OBERDÜRNBACH / Katharinakirche: Gottfried von Einem und Franz Schubert Serenadenkonzert
29. September 2026
Von Manfred A. Schmid
Am 12. Juli 1996 stand der Name des Örtchens Oberdürnbach bei Maissau zum ersten und wohl auch letzten Mal in der angesehenen New York Times. Im alten Schulhaus, gegenüber dem Kirchlein St. Katharina, mit Fresken aus dem 12. Jahrhundert, wo der weltberühmte Komponist an der Seite seiner Frau Lotte Ingrisch einen Großteil seines Lebensabends verbrachte, war Gottfried von Einem im 79. Lebensjahr verstorben. Die Nachricht von seinem Tod ging um die Welt.
Das Haus, inzwischen als Gottfried von Einem Museum zugänglich, wurde kürzlich restauriert. In der Kirche zur Heiligen Katharina findet alljährlich Mitte Juni das Gottfried von Einem und Lotte Ingrisch Fest „Melos und Logos“ statt. Oberdürnbach ist längst ein kultureller Kraftort geworden. Auch ALLEGRO VIVO hat den inmitten von Weinbergen gelegenen Ort für seine Kammermusikkonzerte entdeckt. Nun sind die seit über 60 Jahren bestehenden niederösterreichischen Serenadenkonzerte an der Reihe: Unter dem Motto „Musik am Ursprung“ wird in einem feinen Liederabend mit Rezitation dem genius loci des Künstlerehepaares Von Einem/Ingrisch nachgespürt.
Den Anfang macht der Liederzyklus Leib und Seelensongs op. 53, nach Texten von Lotte Ingrisch. Was den besonderen Reiz dieser Lieder ausmacht, ist die Begleitung auf der Gitarre, die hier statt des gewohnten Klaviers herangezogen wird. Das 1980 von Peter Schreier und Konrad Ragossnig beim Carinthischen Sommer Ossiach uraufgeführt Werk ist ein frohgemuter, lebensbejahender Lobgesang auf die Freuden des alltäglichen Lebens, der – bezeichnend für die Autorin – auch der Tod wohlwollend miteinschließt. Der Sänger Robert Bartneck, Ensemblemitglied der Volksoper Wien, besingt mit seinem wohltönenden lyrischen Tenor den faszinierenden, zum Verweilen einladenden „Indian Summer“, erklärt sich in „Rosenzeit, Rabenzeit“ jederzeit bereit für den Abruf in die Ewigkeit und schwärmt im Lied „Meinem Bäuchlein wachsen Flügel“ von den irdischen wie auch himmlischen Kochkünsten der auch namentlich genannten Kammersängerin Hanny Steffek. Erwähnt werden u.a. „Carpaccio, Aioli, Käsesouffle, Tagilatelle, Coquilles Provencales“ und andere Spezialitäten. Anzumerken in diesem Zusammenhang, dass Lotte Ingrisch überhaupt nicht kochen konnte, die Kochkubnst daher besonders zu schätzen wusste. Die Einheit von Diesseits und Jenseits ist auch Thema von „Traum, Lieb, und Tod“ und dem abschließenden Lied „Ollapotrida“. Unbeschwert, heiter, unaufgeregt und erwartungsvoll wird da der Tod als „Ein ,beinerne Blum‘“ bezeichnet, mit der anschließenden Frage „Wann wird sie blühen?“ Das erwarteteFazit: „Und der Tod wird Poesie!“
Bartneck und der Gitarrist Armin Egger finden in ihrer Gestaltung die rechte Balance zwischen Ernst und Humor. Der vielfach ausgezeichnete Gitarrist Armin Egger brilliert dann auch als Solist mit zwei Stücken aus Gottfried von Einems Drei Studien für Gitarre solo op. 34, bevor es mit den beiden, ebenfalls positive, geradezu hymnische Freude und innige Dankbarkeit ausstrahlenden Schubert-Liedern „Sei mir gegrüßt“ und „An die Musik“ in die Pause geht.
Der zweite Teil des Serenadenkonzerts im auch akustisch hervorragenden Ambiente des Kirchleins St. Katharina beginnt mit dem von Johann Kaspar Mertz (1806-1856) für Gitarre solo arrangierten „Ständchen“ Franz Schuberts. Armin Egger gelingt es, die technische Virtuosität herausfordernde Bearbeitung so darzubringen, dass die Schlichtheit und Heiterkeit der Originalfassung noch durchschimmern kann. Es folgen drei weitere Schubertlieder, die durch innige Ruhe, Gelassenheit und völlige Hingabe charakterisiert sind und damit hervorragend in ein Serenadenkonzert passen: „Wanderers Nachtlied“, „Nachtstück“ und „Nacht und Träume“.
„Einems Musik kennt nicht, wer seine Lieder nicht kennt,“, schreibt der Musikgelehrte Friedrich Saathen in seiner Einem Chronik. Anders als in seinen großen Opern, wo er die großen Fragen der Menschheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Schuld, auf die Bühne bringt, nimmt sich Gottfried von Einem in seinen Liedern immer mehr zurück und thematisiert die kleinen, aber genauso wichtigen Fragen des alltäglichen Lebens (und Sterbens), die Natur und ihre Schönheit. Gottfried von Einem bekennt sich zur Verknappung, die sich auf das Wesentliche konzentriert: „Die Gedichte, die meinem Herz am nächsten stehen, sind fast durchwegs kurz.“
Ein überzeigendes Beispiel dafür liefert der Zyklus Gute Ratschläge op. 67, nach Texten (Zitaten) u.a. von Albert Einstein, William Bake, Le Corbusier, Niels Bohr und Augustinus. Tiefe Einsichten, wie etwa Einsteins „Das schönste Gefühl, dessen wir teilhaftig werden können, ist das Gefühl des Mystischen“, Weisheiten wie der indische Spruch „Wandle dich selbst und die betrittst eine verwandelte Welt“, aber auch die entzückend banale Bitte Theodor Storms an die „verehrlichen Jungen“, die beim Äpfel und Birnen Stehlen „auf den Beeten mir die Wurzeln und Erbsen nicht zertreten“ sollten. Ein köstliches Sammelsurium von Ratschlägen in den verschiedensten Lebenslagen, bis hin zur Augustinischen Lebensphilosophie in fünf Worten: „Ama et fac quod vis.“ (Liebe und mache, was du willst.) Auch hier trifft die Wiedergabe durch Bartneck und Egger den richtigen Ton, weil da der milde Humor und das Wissen um die Skurrilität des Lebens nicht fehlen, aber auch angemessene Ernsthaftigkeit, wo sie am Platz ist, aufgeboten wird.
Einen wichtigen Teil des ergötzlichen, unterhaltsamen, nachdenklich machenden und vom Publikum dankbar gefeierten Abends erbringt die Schauspielerin Sophie Aujesky. Die gebürtige Retzerin hat sich für ihre mit den musikalischen Darbietungen fein abgestimmten Lesungen zwischendurch vor allem Texte von Lotte Ingrisch über Oberdürnbach und das mystisch-keltische Waldviertel ausgesucht. Es gibt auch einige Anekdoten, die das Künstlerehepaar charakterisieren. Gut gewählt sind zudem die Texte von Christine Busta, die zwischen den „Ratschlägen“ eingestreut werden. Gottfried von Einem hat diese Lyrikerin sehr geschätzt, was sich in einem ausgedehnten Briefwechsel niederchlug, und auch Gedichte von ihr vertont. Unendlich verehrt hat Einem auch Franz Schubert. In einem seiner Streichquartette hat er ihm ein Denkmal gesetzt, außerdem wurde dessen „Kupelwieser-Walzer“ von ihm liebevoll instrumentiert. Lieder der beiden in einem Serenadenkonzert in der Katharinakiche von Oberdürnbach, in der er immer wieder Zuflucht suchte, um in aller Stille nachzudenken und innezuhalten: Was für ein Erlebnis!