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NÖ Theatersommer / Schwechat: ZU EBENER ERDE UND ERSTER STOCK

01.07.2018 | KRITIKEN, Theater

NÖ Theatersommer / Nestroy-Spiele Schwechat:
ZU EBENER ERDE UND ERSTER STOCK von Johann Nestroy
Premiere: 30. Juni 2018,
besucht wurde die Generalprobe

Es ist (wie der „Bruderzwist in Habsburg“) ein Stück mit verhatschtem Titel: „Zu ebener Erde und erster Stock“ – man möchte glatt daran herumkorrigieren. Aber glücklicherweise hat Johann Nestroy alles andere als ein verhatschtes Stück geschrieben, im Gegenteil: Das, was unsere Gesellschaft als „Ihr da oben, wir da unten“ definierte, hat er in diesem Stück, das die Gesellschaft so sinnig zweiteilt wie die Bühne, geradezu mit der Direktheit eines Brecht’schen Lehrstücks auf die Bühne gebracht.

Allerdings war Nestroy alles andere als ein Sozialromantiker – dass arme Leut’ auch gute Leut’ sein müssen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Dass hingegen Geld die Welt am Laufen hält – das beschreibt er in so gut wie jedem seiner Stücke. Und in diesem besonders deutlich.


Fotos: Wagner / Haider

Technisch ist das geteilte Zinshaus des Herrn von Zins (wie soll ein Hausherr bei Nestroy, dem Schöpfer sprechender Namen, schon sonst heißen) neben dem (vier geteilten!) Haus der Temperamente eines der am schwierigsten zu realisierenden Nestroy-Stücke. Die Dialoge zwischen den Superreichen im Oberstock („Herr von Goldfuchs“) und den Armen unten (die natürlich „Schlucker“ heißen – arme Schlucker sind sie wirklich) sind kunstvoll verzahnt und müssen mit eisiger Präzision kommen, um ihre Pointiertheit ebenso zu erweisen wie ihre Treffsicherheit: Dass die einen nicht wissen, wie sie ihr Geld noch hinauswerfen können, während die anderen nicht wissen, was sie in den Magen bekommen, ist übrigens erschreckend heutig geblieben: Man wünschte wirklich, man könnte Nestroy nachsagen, sich überholt zu haben. Mitnichten.

Peter Gruber hat in Schwechat Nestroys Stücke immer erfolgreich ins Heute geholt, und hier ist es gar nicht schwierig – außer dass die Reichen heute wohl nicht mehr dulden würden, dass die ordinären Habenichtse bei ihnen im Souterrain wohnen… Das Lumpenproletariat hat Bühnenbildnerin Andrea Bernd vor allem mit einer Unzahl jener Pappkartons aus dem Supermarkt charakterisiert, in denen die Besitzlosen ihre schäbige Habe verstauen, während die „Pracht“ im ersten Stock ein bisschen zu kurz kommt. Auch können heutige Kostüme (Okki Zykan) zwar die schäbigen Second-Hand-Fetzen bedienen, die Designer-Mode „oben“ sieht man nicht wirklich. Aber das ist eigentlich sekundär – schließlich demaskieren sich die Figuren in ihrem Status ja durch ihr Benehmen.

Da ist Franz Steiner, eine ewige Schwechat-Stütze-des- Ensembles, der nasale „Goldfuchs“, der meint, es könne ihm nichts g’schehen und der durch die „Launen des Glücks“ (die Schwechater Aufführung unterschlägt den Untertitel) eines Schlechteren belehrt wird. Viel weniger passieren kann dem geschmeidigen Herrn Zins (der gleichfalls unentbehrliche Bruno Reichert), denn der hat immer noch sein Haus (zumindest, solange es nicht abbrennt), und Mieter finden sich. Bei den Reichen schlängelt sich der „Couturieur“ Bonbon hinein (witzig Sando Swoboda, optisch halb Conchita, halb Harald Glööckler). Und solange das Geld fließt, lassen sie alle es sich gut gehen.

Ja, und da ist noch der Mann, der sich geschmeidig zwischen ihnen hindurch bewegt, diensteifrig und dabei keinesfalls auftrumpfend, wie man diesen Schweinehund Johann (die Nestroy-Rolle) noch nie gesehen hat: Dabei ist es ungemein glaubwürdig, dass einer, der geschickt nicht auffällt, seine schamlosen Betrügereien fast unbemerkt begehen kann. Florian Haslinger (der schon als Zwölfjähriger in Schwechat auf der Bühne stand) ist ein ausgebildeter, versierter Darsteller mit prächtiger sprachlicher Prägnanz und ausdrucksvoller Körpersprache. Wenn ihm endlich die Geduld reißt, wenn der reiche Mann kein Geld mehr hat und er ihm, nach langem Speichellecken, endlich sagen kann, was er wirklich denkt, kann man mit dem Unsympathler kurzfristig sogar mitfühlen. Er ist jedenfalls ein brillanter Drehpunkt des Abends, zwischen Oben und Unten gewissenlos unterwegs, bis ihn (wir sind auf dem Theater, nicht im Leben!) die gerechte Strafe ereilt…

Bei den Armen geht es ganz schön wild zu: Erwin Leder, der sich zum Schwechater Team gesellt hat, das im 46. Jahr der Nestroy-Spiele niemand mehr als „Laiengruppe“ betrachten würde, als die man einst angetreten ist, tobt sich als Schlucker durchs Geschehen.

Und Christian Leutgeb differenziert so vorzüglich wie vergnüglich die vielen widersprüchlichen Eigenschaften, die in dem Tandler Damian wohnen (und der eigentlich einer der „anständigen“ Leute des Stücks sein soll). Vollkommen passend ist es in diesem Zusammenhang, dass der Regisseur aus dem „angenommenen Sohn“ Adolf (Al Kasseir) einen Immigranten macht (mit den dazu passenden Witzen zum ernsten Thema) – und an den aktuellen Coupletstrophen, die Peter Gruber ja immer selbst textet, erweist es sich als der bekannte „kabarettistische“ Segen, wenn man in der Regierung einen Reibebaum hat, um so richtig heftig explodieren zu können…

An den Damen dieses Stücks zeigt sich, dass der ewige Vorwurf, Nestroy habe schlechte Frauenrollen geschrieben, nicht wirklich greift. Die Rollen sind, mit Ausnahmen (wenn er potente Schauspielerinnen im Ensemble hatte, schrieb Nestroy sofort eine Salome Pockerl, eine Erbenstein), nicht groß, aber jede trägt genug in sich, um eine kleine Charakterstudie zu entfalten. Überzeugend gelingt das Rahel Kislinger als der mit beiden Beinen fest am Boden stehenden Salerl, während das Dienstmädchen Fanny (Elisabeth Spiwak) eher zu den romantischen Naturen zählt, die dann ihre unvermeidlichen Enttäuschungen zu verdauen haben. Und Nestroy benützt ausgerechnet Johann, um dem lebensfremden reichen Fräulein (Ines Cihal) die Leviten zu lesen, die es so erstrebenswert findet, aus wahrer Liebe mit einem armen Mann durchzubrennen… und keine Ahnung hat, was Armut ist.

Aber die „Launen des Glücks“ bewirken bekanntlich, dass der Reiche sein ganzes Geld verliert und „unten“ landet, während die Armen in die Prachtgemächer einziehen… aber was dann kommt, wäre ein eigenes Stück, das hier durch das Happyend verhindert wird (einen Aspekt davon hat Nestroy später in den „Früheren Verhältnissen“ behandelt). Am Ende singt und schunkelt sich das Riesenensemble, diskret, aber sehr pointiert begleitet von Otmar Binder als einzigem Musiker an seinem elektronischen Klavier zu Adolf Müllers Originalmusik, in die Harmonie eines gelungenen Theaterabends.

Renate Wagner

 

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