NÖ / Nestroy-Spiele Schwechat:
WEDER Lorbeerbaum | NOCH Bettelstab von Johann Nestroy
Premiere: 24. Juni 2016,
besucht wurde die Genralprobe
„Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“ ist Johann Nestroys Stück über das Selbstverständnis des Dichters. Ob die prägnanten Zitate darin auf ihn selbst umgelegt werden können, quasi als Offenbarungseid des Komödienschreibers, darüber diskutieren sich die Nestroy-Forscher die Köpfe wund – vergeblich natürlich, denn nichts ist beweisbar. Aber hat je einer schöner die Extreme des Möglichen ausgeschritten, wenn Nestroy über die Schöpfer eines „Zwetschkenkrampus“ ätzt, die sich „für einen Rivalen von Canova“ halten…
Er selbst wäre dieser Gefahr nicht erlegen, Kollegen Raimund, der stets nach Höherem strebte (von der Vorstadt her das Burgtheater im Auge), hätte er es zutrauen können. Und die Vorlage für sein Stücks, „Lorbeerbaum und Bettelstab“ von Karl Holtei (der auch recht viel von sich hielt), jammerte über einen Dichter, dem nicht die gebührende Anerkennung zuteil wurde. Da konnte Nestroy mit seiner Parodie nur in voller satirischer Schärfe zubeißen…
Er stellt den Dichter Leicht von Anfang an als rabiat und gleichzeitig illusionslos hin: Im Gegensatz zu Holteis weinerlicher Sentimentalität herrscht hier grimmige Nüchternheit der Einschätzung. Und dennoch ärgert er sich wahnsinnig, wenn er seine Werke als Perlen vor die Säue eines dummen, hochmütigen Publikums wirft…
Sein Abstieg in dem dreiteiligen Stück ist eng mit einer unglücklichen Liebesgeschichte verbunden: In „drei Stationen“ verliebt er sich erst nach einer seiner missglückten „Dichterlesungen“ in die hübsche, reiche Agnes, die seinen dummen Freund Blasius heiraten wird. Im zweiten Akt, ein Jahr später, fällt erst des Dichters Stück durch, dann muss er bei der Hochzeit dabei sein.
Beim dritten Akt sind zwanzig Jahre vergangen, Agnes und Blasius kommen mit ihren beiden Kindern (der Sohn ist das verlassene Kind von Leicht, das sie aufgezogen haben) zum Heurigen, die Ehehölle wird klar. Leicht vaziert als total heruntergekommener Harfenist (eine Art Volkssänger) herum, gilt für seine Mitwelt längst als tot – und dass sein Stück nun Erfolg hat (wovon er gar nichts wusste), gibt seiner Resignation den Rest. Eine bittere Geschichte.
Und eine brüllend komische, die Regisseur Peter Gruber – wie er es bei den Nestroy-Spielen Schwechat traditionell tut – in die Gegenwart holt (selbst wenn Harfenist und Handy sich nicht wirklich vertragen). Die Qualität des Stücks besteht nicht nur im Schicksal des Leicht, das sich nicht wirklich wandelt, sondern in der Darstellung der Umwelt – ob Nestroy die „Dichterlesung“ ausstellt, wo das Publikum den kulturellen Beitrag nur als lästige Nebenerscheinung betrachtet, die den Sturm auf das Buffet verzögert (immer dasselbe, einst und heute…).
Die „Premierenfeier“ nach Leichts durchgefallenem Stück hat Gruber in ein chices „IN-Lokal“ verlegt und ein Couplet in Nestroys Sinn verfasst, das in allen Farben schillert – niemand aus der gegenwärtigen Seitenblicke-Gesellschaft, der den ätzenden Versen von Peter Gruber, zu einer Tom-Jones-Melodie, entgeht… das Publikum lacht sich krumm, wenn jeder in Nestroys Sinn seinen verdienten Teil bekommt. Im dritten Akt breitet sich beim Heurigen das ganze schrille bürgerliche Elend aus, wobei die einen halt „a Geld hab’n“ und die anderen „kan’s“…. Dabei würde sich Nestroy für seinen Dichter ja nur ein ordentliches Auskommen wünschen.
Eric Lingens als Leicht versprüht den Abend lang kraftvoll Gift und Galle und muss sich am Ende umbringen (was eine kleine Zugabe des Regisseurs ist – bei Nestroy darf er weiterleben). Die Rolle der Agnes zeigt wieder einmal, wie unberechtigt das Vorurteil ist, Nestroy habe keine starken Frauenrollen geschrieben – und Lilian Jane Gartner bringt das Monster der Berechnung hinter schöner Fassade absolut selbstverständlich zur Geltung, mit aufgeschminkter Fratze erschreckend verändert nach zwanzig Jahren. Auch Valentin Frantsits darf sich als ihr immer dümmlicher erst Bräutigam, dann Gatte so sehr zum bürgerlich feisten Schmerbauch verändern, dass man ihn fast nicht erkennt… Eine Köstlichkeit ist der Auftritt der Tochter Julie, die Nestroy gnadenlos überdreht hat, um den Spielstil von Karl Holteis Frau zu parodieren, und es ist schier unglaublich, wie Annabelle Staudacher diese alberne, von sich immer in dritter Person sprechende Julie völlig überzeugend in den Griff bekommen hat.
Eine der prächtigen Nebenrollen ist der „Herr Überall“ (wieder ein Kabinettstück für den unverzichtbaren Franz Steiner), der sein Leben „auf Reisen“ zwischen Wien und Fischamed verbringt, sich solcherart für einen erfahrenen Weltmann hält und jede Eventualität des menschlichen Lebens auf seine winzige Perspektive zurechtstutzt. Witzige Väterrollen haben auch Ottwald John und Christian Dungl (von Peter Gruber in die Sauna geschickt, wo vier wohlgeformte Damen walten), und selbst den Schwechater Beitrag an theaterinteressierten Migranten hat der Regisseur geschickt ins Geschehen gefügt, von den wohl bekannten einheimischen Kräften ganz zu schweigen.
Der Abend ist äußerst musiklastig (wobei nur Thomas Franz-Riegler souverän an seiner Gitarre waltet): Die vielen Musikstücke sind im Original enthalten, auf heute zugespitzt und haben ihre dramaturgische Funktion, selbst wenn sie manchmal zu lang erscheinen. Bloß dass der so melodienverbrämte Abend auf diese Art gelegentlich freundlicher erscheint, als Nestroy und Gruber ihn gemeint haben.
Das Publikum, das sich für den dritten Akt von der Bühne wegbewegen und auf den Holzbänken im Hof Platz nehmen muss (weil schließlich eine Heurigenszene dort richtiger ist), hat einen Abend vor sich, der nicht zuletzt zu mancher Selbsterkenntnis in Sachen „Kulturbertrieb“ anregt.
Renate Wagner