Nürnberg: DAS RHEINGOLD – Auftakt zu einem neuen RING am 5.12.2013 (Werner Häußner)
Rhein in Kanistern. Die Rheintöchter (Hrachuhí Bassénz, Leah Gordon und Judita Nagyová) und Alberich (Antonio Yang). Foto: Ludwig Olah/Staatstheater Nürnberg
Am Ende des Wagner-Jahres 2013 kann man es nicht mehr hören, das „Schmieden“. Viel wird auf deutschen Bühnen zum Reif geformt, das sich dann als Katzengold erweist. Und wieder „schmiedet“ einer den „Ring“, und der heißt auch noch Georg Schmiedleitner. Nach „Macbeth“ und „Fidelio“ packt er in Nürnberg das „Rheingold“ an und strebt nach den Gipfeln des Musiktheaters: Ein „Ring für das 21. Jahrhundert“ soll es werden. Am 5. April 2014 kommt die „Walküre“, bis 2015 folgen die beiden anderen Tage. Nürnberg rüstet – wie Leipzig – mit der Tetralogie für die Zeit nach dem Jubeljahr.
Und wieder einmal gibt’s Müll auf der Bühne. Die abgelebte Chiffre des Regietheaters steht diesmal für die Öko-Katastrophe, schon beim berühmten Es-Dur-Akkord die Welt überrollt hat. Plastikflaschen-Wust säumt die Spielfläche. Ein Gittergestell wird hereingefahren, vollgestapelt mit schmutzigen Behältnissen. Drauf turnen drei Partyschnecken; eine küsst schon mal einen Plastikfisch. Ja klar – der Rhein! Das Gold hievt man aus einem der Riesenkanister; es sieht aus wie ein Bier-Keggy. Später zeigt sich: Es geht tatsächlich um flüssiges Gold. Alberich schüttet es sich über den Kopf, die Nibelungen tünchen Nibelheims Wände damit. Freia wird ausgelöst durch gestapelte Goldkanister. Mag sein, dass die Assoziation mit Öl als „flüssigem Gold“ nicht abwegig ist.
Das Ambiente der Götter ist nicht besser: Die braune Ledergarnitur, auf der sich Wotan und Fricka erst mal einen Quickie leisten, könnte vom Sperrmüll stammen. Der Götter Glanz ist falsch – er stammt von goldglimmernden Isolierdecken, die sie sich knisternd um die Schultern legen. Alfred Mayerhofers Kostüme sind überhaupt mit klugem, genauem Auge in das Konzept integriert: Loge tritt mit orangerotem Scheitel als Dandy mit Gehstock und altertümlichen Rock auf; die Riesen tragen blaue Bussiness-Anzüge, weit offene Hemden nach Art zwielichtiger Geschäftemacher, gelbe Baustellen-Stiefel, bringen Plastiktüten und Dosenbier mit.
Stefan Brandtmayrs Bühne erlaubt dem Auge keinen Ausflug in eine heile Bilderwelt. Selbst der letzte Rest Natur, der sich hin und wieder im Hintergrund heruntersenkt, hat etwas Faulig-Verderbtes an sich: Ist es riesiges Seegras, in dessen Fäden sich Plastikmüll verfangen hat? Oder verzweifelt wucherndes Laub der von Wotan verletzten Weltesche? Nicht einmal Burg und Brücke dürfen prangen; kalte Neonröhren markieren allenfalls Umrisse. „Sicher vor Bang‘ und Grau‘n“ ist in diesem Licht niemand.
Schmiedleitner schenkt seinen Darstellern nichts. Man spürt: Der Mann kommt vom Schauspiel, hat einen Blick für den Körper, weiß, wie Präsenz auf der Bühne zu erreichen ist. Rumgestanden wird im Nürnberger „Rheingold“ nicht. Es geht derb zur Sache: Die fiese Zudringlichkeit, mit der Alberich von den Rheintöchtern zum Narren gehalten wird, potenziert sich, wenn der Ring-Eigner seinen Bruder Mime misshandelt. Aber auch die Götter geben niemandem Pardon: Mit einer Geflügelschere schneidet sich Wotan den Ring von der Hand des Nibelungen. Da knackt der Finger wie das Brathendl am Sonntagstisch.
Erbarmungslos brutal ist die Welt, die uns der Regisseur zeigt. So schonungslos, dass er selbst das Maß verloren hat: Freia, in neckisch durchsichtigem Hochzeitkleid, kommt blutbefleckt von den Riesen zurück – aber Schmiedleitner erklärt nicht, wie die Bewahrerin der Goldenen Äpfel dann so offensichtlich einem ihrer Peiniger zugetan ist. Soll es hier um eine Täter-Opfer-Beziehung gehen? Das wäre doch arg weit hergeholt.
Schwerer aber wiegt, dass Schmiedleitners – nicht neues – Konzept von der Verderbtheit der „Ring“-Welt von Anfang an dem Stück Brisanz und Fallhöhe nimmt – und musikalisch wohl schwer zu rechtfertigen ist. Wenn die Rheintöchter nur Schlampen in einer kaputten Natur sind, wenn das Gold von Anfang an Rohstoff ist (und nicht erst dazu gemacht wird), wenn es Alberich um geilen Sex geht, wo wurzelt dann das Drama? Sicher nicht in dem Fluch, denn die „Lust“, das weiß Alberich sehr genau, kann er sich listig erzwingen. Sicher nicht mit dem Raub des Goldes, der zu einer Frage nach dem Claim für einen Bodenschatz mutiert. Da hat auch zu wenig Belang, das Schmiedleitner dank Mayerhofers Ausstattungskunst Erda zu einer Art federbekrönter „Indian Queen“ macht. Wildes Wissen zur Wahrung der Welt? Da bleiben Zweifel an der Stringenz. Doch mit dem „Rheingold“ stehen wir erst am Anfang: Es wird sich zeigen, wie erschließend Schmiedleitner und sein Team die Bilder- und Chiffrenwelt noch weiter entwickeln können.
Auf eine schlüssige musikalische Deutung zielt auch der Dirigent Marcus Bosch, der den „Ring“ aus einem „breiten, kraftvoll voluminösen“ Klang zu erlösen müssen glaubt. Er will Wagner ins 21. Jahrhundert begleiten, indem er ihn zurückholt in die frühe Romantik eines Mendelssohn, indem er die Notizen von Heinrich Porges bei den Proben zur Bayreuther Uraufführung 1876 für ein modernes Klanggewand praktikabel macht. Nun ist Bosch nicht der erste mit solchen hochfliegenden Plänen: Die dröhnende Panzerung und den distanzlos triumphalen Ton haben im „Ring“ schon andere hinter sich gelassen.
Es passt zu Schmiedleitners anti-poetischem Konzept, dass Bosch das Vorspiel geheimnislos, ungeduldig und ohne Finesse in der Balance nimmt. Es stört schon eher, dass die erste harmonische Eintrübung en passant vorbeigeht, als sei sie eine dekorative Färbung und kein Signal. Es fesselt, wie Bosch rhythmische Strukturen entdeckt, wie er einen schlanken Ton dynamisch schärft und damit die Wagner’schen Angaben bis ins pianissimo hinein deutlich konturiert. Und manchmal amüsiert es, dass Wagner auf einmal klingt wie eine opéra comique von Auber: flüssig, rhythmisch, spitz, leicht gewichtet.
Die alte Frage nach dem Umgang mit den „Leitmotiven“ stellt sich neu: Sie müssen nicht, wie früher gerne, „ausgestellt“ werden. Aber so freundlich in einen symphonischen Fluss eingebunden wie bei Bosch verkleinern sie sich zu einem Farbwert. Bosch hat viel kammermusikalisch anmutenden Detailarbeit geleistet, nimmt wunderbar Rücksicht auf die Sänger, verschenkt aber, was Wagner auch ausmacht: die Magie des aufstrahlenden Klangs – die übrigens auch bei Mendelssohn ihren Platz hat. In der „Walküre“ wird sich zeigen, wie Bosch dem Klangzauberer Wagner Paroli bietet.
Mit dem Sänger-Ensemble steht das Nürnberger Staatstheater nicht schlecht da, verbreitet aber auch keinen Glanz. Mit Hrachuhí Bassénz, Leah Gordon und Judita Nagyová hört man ausnahmsweise einmal keine angestrengt tremolierenden Fluss-Matronen, sondern schönstimmig-entspannt singende Rheintöchter. Auch die Erda von Leila Pfister lässt Gesang fließen statt ihn zu erzwingen. Vincent Wolfsteiner – in Nürnberg sonst Othello oder André Chenier – überzeugt als singender Darsteller vollauf, hat die Italianitá seines zuverlässigen Tenors zur charakteristischen Buffo-Farbe des Loge gewandelt.
Die Fricka Roswitha Christina Müllers zeigt vortreffliche rhetorische Qualitäten; die schlanke Leuchtkraft ihres Mezzo neigt manchmal zu Härte. Michaela Maria Mayer als Freia, Martin Berner als Donner und David Yim als Froh lassen szenisch nichts anbrennen; stimmlich repräsentieren sie solides Niveau. Der Fafner Nicolai Karnolskys ist dem kehlig angestrengten Taehyun Yang (Fasolt) überlegen. Randall Jakobsh hat gerade eine Krankheit überstanden, bleibt daher außer Konkurrenz, aber seine präzise Diktion zeigt, dass er sich die Partie des Wotan gründlich angeeignet hat.
Hans Kittelmanns trauriger Mime hat keine Chance gegen den dominanten Alberich von Antonio Yang. Der mutiert vom schmächtigen, bebrillten Looser an den Kanistern des Rheins zum alles beherrschenden Nerd in der goldenen Unterwelt seines Nibelungreiches. Yang setzt einen eher harten, kantig definierten Bariton zur Charakterisierung einer Figur ein, die Mitleid und Abscheu erregt; dass dieser Alberich nach „Liebe“ giert, glaubt man ihm in der reduzierenden Sicht der Inszenierung nicht. Eher ist er ein Typ, der auf dem Markt keine Chance hat, weil er nicht sexy genug auftritt.
So driftet also Wagners „Ring“ ins 21. Jahrhundert. Trotz allen Anspruchs: Weder Schmiedleitner noch Rosamund Gilmore in Leipzig haben den Schlüssel für eine substanziell neue, inhaltstiefe Deutung gefunden. Die Tetralogie bleibt eine Aufgabe – aber unser neues Jahrhundert ist ja noch jung.
Werner Häußner