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NÜRNBERG/Staatstheater: DIE GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN – Premiere

05.03.2023 | Allgemein, Operette/Musical

NÜRNBERG/Staatstheater: DIE GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN – Premiere
4.3.2023 (Werner Häußner)

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Die Großherzogin (Eleonore Marguerre) zwischen dem frisch gebackenen General Fritz (Martin Platz) und seiner Braut Wanda (Chloe Morgan). Foto: Staatstheater Nürnberg/ Bettina Stöss

Es ist wie bei exquisiten kulinarischen Genüssen: Das Rezept ist eigentlich ganz einfach, entscheidend ist die Qualität der Zutaten und das Fingerspitzengefühl der – sind wir mal politisch korrekt – Kochenden. So nähere man sich auch Jacques Offenbachs „Grande-Duchesse de Gerolstein“, und alles könnte paletti sein. Ist aber nicht. Kaum eine regieführende Person lässt es sich nehmen, Zutaten hineinzurühren, die das Gericht champagnerwettensicher misslingen lassen. Immerhin hat Josef E. Köpplinger in München mit seinem queeren Drive ein nettes Soufflé angerichtet. Ob aber bei Ansgar Weigner in Hof oder bei Renaud Doucet in Köln, ob in Vorzeiten in Berlin oder erst 2019 in Halle: Überall versuchte eilfertige Aufarbeitung krampfhaft darzulegen, was sich eigentlich aus der Sache selbst so kristallklar ergibt, dass man nichts verunklarend erklären müsste.

Denn im Gegensatz etwa zu „La belle Hélène“ oder „Orphée aux enfers“ lässt sich die Großherzogin von Gerolstein lesen, ohne vorher die heute kaum mehr präsenten Voraussetzungen von antiker Mythologie zu dekonstruieren. Herrschsucht, Ruhmsucht, Intriganz, Begierde, Standesdünkel, Skrupellosigkeit sind nicht ausgestorben, benötigen nicht einmal einer tiefgreifenden szenischen Aktualisierung, um unmittelbar begriffen zu werden.

Würde sie denn nur einmal so gelesen! Praller Militarismus, heimliches Sentiment, politische Ranküne und Menschen, die gefährlich sind, aber in ihrer blasierten Beschränktheit stupend komisch wirken. Stattdessen gibt es zuhauf Kalauer, Slapstick, wolkenweise lustig wirken sollenden Sprechdurchfall, gähnende Groteskerie und unglaubwürdige Gestalten, die, weil als Person nicht ernst zu nehmen, weder witzig noch gefährlich wirken, sondern nur abgeschmackt. Wenn aus dem Publikum dennoch Lacher kommen, dann vor allem, weil den Textbearbeitern – im aktuellen Fall Stefan Troßbach – doch einmal ein gelungener Wortwitz durchgerutscht ist.

Das aktuelle Beispiel kommt vom Staatstheater Nürnberg. Dort hat sich Andreas Kriegenburg bei seiner ersten Operetteninszenierung an Offenbachs Meisterwerk vergriffen, und Harald Thor hat ihm dafür die Bühne fulminant ausgestattet. Der lange Abend beginnt also erst einmal verheißungsvoll: Wir sehen einen riesigen babylonischen Turm mit Archivschubfächern, der direkt aus der Anwaltskanzlei der „Sache Makropulos“ transferiert sein könnte. Graumausige Damen und Herren wuseln herum, Papiere werden entnommen und eingeordnet. Oberabhefter Nepomuk versammelt seine Untergebenen und hält eine umständliche, ergreifende Ansprache. Kammerschauspieler Pius Maria Cüppers gelingt es an dieser Stelle noch virtuos, den überbordenden Drang zu rasch repetierenden Komikattacken einzugrenzen. So weit, so gut.

Wir kapieren: Wir finden uns tief unten im großherzoglichen Palast, wo die Welt „alphabetisch abgeheftet“ wird. Eine Welt, die förmlich nach Entgrenzung, nach fröhlicher Anarchie, nach dem Durchbruch registraturunverträglicher Vitalität schreit. Am Werk sind dort Soldatinnen und Soldaten der Ordnung, des geregelten Ganges. Auch das noch gut und erwartungsweckend.

Doch dann: Auftritt General Bumm. Mit Piff paff puff und flatterndem Bariton marschiert Hans Gröning in die Welt der Papiere ein. Und ab jetzt beginnt zu zerfasern, was Kriegenburg möglicherweise einmal als Grundidee vorausgesetzt hat. Denn der Krieg der Akten lässt sich nicht durchhalten. Sollte in diesen Zeiten die saftige Anspielung auf die Talmi-Glorie des Militärs vermieden werden, ist das hehre Vorhaben zerflattert wie die Briefbögen, die irgendwann einmal auf die Szene schneien. Das Großherzogtum Offenbachs ist eben ohne Generäle und Krieger nicht denkbar. Dass der „Säbel vom Papa“ in Nürnberg eine protzige, aber konventionelle Hiebwaffe ist, verwundert dann schon nicht mehr.

Der gemeine Archivassistent Fritz wird also peu a peu zum General – aber keineswegs zum Generalarchivar – befördert und muss seinen Abstieg in den einfachen Archivdienst später Portion für Portion hinunterschlucken. Mit seiner ebenfalls in der Dokumentenbranche beschäftigten Braut Marie, der putzigen Chloë Morgan, turnt Martin Platz sehr agil durch die schummrigen Räume, macht aber musikalisch keinen Spaß: Er ist einer der von der Würzburger Musikhochschule verbildeten Stimmen mit hartem Sitz, weißlich-kehligem Timbre und einer blechern verstärkten spitzigen Höhe, was heutzutage aber offenbar ästhetisch niemanden mehr bekümmert.

Schon die Zeit vor der Pause hätte sich schwer erträglich lange an den Kalauerketten entlanggehangelt, wäre da nicht die Musik gewesen: Aus dem Graben entlässt die Staatsphilharmonie Nürnberg einen beachtlich unterhaltsamen, idiomatisch erfreulichen Offenbach-Sound: Lutz de Veer gibt entschiedene, straffe Tempi an, lässt die Musiker mit kantigen Konturen spielen, dreht auf, ohne Lärm zu veranstalten. Der grimme Marsch geht fast unmerklich über in einen vergnügten Galopp, das Sentiment spült weich um die einfach gebauten Gestade des melodischen Meeres dieser großformatigen Offenbachiade. Nur im Lyrischen könnte de Veer mehr Atem, mehr Freiheit gewähren. Aber das ist in dieser Inszenierung als Kontrast zum Burlesken oder absonderlich Zackigen auch gar nicht gefragt.

Der zweite Teil offenbart dann ungeschminkt, wie Kriegenburg seine Figuren sieht. Sollte er Anleihen an der Komischen Opern Berlin – etwa bei den „Perlen der Cleopatra“ von Oscar Straus – genommen haben: Das ist gründlich danebengegangen. In Nürnberg herrscht der radikale Wille zum Überdrehten, aber ohne Tiefenschärfe. Baron Puck (Michael Fischer) ist kein berechnender Intrigant der Macht, sondern eine belanglose, vordergründig komische Karikatur. Prinz Paul (Sergej Nikolaev) wirkt in seinem eifersuchtsgelben Dress wie ein infantiler Blödian statt wie eine intelligenzauffällige, dünkelhafte Kreatur. Und Mats Roolvink als Baron Grog kann über eine individuell durchaus sympathisch gestaltete Figur das Trio infernal männlicher Möchtegern-Macht nur peripher ergänzen.

Bleibt noch Eleonore Marguerre als titelgebende Regentin. Übers souveräne Singen hinaus hätte Kriegenburg hier eine Darstellerin gehabt, die den komplexen, widersprüchlichen Charakter einer Frau zwischen Machtanspruch und Bedürfnis nach Liebe, zwischen narzisstischer Leichtfertigkeit und bedrohlicher Willkür, zwischen ungenierter Übergriffigkeit und Unterwerfung unter die Manipulationen ihrer Höflinge auszuspielen imstande wäre. Stattdessen geht bei der Nürnberger Grand-Duchesse die menschliche, wehmütige Seite verloren; es bleibt eine zackige Ulknudel, der sogar das Format für einen Mee-Too-Skandal fehlt. Das gekonnte Akten-Ballett des spielfreudigen Chores in seiner Heilsarmee-Uniformiertheit (ansprechende Kostüme: Andrea Schraad) zieht die Chaise auch nicht mehr aus dem Sumpf; der Katalog missglückter Offenbach-Inszenierungen darf einen neuen Eintrag archivieren.

Werner Häußner

 

 

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