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OPER GRAZ Giuseppe Verdi DON CARLO Premiere

Im Seelenkerker

30.09.2019 | KRITIKEN, Oper

Die grausam von Folter entstellten Flandrischen Debütierten vor ihrer Hinrichtung. Dem König (Timo Riihonen)  graust, die Königin (Aurelia Florian) zerfließt in Mitleid  (Copyright Werner Kmetitsch)

OPER GRAZ
Giuseppe Verdi  DON CARLO

Samstag, den 28. September 2019
Premiere der Neuinszenierung


Im Seelenkerker

Keine Frage, das Los, von dem die Gräfin von Aremberg im 1. Akt betroffen wurde, nämlich strafweise in ihre Herrschaft in den Niederlanden zurück zu müssen, das war das beste was dieser adeligen Dame passieren konnte. Es bedeutete nichts anderes, als dem Habsburgischen Seelenkerker in Madrid entkommen zu sein, einer Enge und persönlicher Unfreiheit, einer dem Zeremoniell einer von Politik und Religion unterdrückten Hofgesellschaft, von der fast alle handelnden Figuren in diesem von Giuseppe Verdi veroperten Drama Friedrich Schillers schicksalhaft betroffen wurden.

Der aus Bristol stammende Designer Gideon Davey – wir kennen ihn als Ausstatter des Wozzeck im Theater an der Wien – baute diesen Seelenkerker in Form von verschiebbaren, kassettenartigen Wänden und Decken über die gesamte Breite der Bühne mit der Möglichkeit, relativ schnell die handelnden Personen dieses wie ein Figurenspiel ablaufenden Dramas einzuengen und einzuhausen und bildete sich so trotz einer sich laufend ändernder Raumanordnung der Charakter eines Einheitsbühnenbildes.

Posa (Neven Crnic) um die Königin (Aurelia Florian) besorgt, der König (Timo Riihonen) lauernd im Hintergrund (Copyright Werner Kmetitsch)

Für Ensembles wie etwa die Szene des Autodafés öffnet sich dann jeweils die Bühne mit entsprechend bebildertem Hintergrund. Ja, diese Autodafé-Szene, in seiner Bildwirkung wohl der Höhepunkt dieser Oper, ist trotz einfacher Gestaltung von grausigstem Eindruck, wenn nämlich die flandrischen Deputierten, von offensichtlich grausamster Folter und von Wunden entstellt und mit blutigen Leinenhemden bedeckt auf Tischen liegen wie auf einer Schlachtbank über die Bühne gezogen werden. Am Ende des von Phillipp II. mit sich steigernder Abscheu und Abwehr beobachteten Zuges dieser lebenden Leichen Gleichenden sitzt die sterbende Gestalt der „Stimme vom Himmel“. Und wenn auch die Details nicht unbedingt einer exakten Beurteilung ihres historischen und librettogemäßen Ablaufes standhalten, so ist der Symbolwert solcher Darstellung auf der Bühne für das Verstehen des Stoffes und dessen Wirkung von Wichtigkeit – das Regietheater lebt ja schon lange davon und propagiert solches!

Jetske Mijnssen, gebürtige Niederländerin und in Graz schon mit der Regie von Eugen Onegin betraut gewesen, bekannt für ihre stark musikorientierte Lesung der Stücke zeigte auch hier, bei der Inszenierung an der vieraktigen Fassung dieses Werkes eine interessante Personenführung, kein Wunder, ist doch die Besatzung des Madrider Königshauses schon immer für psychisch auffällige und psychotische Verhaltensweisen reif gewesen. Noch dazu verpasst die Regisseurin dem schon von der Musik her so unnahbar wirkenden Phillipp II zusätzlich noch eine auffällige homoerotische Passion für Marquis Posa, der sich der Umarmungen und Liebesbezeugungen seines Königs kaum erwehren kann.

Ehelicher Frust beim König (Timo Riihonen) Dieser wird von der Eboli (Oksana Volkova) getröstet (Copyright Werner Kmetitsch)

Timo Riihonen, hoher Bass aus dem hohen Norden – geboren im Finnischen Mikkeli – seinem hellen, manchmal hohl klingendem Timbre nach kein ausgesprochener Verdi-Sänger, hatte Mühe als Philipp II jene Wärme zu verbreiten, die eine Emphase für seine nächtlich beklagte Einsamkeit hervorrufen sollte. Und er hatte in der Auseinandersetzung mit dem Großinquisitor – Dmitrii Lebamba – schlechte Karten, was seine Tiefe anlangt, während er in der Höhe durchaus kräftige Töne von sich geben konnte. Prinzessin Eboli schien da zufrieden mit dem königlichen Liebhaber, denn sie saß während der ganzen morgendlichen Arie über die fehlende Liebe seiner Gattin auf seinem Schoß oder lag vor ihm auf dem Boden – eine neuartige und verbreitete Marotte seitens der Regien, solche stummen Zuhörer bei Solonummern einzubauen.

Das bosnische Mitglied des Grazer Ensembles Neven Crnic begeisterte als Posa das Publikum mit dem intensiven Einsatz seines gut klingenden Baritons in den Duetten ebenso wie in seiner Todesszene, genauso konnte Oksana Volkova als Eboli gefallen. Nur Mykkailo Malaffi sollte als Don Carlos mehr Mühe für ausgeglichenen Stimmeinsatz einbringen, gute Höhen allein genügen nicht. Erst im Duett mit Elisabetta im 4.Akt zeigte er, dass er auch mit guter Phrasierung aufwarten kann.

Die zu Dauertrauer verurteilte Königin wurde von Aurelia Florian dargestellt, die Sopranistin aus Rumänien ließ mit einer schön und ebenmäßig gesungenen Elisabetta aufhorchen. In Graz ist sie ja schon bekannt, als sie vor zwei Jahren in der Neuinszenierung von Puccinis La Rondine die Rolle der Magda sang. Und Tetiana Miyus berührte mit Gestaltung und Gesang der Stimme vom Himmel.

Oksana Lyniv führte mit ihren bekannt ruhig und souverän wirkenden Bewegungen die Grazer Philharmoniker und den von Bernhard Schneider einstudierten Chor durch die Partitur. Waren es die anfangs noch etwas unsicher wirkenden Chor- oder Bläsereinsätze oder so manche nicht genügend ausdifferenziert wirkende Tempowahl bei den Vorspielen der Grund, beim Schlussapplaus gleich einige Buhrufe beim Erscheinen der musikalischen Leitung loszulassen? Wohl kaum, denn die musikalische Unterfütterung des Seelendramas gelang der jungen Dirigentin mit den Grazer Philharmonikern ganz ausgezeichnet und mit authentischem Verdisound.

 

Peter Skorepa
OnlineMerker
27.9.2019

 

Diese Premiere an der Oper Graz wurde dem erst am Tag zuvor verstorbenen Stimmführer der Zweiten Geiger der Grazer Philharmoniker Izumi Hasebe gewidmet. Der Künstler war 41 Jahre lang Mitglied dieses Orchesters.

 

 

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