
Normas Gebet als Ansprache : Irina Churilova
OPER GRAZ Vincenzo Bellini NORMA.
Première am 6.Mai 2017
Eine Hohepriesterin im arabischen Frühling?
Der Stoff der Norma samt seines Ursprunges in der aus der griechischen Mythologie stammenden Medea-Sage berührt auch heute nach wie vor auf tiefster Gefühlsebene und ist, wenn man es natürlich etwas umlegt, tagesaktueller Natur: Eine alleinerziehende Mutter kämpfend gegen sich selbst, gegen Liebe, Verrat und gegen ihr Gewissen, spielt mit ihrer Macht, und missbraucht diese, um sich zu rächen. Von der ersten Minute an wird man in den tosenden Schlund der Gefühle der Norma gesogen.
Dazu trägt die einfühlsame Regiearbeit samt Personenführung Florentine Kleppers, die an der Oper Graz bereits Franz Schrekers Der Ferne Klang inszeniert hat, bei: Sie lässt den Zuschauer auf eindringliche Art und Weise an der Innenwelt der Geplagten teilhaben, was etwa dadurch gelingt, dass Norma noch kurz ihre Predigt durchgeht, bevor sie den Ritus beginnt oder die Hände ihrer Kinder hastig verbirgt, als diese aus dem Versteck herausragen. Diese kleinen, im ersten Moment unbedeutend erscheinenden Gesten und Regungen lassen die Figuren auf der Bühne menschlicher und realer werden. Gemeinsam mit dem Bühnenbild von Martina Segna und den Kostümen Adriane Westerbarkeys wird die Handlung in heutige Zeiten versetzt: Die Bühne ist ein heruntergekommener Turnsaal, der als Hauptquartier für Versammlungen der Widerstandskämpfer dient, rot-grüne Flaggen mit goldenem Stern werden geschwenkt – deren Design scheint an die ägyptische Fahne angelehnt zu sein, Gewehre und Pistolen werden verteilt und Normas Riten wirken eher nach Parteiversammlung. Das Regieteam hat Geschichte und Musik mit seiner Arbeit hervorragend unterstützt und dem Stück so einen sanften neuen Anstrich verpasst.

Norma Irina Churilova und Pollione Medet Chotabaev
Zu den Sängern sei vorweg gesagt: Mit Sicherheit war das der größte und die Ohren betäubende Beifall, den man an der Oper Graz diese Saison gehört hat. Als Norma wurde die aus Nowosibirsk stammende Sopranistin Irina Churilova ans Haus geholt. Im ersten Akt begeisterte sie vor allem mit ihrem dunklen Timbre im mittleren bis tiefen Register, doch bei den hohen Tönen hörte sich ihre Stimme noch so indisponiert an, dass man etwas besorgt war, ob die russische Sängerin den zweiten Akt durchzuhalten in Stande ist. Doch gerade im zweiten Akt war ihre Stimme richtig aufgewärmt und man konnte einfach nur genießen! Die warme Klangfarbe zieht sich bis in das höchste Register ihrer Stimme und erzielte wirklich wunderschöne Wirkung.
Dshamilja Kaiser als Aldagisa feierte mit Norma ihre letzte Premiere als Mitglied des Ensembles der Oper Graz und auf was für eine Weise. Die Aldagisa ist wie für sie geschrieben, sie kann ihr volles stimmliches Register nützen und im Duett mit Churilova singt sie nicht bloß ihren Part, sondern musiziert auch mit voller Konzentration mit ihrer Partnerin. Dazu ist Frau Kaiser eine herausragende Schauspielerin! Bleibt zu hoffen, dass sie oft als Gast wieder nach Graz kommt.
Als Pollione agierte der junge, kasachische Tenor Medet Chotabaev, der seinen Kolleginnen stimmlich um nichts nachstand. Sauber, rein und klar sang er seine Partie, es gab keinerlei Unsicherheiten oder wackelige Passagen. Manchmal hätte man sich noch ein bisschen mehr Mut zur Interpretation gewünscht, aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau. Der Klang seiner Stimme ist etwas Besonderes, da wird er noch einiges damit zu erzielen in Stande sein.

Norma Irina Churilova
Der in Jerewan geborene Tigran Martirossian als kriegslüsterner Oroveso war fantastisch, dunkel und kraftvoll strömte sein Bass durch das Haus und mit hart-hallenden Worten rief er das gallische Volk zum Krieg auf.
Die kleineren Rollen des Flavio und der Clotilde wurden mit zwei Sängern aus dem Grazer Ensemble besetzt: Die junge Sonja Sarić aus dem Opernstudio der Oper Graz erfreute mit dem sanften Klang ihrer Stimme in den Rezitativen und spielte die besorgte Vertraute der Norma sehr überzeugend. Nächste Saison ist sie übrigens als Gräfin Almaviva zu sehen! Martin Fournier als Polliones Begleiter gibt dem Abend noch einen weiteren ausgezeichneten Sänger und Schauspieler. Fünf so phänomenale Darsteller auf der Bühne zu haben ist ein Hochgenuss.
Der Chor unter der Leitung von Bernhard Schneider wurde in dieser Norma vor Allem szenisch stark eingebunden, da gibt es viel zu tun und zu singen. Wie immer erbrachte der Chor seine bekannt solide Leistung. Auch der Extrachor war mit von der Partie und es ist schon eine besonders eindrucksvolle Wirkung zu verspüren, wenn solch riesige Chormassen auf der Bühne agieren.

Ein Tribunal im Stile aktueller Vorgänge im Nahen Osten
Das Grazer Philharmonische Orchester unter dem Dirigat von Robin Engelen hatte auch seine Glanzmomente, wie etwa in der musikalisch ausschweifenden Ouvertüre. Die Norma dauerte zwar etwas länger als es der Usus ist, aber man hat dann wenigstens längeren musikalischen Genuss an einem der Hauptwerke der italienischen Romantik. Ein mitreißender und packender Abend an der Oper Graz! Eine wichtige Ergänzung im Spielplan unsres Opernhauses.
Der Besuch ist empfehlenswert. Erschrecken Sie nur nicht vor den Fernbläsern und den lauten pyrotechnischen Effekten, so wie es mir ergangen ist
Konstanze Kaas
ONLINEMerker
Alle Fotos dieses Artikels: Copyright: Fotowerk-Oper Graz