Oliver Schlick
DAS CRIME ZERTIFIKAT
Verbrechen mit Qualität
268 Seiten, ueberreuter, 2020
Pius Nordberg ist fast zwei Meter groß, 39 Jahre alt, bändigt seine Haarpracht in einen Pferdeschwanz und hat einen Beruf, der nicht ganz sympathisch klingt– „Inkassowesen“. Allerdings ist er in tiefster Seele ein lieber Mensch und nützt seine beachtliche Muskelmasse auch zum Schutz der Armen und Hilflosen, und gar zu schlimm ist die Situation nicht, solange er für „Papa Ambros“ arbeitet. Der ist nämlich ein gemütlicher Kleinkrimineller mit Handschlagmentalität und einem großen Herzen, der mit seinen „Mitarbeitern“ höchst menschlich umgeht. Und Pius sorgt dafür, dass er selbst beim Eintreiben von Schulden so schonungsvoll und überzeugend vorgeht, dass sein Kollege Bernward den Koffer mit den „Folterinstrumenten“ nur ganz selten aufmachen muss… Also scheint Pius anfangs nur ein Problem zu haben, eine anarchische Mutter, die ihr Altersheim aufmischt und auch für den Sohn sehr anstrengend ist…
Irgendwie ist es „gemütlich“ in diesem Roman von Autor Oliver Schlick, der bis jetzt durch Kinderbücher hervorgetreten ist. Immerhin gelingt ihm mit „Das Crime Zertifikat“ etwas Besonderes, nämlich ein wirklich komischer Krimi, der sich auch satirisch mit der heutigen Berufswelt auseinander setzt.
Denn ungemütlich wird es, als Papa Ambros äußerst hässlich stirbt (in der Sonnenbank, die er gerade gekauft hat und die sich offenbar nicht rechtzeitig ausgeschaltet hat). Da taucht nämlich sein Sohn Torben Bennecke auf, der wirklich und wahrhaftig unsympathisch ist: Er will das ganze kleine Verbrecher-Syndikat des Vaters auf völlig neue Beine stellen. Dazu hat er Lena Krytschewski mitgebracht, zugegeben, eine verlockende Schönheit, aber auch eine ganz widerliche Karrierefrau. Die kommt gleich mit „Kommunikationsmatrix“ daher. Stellt Controller an und Computer auf. Verlangt von den Mitarbeitern, dass sie im Zweifelsfall nicht nur Finger brechen, sondern darüber auch Formulare ausfüllen. Und die Bestätigung von Kundenzufriedenheit (!) ist auch einzuholen, man ist schließlich ein moderner Betrieb. Und möchte „Verbrechen mit Qualität“ liefern. Wer je unter den „Umstrukturierungen“ in „modernes Management“ gelitten hat und das damit verbundene „Wichtigsprech“ kennt, kann den armen Klein-Kriminellen von Papa Ambros ihr Entsetzen nachfühlen…
Kurz, von nun an läuft die Geschichte auf zwei Ebenen: Wie die sinnlose neue Geschäftssprache und die überzüchteten neuen Geschäftsmethoden den Betrieb menschlich und fachlich ruinieren – und wie Pius nicht weiß, ob an der schönen Lena doch was dran ist, zumal sie sich ja auffallend um ihn bemüht. Falsche Katz, die sie ist… Oder teilt sie den Verdacht von Pius, mit dem Tod von Papa Ambros sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen? Und dann, es ist schließlich nicht nur eine Zeitgeist-Satire (Höhepunkt: Besuch in einem Swinger-Club!), sondern auch ein Krimi, geschehen weitere Morde.
Wie es das Genre verlangt: Der Leser darf unter verschiedenen Verdächtigen wählen, und wenn der Autor so geschickt ist wie dieser, ist man von der Lösung dann doch einigermaßen überrascht. Eine doppelte Pointe am Ende, denn Pius bekommt auch die erfreuliche oder unerfreuliche (das wird ja nicht verraten) Rechnung dafür präsentiert, wie recht er gehabt hat, wenn er an der schönen Lena gezweifelt – oder ihr ja doch geglaubt hat…
Und der Leser hat sich wirklich unterhalten.
Renate Wagner