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NÜRNBERG: SIEGFRIED – Sänger top! Bühne flop! Premiere

22.04.2015 | Allgemein, Oper

Nürnberg: „SIEGFRIED“ Premiere 19.4.2015    Sänger top! Bühne flop!

 Nun fehlt zur Vollendung des „Ewigen Werks“ von Richard Wagner am Staatstheater Nürnberg nur noch die GÖTTERDÄMMERUNG (Premiere: So. 11.Oktober 2015).

Nürnberg SIEGFRIED WOlfsteiner u. 2 Tote
Vincent Wolfsteiner. Foto: Ludwig Olah

Nachdem der Untergang der menschlichen Zivilisation im RHEINGOLD in der Inszenierung von Georg Schmiedleitner in Bühnenbildern von Stefan Brandtmayr mit Hilfe von unzähligen geleerten Plastikflaschen und in WALKÜRE durch stapelweise Altreifen dargestellt wurde, spielt nun SIEGFRIED in einem ausgebrannten Haus, das vom Krieg übrig geblieben ist. Mime lässt dort mit lautem Surren seine Waschmaschine schleudern. So verfeinert unser sauberer Regisseur die altmodische und laute Musik Wagners durch einen zeitgemäßen Akzent – genial! Auch der Kühlschrank, in dem schon Mimes verfallenes Haupt aufbewahrt wird, funktioniert noch. Allerdings setzt Siegfried diesem Gerät ein gewaltsames Ende, indem er das frisch geschmiedete Schwert Nothung in den Kühlschrank haut und so einen Kurzschluss mit Blitz und Donner provoziert. Ach ja, die Klamotten (Kostüme oder gar Garderobe kann man das schäbige Schlabberzeug, das alle Darsteller unvorteilhaft erscheinen lässt,  ja nicht nennen) waren von Alfred Mayerhofer. Der Krieg hat auch die Umgebung der Neidhöhle verwüstet: Unter dem geborstenen Asphalt der Autobahn, die zu irgendwelchen russischen  Orten geführt hat, wie ein verblichener Wegweiser kündet, hütet Fafner seine Schätze. Alberich hat jede Ehrfurcht vor dem Göttervater verloren und zieht unter dem Gelächter des Publikums ein Art Bratwurst aus der Hose, aus der er einen Strahl einer hellen Flüssigkeit über Wotan/Wanderer pinkelt – ja, das ist moderne Opernpraxis, wie wir sie (nicht) lieben. Dann verstaut er das Teil wieder in seiner Hose und macht sich von hinnen. Das Waldvögelein ist bei seiner Flucht aus St.Pauli wohl etwas ramponiert worden und kann sich in der Luft nur mit Hilfe von Ballons und auf dem Boden nur noch mit Krücken fortbewegen. Einzig echt netter Gag der albernen Inszenierung: Michael Lösch – aus Bayreuth wohl bekannt – bläst einen fabelhaften „Siegfriedruf“ auf der Bühne als Siegfrieds Doppelgänger. Wie wird wohl der Kampf mit dem Drachen sein? Nun, mit Drachen & Co. wird erst gar nicht rumgemacht. Siegfried erschlägt Herrn Fafner. Wotan, nachdem er seinen Einkaufswagen abgestellt hat, prügelt vor einer Kneipe (?) auf ein paar Typen ein, die wohl gerade vom Komasaufen gekommen sind; vermutlich soll das darstellen, dass es mit Walhall und seinen Helden auch schon zu Ende ist. Dann kommt Erda mit großem blankem Busen aus der Erde emporgezischt, gefolgt vom Erscheinen Siegfrieds, der auch erstmal aus der Hose muss. Vielleicht wäre Schmiedleitner besser Urologe geworden, da hätte er uns diese Inszenierung erspart und hätte sich seinem offensichtlichen Hobby, dem Pinkeln, den ganzen Tag widmen können. Dann betritt Siegfried den aus WALKÜRE bekannten Walkürenfelsen während um die Bühnenöffnung herum ein (projiziertes) gewaltiges Feuer lodert – das war auch wirklich gut gemacht. Dann allerdings gleitet die Aufführung vollends ins Lächerliche ab: Brünnhilde hat sichtlich Mühe zu erwachen, sie fällt einige Male gähnend wieder um – von Lachsalven des Publikums begleitet. Die ganze Erhabenheit der Musik Wagners geht so vor die Hunde – vielleicht ist es das, was Schmiedleitner erreichen will?! Dann nimmt sie den bekannten Reitersitz auf Siegfrieds Mitte ein. Bekannt? Nun, das scheint eine familiäre Vorliebe zu sein. Wir erinnern uns an Fricka und Wotan im RHEINGOLD, na ja, und Brünnhilde ist ja Wotans Tochter und Siegfrieds Tante – mal bei Lichte besehen, nicht wahr? Brünnhilde zeigt sich etwas g’schamig, da wechselt Siegfried die Taktik: Er zieht ein Sofa herein, stellt den Fernseher an und lässt sich mit Bier und Chips darauf häuslich nieder. Erst als Brünnhilde dann etwas zugänglicher wirkt, fährt ein Tisch mit Hochzeitstorte und Geschenkpäckchen eines bekannten Internetversenders herein, bewacht von einem Boandlkramer (Sensenmann auf bairisch. Bitte um Entschuldigung: Wir befinden uns ja in (Mittel)Franken) – für mich sah der wie das zerfledderte Waldvöglein aus, das anscheinend Wotans Warnung, sich nicht mit den Raben einzulassen, leichtsinnigerweise in den Wind geschlagen hat. So endet das groteske Bühnen-Grusel-Spektakel.

Marcus Bosch glänzte mal wieder am Pult der Staatsphilharmonie Nürnberg. Wie er die Stimmungen herbeizaubern kann! Toll. Klang es die ersten zehn Minuten noch nach forte/fortissimo, hat er doch rasch eine wirklich wunderbare Balance zwischen Orchestergraben und Bühne gefunden. Unser Titelheld war Vincent Wolfsteiner mit seinem Siegfried-Debut. Kleinste Premieren-Aufgeregtheiten waren noch hörbar, aber was der Mann für eine Kraft und Kondition hat, das würde jeden Marathon-Läufer vor Neid erblassen lassen. Von einigen unbedeutenden Nebenrollen wie Wotan, Mime, Fafner und Co. mal abgesehen, ist SIEGFRIED ja eigentlich fast eine Siegfried-Monolog-Oper über gute vier Stunden. Bewundernswert! Apropos Sport: Er musste mehrmals (!) aus schwindelnden Höhen von der besagten Waschmaschine springen. GottseiDank ist er immer sicher gelandet. Ganz fabelhaft auch die uns inzwischen wohlbekannte Rachel Tovey als durchschlagskräftige Brünnhilde. Dass sie wirklich wie die Tante von Siegfried wirkte, lag daran, dass die Inszenierung den armen Siegfried im letzten Aufzug zum Hampelmann degradiert hat. Sehr bemerkenswert auch Peter Galliard als Mime. Gar nicht nickend und knickend und mit den Augen zwickend…er ist die Partie fast wie ein Heldentenor angegangen – mal was anderes! Konstante solide Stimmführung von Antonio Yang als Wotan/Wanderer. Auch Martin Winkler als Alberich und Nicolai Karnolsky boten vollkommen rollendeckende Leistungen. Leah Gordon strahlte als Waldvogel. Leila Pfister hatte ihre Erda zwar ansagen lassen, aber davon war rein gar nichts zu merken.

Wie zu erwarten: Riesenapplaus für Marcus Bosch und alle Sängerinnen und Sänger, ganz besonders für Siegfried, Brünnhilde und Mime! Tüchtig Buhs für die Regie!

 Rüdiger Ehlert

 

 

 

 

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