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Olaf B. Rader: KAISER KARL DER VIERTE

09.01.2024 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Olaf B. Rader
KAISER KARL DER VIERTE
DAS BEBEN DER WELT
544 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2023

Nicht jeder Königssohn hat mit seinem Pfund so klug und erfolgreich gewuchert wie jener 1316 geborene Wenzel, Sohn des böhmischen Königs Johanns aus dem Hause Luxemburg. Mütterlicherseits stammte er sowohl von Rudolf von Habsburg wie von Ottokar Přemysl ab, den großen Kontrahenten der Geschichte (wie sie jeder Österreicher aus Grillparzers Drama „König Ottokars Glück und Ende“ kennt).

Sein Vater hatte als außenstehender Luxemburger die böhmische Krone mit Hilfe seines Vaters (Kaiser Heinrich VII.) und durch die Heirat mit Elisabeth von Böhmen, weiblicher Sproß der im Mannesstamm ausgestorbenen Přemysliden, erhalten und gewissermaßen auch „erheiratet“ – und blieb in den Augen der Bevölkerung dennoch ein Fremder. Die Ehe war auch mehr als spannungsreich und führte bis zur Verbannung der Königin. Der Sohn der beiden war sich nichtsdestoweniger des Werts seiner Herkunft stets bewusst und stellte, wie der Autor ausführt, je nach politischem Bedarf die eine oder andere Verwandtschaft in den Vordergrund.

Wie Wenzel, der nach seiner Firmung in Frankreich den Namen Karl erhielt und behielt, seinen Weg über die Königskronen zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und mächtigstem Mann des 14, Jahrhunderts machte, zeichnet sein Biograph, der Mittelalter-Spezialist Olaf B. Rader, spannend nach. Bader ist derzeit für die Monumenta Germaniae Historica an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit der Herausgabe der Quellen aus der Zeit Kaiser Karls IV. befasst und nennt diesen Kaiser „Das Beben der Welt“ – eine Paraphrase zu Kaiser Friedrich II., der das „Staunen der Welt“ war und dem Baders vorangegangene Biographie galt. Die Formulierung hat Karl allerdings für sich selbst gefunden und auf seinen Grabstein schreiben lassen. (Und Bader würde gerne, wie er andeutet, als nächsten den ersten Habsburger-Kaiser, Friedrich III., ins Auge fassen…)

Hier wird eine in jeder Hinsicht bewegte Lebensgeschichte erzählt –  Kindheit in Frankreich, wo man ihn mit Blanche de Valois, der Schwester des Königs vermählt, kämpferische Jugendjahre in Italien, wo sein machtsüchtiger Vater unterwegs war. Für österreichische Leser besonders spannend ist der Kampf um Tirol, wo die Erbin Margarete ihren Luxemburgischen Gatten (den jüngeren Bruder von Karl) vertrieben hatte und wo sich nun alle Parteien (Habsburg, Wittelsbach, die Margaretes zweiten Gatten stellten, Luxemburg) um dieses kostbare Land stritten. Da unterlag Karls Partei in den Kämpfen (seine vielleicht größte Niederlage), die Habsburger konnten sich letztendlich Tirol als eine Perle ihrer Erblande einverleiben…

Aber Karls weitere „Karriere“ war bemerkenswert – die getrickste und gekaufte Wahl zum Römischen König (aber das war üblich – wie bei Wahlen immer und überall, wenn es um Kandidaten geht) und der damit verbundene Anstieg von Prestige und Privilegien für den erst 30jährigen. Abgesehen davon war dieser Königstitel immer das Sprungbrett für die Kaiserwahl – Karl musste nur neun Jahre darauf warten. Ein rasanter Aufstieg, auf dessen Weg die Kronen von Böhmen und Italien lagen, später kam noch Burgund dazu. „Der Kronensammler“ nennt ihn sein Biograph.

Allerdings war all das mit großen Schwierigkeiten und politischen Wechselfällen verbunden. Dazwischen gab es natürlich Kriege, damals kämpften die Fürsten noch am Schlachtfeld (sein Vater starb dort), enorme Gebietserweiterungen seiner Einflusssphäre, schwere religiöse Auseinandersetzungen, die Europa erschüttern, und Machtkämpfe aller Art. Manches auch diplomatisch zu regeln – Rader spricht von „teilweise zynischen Winkelzügen“, mit denen Karl es verstand, seine Ziele zu erreichen. Anders hätte er es auch nicht so weit gebracht.

Dazu kamen äußerst geschockte Eheschließungen für seine Kinder, die er in ganz Europa verheiratete – und sich selbst. Er brachte es auf vier Ehen, jede war ein politisches Bündnis, brachte gelegentlich  als Draufgabe noch Landgewinne wie (nach dem Tod von Blanche de Valois) bei Gattin Nr. 2, Anna von der Pfalz. Anna von Schweidnitz war Gattin Nr.3. Seine letzte Gemahlin Elisabeth von Pimmern überlebte ihn dann um 15 Jahre.. Aus allen Ehen gingen Kinder hervor.

Es gab in diesem Leben Schwierigkeiten, Verluste (auch schwere Verletzungen und am Ende Krankheiten), daneben aber auch romanhafte Züge – wenn Karl verkleidet als Knappe, durch Feindesland ins heimische Böhmen schleichen musste. Die verrückte Geschichte des „falschen Woldemar“, mit der sich Karl auseinander zu setzen hatte, spielt auch hier herein.

So sehr Karl an der Erweiterung seiner Macht arbeitete, so war er doch aus tiefem Herzen König von Böhmen und hier Bauherr, ließ die Neustadt errichten, legte den Grundstein zu dem Veitsdom, gründete die Universität. Und schließlich ist sein Name mit dem Gesetzeswerk der „Goldenen Bulle“ verbunden. Und mit all dem hat man nur einen Teil dessen erwähnt, was sich in diesem Leben (und dieser Biographie) begibt.

Neben all diesen Ereignissen (wo auch die gewaltigen Naturkatastrophen und die Pestepidemien der Epoche eingearbeitet sind) entsteht das Bild eines Mannes, der von Stolz und Sendungsbewusstsein erfüllt war, der sich mit der Überlieferung seiner eigenen Biographie befasste, in die auch „Wunder“ eingearbeitet wurden (Rettung vor Giftanschlag, Verkündigung durch Engel im Traum), der dafür sorgte, dass seine Bildnisse überall wo möglich erschienen und Werke (ob Burgen, ob eine zentrale Brücke, ob eine Universität) seinen Namen trugen. In diesem Sinn war er „modern“, wer immer dergleichen vermag, versucht es auch heute, nur dass diese herausragende hohe Stellung über zwanzig, dreißig Jahre heute kaum noch möglich ist.

Der Autor schränkt ein, ob die Bildnisse einen Wiedererkennungswert in der Realität hatten, aber darauf kam es nicht an – Karl IV. verewigte sich als Institution. Heute allerdings scheinen, wie ein Bild zeigt, die aus der Untersuchung von sterblichen Resten gewonnenen Erkenntnisse per Computer digital das eindrucksvolle Bild eines Mannes auszuwerfen (auf Seite 56).

Unsere Gegenwart wird hellhörig, wenn es in der Vergangenheit um den Umgang mit Juden geht. Da ist Karl IV auch kein positives Beispiel. Im Zusammenhang mit der Pestepidemie kam es zu gewaltigen Judenpogromen. Aber es war eine Epoche, in der die Juden allerorten größten Repressalien ausgesetzt waren, das galt auch für Ludwig den Bayer, und die Habsburger leisteten sich unter Albrecht II. im Jahr 1421 die so genannte Wiener Gesera, einen wahren Vernichtungsfeldzug gegen Juden. Das entschuldigt nichts, zeigt aber dennoch ein Zeitphänomen auf.

Alles in allem schafft es Olaf B. Rader, einerseits breit und ausführlich die Umstände zu schildern, unter  denen dieses Leben sich abspielte, aber gleichzeitig so schlank und spannend wie einen Roman die Geschichte eines ganz besonderen Mannes zu erzählen.

Renate Wagner

 

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