OKSANA LYNIV
„Im Graben bin ich die Partnerin für die Sängerinnen und Sänger“
Ein Gespräch mit der neuen Chefdirigentin der Grazer Oper und des Grazer Philharmonischen Orchesters
Das Gespräch mit Oksana Lyniv hat Konstanze Kaas für den OnlineMERKER geführt.
Zwischen Proben für das Eröffnungskonzert am Grazer Opernhaus hatte sich die neue Chefdirigentin, die gebürtige Ukrainerin Oksana Lyniv, Zeit genommen, mit unserer Mitarbeiterin in Graz, Konstanze Kaas ein Gespräch zu führen. Es war das erste Mal, dass sich Frau Lyniv als neue musikalische Leiterin des Grazer Philharmonischen Orchester vor dem Grazer Publikum präsentiert hat und das gleich mit einem für die Musiker sowie für das Publikum anspruchsvollen Programm von Liszt über Bartòk bis Schumann.
Nach Stationen am Nationalen Opernhaus von Odessa sowie als Assistentin Kyrill Petrenkos an der Bayrischen Staatsoper und Gastdirigaten in ganz Europa, darunter eine Neuproduktion des Fliegenden Holländer am Gran Teatre del Liceu in Barcelona durften wir die leidenschaftliche und energiegeladene Dirigentin in Graz willkommen heißen.
Frau Lyniv, Sie sind nun seit Anfang September in Graz, haben die Probenarbeit mit dem Grazer Philharmonischen Orchester aufgenommen und auch schon gemeinsam ein erfolgreiches Konzert im goldenen Saal des Wiener Musikvereins bestritten. Wie waren die ersten Wochen in Graz für Sie?
Sie waren spannend, mit sehr vielen Proben. Von Graz selbst habe ich noch nicht so viel gesehen, denn wenn man sich für so ein schweres Programm vorbereitet, dann bleibt einem nicht viel Zeit für anderes. Aber ich war beim Konzert des Orchesters unter der Leitung von Marcus Merkel beim Aufsteirern (Anm.: großes Volksfest in der Grazer Innenstadt), die Stimmung war sehr schön. Die Stadt ist sehr lebendig und mir gefällt die eigentümliche Kultur gut, denn die macht Graz zu etwas Besonderem.
Wie gestaltete sich die Probenarbeit mit dem Grazer Philharmonischen Orchester?
Eigentlich sehr intensiv, ich merkte aber auch, dass das Orchester mich noch beobachtet und ich beobachte sie ebenso, wir sind beim Kennenlernen. Die Stücke, die wir jetzt probten sind musikalisch sehr fordernd, daher muss man sich zusammenfinden. Man kann hier nicht reserviert bleiben. Ich finde, wir haben schon einen gemeinsamen Weg gefunden. Das Konzert im Wiener Musikverein war auf jeden Fall ein großer Erfolg für uns. Allerdings ist das Eröffnungskonzert die zweite Prüfung für uns: Wir spielen in der Oper, das heißt vor dem Grazer Publikum, vor der Presse, vor Musikkennern und -liebhabern. Es ist mein Einstand hier in Graz.
Haben Sie Opern in Ihrem Repertoire, welche Sie besonders gerne dirigieren?
Das lässt sich schwer sagen, aber zu Puccini und Mozart habe ich eine besondere Beziehung, denn deren Werke waren die ersten Kontakte mit dem Genre Oper, die ich hatte. 2008 habe ich Madame Butterfly an der Nationaloper Odessa dirigiert und das war dann mein erstes großes Operndebüt. Dieses Stück habe ich immer geliebt, mein großer Traum war es stets, gerade dieses Werk zu dirigieren. Es ist eine Sache, den Beruf des Dirigenten auszuwählen. Die andere Sache ist dann, den Beruf auch wirklich ausüben zu können. Im Laufe meiner Karriere ist es aber auch immer interessanter für mich geworden, Herausforderungen zu suchen. Die Arbeit mit einer Uraufführung ist da etwas Spezielles, denn bis zu einem gewissen Grad hängt es dann auch von mir ab, wie das Stück ankommt, wie es aufgenommen wird. Generell unterscheidet sich die Herangehensweise, die Analysearbeit, wenn man mit Werken arbeitet, von denen es kaum, oder wenige Aufnahmen gibt, die wenig bzw. fast gar nicht gespielt werden, von jenen Werken, welche zum Kanon zählen.
Was machen Sie, bevor sie den Taktstock bei einer Aufführung in die Hand nehmen? Gibt es da besondere Rituale?
Wenn ich am Vormittag vor einer Aufführung oder einem Konzert keine Proben habe, was doch eher selten der Fall ist, dann gehe ich gerne an die frische Luft zum Spazieren. In Odessa oder Barcelona war das immer der Weg zum Meer und dann das schwimmen gehen. Manche Dirigenten wollen zwei Stunden vor Konzertanfang nicht mehr gestört werden, brauchen absolute Ruhe und lassen niemanden zu sich in der Pause. Mich macht das nur nervös und angespannt, ich brauche Kontakt. Wenn meine Familie oder Freunde in einer Aufführung sind, dann freue ich mich sehr, wenn sie mich in der Pause besuchen kommen. Dann bekomme ich einen Eindruck, wie die Stimmung im Publikum ist, wie der Klang im Raum ist. Als wir das erste Konzert im Wiener Musikverein hatten, da habe ich unsere Intendantin Nora Schmid nachher angesprochen und gefragt, warum sie mich in der Pause nicht besucht hat und ob das Konzert denn so schlecht gelaufen ist. (lacht) Ich brauche also die Rückmeldung.
Ist Ihnen schon mal eine Panne passiert, so wie Partitur zu Hause vergessen oder ähnliches?
Erst kürzlich, bei den Bayrischen Festwochen ist mir etwas passiert! Normalerweise beginnen die Aufführungen um 19:00 und wenn eine Aufführung früher beginnen sollte, dann wird ein rot leuchtendes e-Mail an alle Beteiligten ausgesendet. Ich habe das aber aus irgendwelchen Gründen nicht bekommen oder übersehen. Einige Angehörige waren auf Besuch und wollten auch in die Vorstellung gehen, deswegen habe ich mit dem Kartenbüro telefoniert. Es war zirka 17:45, also 15 Minuten vor Beginn und in einem Nebensatz wurde dann gesagt: „… aber Sie sind jetzt sowieso schon am Haus“. Da stellte ich fest, dass ich schon dort sein sollte! Zum Glück hatte ich geplant um 18:00 am Haus zu sein, Taxi war bestellt. Rein ins Konzertgewand, den Taxifahrer angetrieben. An der Oper wurden alle Türen für mich bis zum Orchestergraben offen gehalten, der Orchesterwart hat mir im Graben meinen Taktstock in die Hand gedrückt, die Partitur war schon aufgelegt und los ging es! Und das fast ohne Verspätung…
Da bekommt man ja vom bloßen Zuhören schon feuchte Hände! Gibt es auch ukrainische Opern, die Sie gerne einem größeren Publikum präsentieren würden?
Da bin ich gerade auf der Suche, aber das ist sehr schwierig. Es gibt sehr viel, aber viele Stoffe sind nicht ganz zeitgemäß und deswegen kaum spielbar, da die Komponisten und Librettisten in ihrem Schaffen durch das kommunistische Regime einer strengen Zensur unterworfen waren. So konnten sie nicht ihre eigenen Ideen umsetzen, sondern mussten Auftragswerke über die Erfolge der roten Armee oder ähnliches schreiben. Das ist alles sehr auf die sowjetische Sicht zugeschnitten, denn wenn das nicht der Fall war, dann wurden die Werke nicht gespielt. Auch ist die Recherche nicht einfach, da wir in der Ukraine keinen Nationalverlag oder kein Nationalarchiv haben. Heute gibt es sehr viele und sehr gute Komponisten, aber sie sind nicht daran interessiert für die Oper zu schreiben, denn es gibt leider noch keinen Dialog zwischen Komponisten, die Ideen haben und den Opernhäusern, die diese Ideen verwirklichen können. Ich möchte gerne der Motivator sein und Komponisten dazu animieren nach Stoffen zu suchen. Gespannt bin ich auf die Uraufführung der Familienoper „Momo und die Zeitdiebe“ von Svitlana Azarov am 15.Oktober in Kopenhagen.
Welche Rolle würden Sie am liebsten singen, wenn Sie Sängerin wären?
Nach meiner Stimmlage wäre ich ein lyrischer Koloratursopran, ich habe mich nämlich auch für eine Gesangsausbildung interessiert. Aber ich bin eben Dirigentin geworden und nicht Sängerin, weil ich liebe so viele verschiedene Opern und als Sängerin könnte ich mich eben nur für einige wenige Rollen entscheiden, wobei das natürlich auch immer durch das Stimmfach begrenzt ist. Ich dürfte eine Marguerite singen, eine Tosca dann aber nicht. Aber: als Dirigentin kann ich alles machen, da gibt es keine Einschränkungen! Außerdem habe ich sehr starke musikalische Vorstellungen und als Dirigent hat man viel mehr Möglichkeiten für die musikalische Gestaltung: Als Sängerin muss man sich an den Partner, an das Orchester in gewisser Weise anpassen und man kann nur Einfluss auf eine Rolle nehmen. Ich als Dirigentin kann weitere Bögen spannen, Form geben, Spannung aufbauen und so der Partner für die Sänger im Graben sein.
Der OnlineMERKER dankt für das Gespräch und wünscht viel Erfolg in der neuen Position in Graz
Konstanze Kaas
OnlineMERKER
Fotos: OperGraz/Kmetitsch , Privat 2x
Graz, im September 2017