Aussichten bei der Aida, wenn die beiden Grabesopfer mit ihrem “Addio” im gestöckelten Lärm übereiliger Damenfüße untergehen. Eine ziemliche Ignoranz angeblicher Opernfreunde!
Am Können der Ausstatter ist wie immer nicht zu zweifeln, Manfred Waba hat für ein opulentes Klein-Paris im Breitwandformat gesorgt, weniger gelungen der Mansardenbereich mit seiner nüchternen Zweigeschoßigkeit und der mühseligen, weil überlangen Stiegenanlage, als ein Gag im ersten Bild, der im letzten Bild wieder verschwunden war, die Sänger werden es gedankt haben. Barbara Langbein entwarf für das Paris des Fin-de-Siecle entsprechend hübsche Kostüme, für das sehenswerte Lichtdesign sorgte Michael Grudner.
Man kann in Auftreten und Spiel den HauptrollenträgerInnen durchaus Format zubilligen, auch gesanglich schienen sie gut gecastet worden zu sein, wirkten sie doch alle “raumfüllend”, mehr kann man bei der schon erwähnten und alles ins Überlaute verstärkenden Anlage nicht sagen!
Am besten wirkte die Mimi der Kanadierin Marianne Fiset mit ihren klingenden Legatobögen, auch der Rodolfo aus Litauen Merünas Vitulskis mit einer in tono gesungenen Arie hörte sich gut an, wenngleich einige Töne noch zu kopfig klangen. Man wird sich nächste Saison in Graz von seinem Kalaf völlig unverstärkt überzeugen lassen können. “Hausbariton” Josef Wagner war ein völlig überzeugender Marcello mit schönen stimmlichen Mitteln, den Philosopen mit einer tadellosen Mantelarie gab Günes Gürle. Der Bergamasker Gabriele Nani bot einen bemerkenswert köstlichen Schaunard, nicht minder köstlich wertete Andrea Martin die Rolle des Alcindoro besonders durch die “Italianita” seines Baritons auf, während Siphiwe McKenzie eine schrill-tobende Musetta auf die Bühne stellte. Der Benoit des Horst Lamnek hatte viele Stufen für die Zinseintreibung zu überwinden und hatte trotzdem noch Luft genug, Iosif Ovidiu Ciucurita sang mit leichtem Tenor den Parpignol.
Alfred Eschwé hatte die wahrlich nicht leichte Aufgabe, weit hinter der Bühne, zusammen mit dem Orchester in einem Holzhäuschen versteckt, allen den Einsatz zu vermitteln. Das Ergebnis ließ sich trotzdem hören, man ahnte, welchen Erfahrungsschatz dieser international gefragte Dirigent trotz aller widrigen Umstände einzubringen vermochte.
Das Feuerwerk wurde, entgegen bisheriger Gewohnheiten nicht am Schluss veranstaltet, sondern – wunderbar choreographiert zur Musik des 2.Akt-Finales – diesem angehängt.
Es gab diesmal mehr Zwischenapplaus, als es früher je gegeben hat, auch der Schlussapplaus war diesmal intensiver.
Fazit: Werten sie das ganze als ein neues Darbietungsformat, die gute alte Oper haben wir ja mehrfach in Wien zur Verfügung.
Peter Skorepa
Fotos: Festspiele St.Margarethen/Franz Baldauf