NÖ THEATERFEST / Raimundspiele Gutenstein:
DER VERSCHWENDER von Ferdinand Raimund
Premiere: 11. Juli 2024,
besucht wurde die Generalprobe
Raimunds Heimkehr nach Gutenstein
Die Raimundspiele Gutenstein hatten schon seit Jahren nicht viel Glück. Im Grunde ist nach dem Ausscheiden von Ernst Wolfram Marboe, der bunte Märcheninszenierungen in großen Besetzungen lieferte, alles schief gelaufen. Jahre, in denen hier Musicals (!) gespielt wurden, Jahre, in denen man prominente Schauspielerinnen als Intendantinnen verpflichtete (Isabella Gregor, Andrea Eckert), die keine Beziehung zu dem Dichter erkennen ließen, zuletzt Johannes Krisch als Intendant, der sich aus Krankheitsgründen zurück zog (und so viel auch von der Presse gelobt wird – seine einzige Produktion, Turrinis „Es muss geschieden sein“, die im Grunde nichts mit Raimund zu tun hatte, war auch kein Ruhmesblatt).
Nun hat man Norbert Gollinger als Intendanten berufen, jahrzehntelang im ORF tätig, gebürtiger Gutensteiner, von dem man hoffen kann, dass er gut machen wird, was andere verdarben. Immerhin hat er gleich eine richtige Tat gesetzt, indem er Helmut Wiesner als Regisseur für den „Verschwender“ engagierte. Wiesner, ehemaliger Chef der für die Wiener Mittelbühnenwelt so wichtige „Gruppe 80“, immer ein Mann auch der österreichischen Literatur, hat eine Aufführung geliefert, die für „Heute“ gemacht ist, keinen Zaubertheater-Flitter braucht und sich dennoch nicht vor der Zauberebene des Stücks (Fee Cheristane, Azur) drückt, ein Abend, der nichts persifliert und gewaltsam verfremdet, sondern die Geschichte des Titelhelden erzählt, wie sie gemeint ist..
Sie spielt – irgendwann, in einer leicht verfremdeten Realität, für die Bühnenbildner Hans Hoffer nicht viel mehr als ein paar klassische Stühle braucht, um jederzeit die Szene bei Flottwell zu imaginieren (und im zweiten Tail sogar mit fast gar nichts auskommt). Die Kostüme von Simina Nicolaescu verrutschen nur gelegentlich (etwa bei dem Kleid der Amalie), haben sonst den richtigen neutralen Charakter. Sehr klug der absolut diskrete Einsatz der Musik (Leitung: Rudolf Pichler, beraten hat dabei kein Geringerer als Kurt Schwertsik).
Ganz ohne Prätention arbeitet Wiesner heraus, was an dem „Verschwender“ so heutig anmutet – etwa eine Gestalt wie der Kammerdiener Wolf, der nach oben hin kriecht und schmeichelt und in die andere Richtung gnadenlos intrigiert und sich die Taschen vollfüllt (eine für heute gültige Gestalt). Raimund zeigt an der Figur der Rosa, wie einfach es ist, Leute in unteren Positionen zu verleumden und zu entfernen. Selbst an der Figur des Chevalier Dumont, der sich an einem „Holzweiberl“ ergötzt, könnte man gegenwärtigen Culture Clash zwischen Touristen und Einheimischen erkennen. Es ist viel, sehr viel Meisterliches in diesem Stück.
Auch die Figur des Titelhelden, des Julius von Flottwell, überzeugt, vor allem weil Günter Franzmeier von Anfang an die Leere und auch Gehetztheit eines Menschen spielt, den sein Reichtum nicht glücklich machen kann. Wenn er als armer Mann in seine einstige Welt zurück kehrt, hat er einen ergreifenden Lernprozeß durchgemacht.
Leider fehlt dem Abend – und das ist ein entscheidendes Manko – die Figur des Valentin. Helmut Wiesner fand es „alternativ“, die berühmte Rolle des Tischlers mit einem Jungschauspieler (Manuel Sonnleitner) zu besetzen, aber dessen Mangel an Profil bringt die Struktur des Stücks ins Wanken. Raimund braucht den Valentin im ersten Teil, um dessen schlichtes, fröhliches Wesen mit der doch sehr düsteren Flottwell-Welt zu konfrontieren. Und im zweiten Teil steigt Valentin zum wahren Gegenspieler und wahren Helden der Geschichte auf, was völlig fehlte. Das scheint dann doch auch der Regisseur gespürt zu haben – weshalb das berühmte „Hobellied“ (Raimund’sche Philosophie pur) dann auch aus dem Radio (!) erklingt, gesungen von Hans Moser… Ein schöner Trick, aber er behebt dieses Manko des Abends nicht.
Wobei gleich noch der zweite Fehler angesprochen sei, der Wiesner passiert ist – zwar belässt er Valentins Kinder auf der Seitenbühne, aber sie gebärden sich so aggressiv und geradezu widerlich, dass sie nicht in dieses Stück und auch nicht in diese sonst so kluge Inszenierung passen.
Hier gibt es noch zwei außerordentliche Leistungen zu vermelden. Die Rosa, das Dienstmädchen, später Valentins Frau (der Wiesner einen Teil von Valentins Gesang zugeteilt hat, weil der Partner hier sprachlich nicht ausreichte), ist von Anfang an nicht das Klischee der lustigen Dienerin, sie wehrt sich ihrer Haut, und dass sie im zweiten Teil, zwanzig Jahre später, nicht zu Milde und Versöhnlichkeit neigt (weil sie sich von Flottwell ungerecht behandelt fühlt), verlangt viel von der Interpretin. Chris Pichler bringt das alles, störrisch, gewieft, verletzt, notgedrungen einsichtig.
Ähnlich überzeugend und unter die Haut gehend ist David Oberkogler in der Figur des (früher hätte man gesagt „schurkischen“) Kammerdieners Wolf, ein Heuchler unter aalglatter Äußerlichkeit, von fast erschreckender Wirkung.
Mit so viel Selbstverständlichkeit wie möglich gibt Roswitha Meyer die „Fee“ Cheristane, und William Mang entkleidet die Figur des Geistes Azur jedes Pathos, ist auch weniger Bettler als herunter gekommener Reicher von einst, der Flottwell – wenn dieser es rechtzeitig erkennen würde – sein eigenes Schicksal vorführt.
Und dann ist da noch das „alte Weib“, das in der köstlichen, kabarettistischsten Szene von dem Chevalier Dumont so bewundert wird: Auch Helga Illich verweigert das Klischee des kichernden Bauernweibchens, sie ist eine ganz einfach-kluge Frau, die sich über das Benehmen dieses Fremden nur wundern kann, dem Rudi Roubinek leider nicht jenen Charme verleiht, der diese Figur so reizvoll macht.
Roubinek und einige Kollegen und Kolleginnen (Frau in Männerrollen ohne demonstrative Absicht) wie Richard Stanzl, Alexander Hoffelner, Fiona Ristl und Carmen Kirschner übernehmen mit Verwandlungsfreude die Rollen, die noch anfallen.
Es war ein Abend, der zeigte, wie man Raimund heute spielen kann, ohne ihn zu verleugnen und zu verbiegen.. Nach langer Zeit ist der Dichter wieder nach Gutentsein heimgekehrt, von wo man ihn vertrieben hatte.
Renate Wagner