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NÖ / Nestroy Spiele Schwechat: EISENBAHNHEIRATEN

02.07.2023 | KRITIKEN, Theater

eisenbahnheiraten plakat 2023 v~1

NÖ / Nestroy Spiele Schwechat: 
EISENBAHNHEIRATEN
oder: Wien, Neustadt, Brünn
von Johann Nestroy
Premiere: 1. Juli 2023
 

Kontinuität und Neubeginn bei den Nestroy-Spielen in Schwechat: 50 Jahre lang, über ein schier unglaubliches halbes Jahrhundert hinweg, hat Peter Gruber die Nestroy-Spiele aufgebaut, zu einer Marke gemacht und unermüdlich weitergeführt. Für 2023 hat er die Fackel weitergegeben – von Gruber  zu Graf. An sich eine ideale Lösung, denn Christian Graf ist seit dem Jahr 2000, also seinen eigenen Anfängen, hier in prominenten Rollen dabei, ist durch die Schule von Peter  Gruber und dann auch Henry Mason gegangen (besser geht es nicht) – zuletzt hat er in der Volksoper als Komiker Robert Meyer jederzeit Paroli geboten. Der richtige Mann für Schwechat, was sich auch bei seiner ersten Premiere hier herausstellte:

Die Aufführung von „Eisenbahnheiraten“ bot viel Substanz und wenig Firlefanz, das war, trotz deklarierter Übertragung in die vorigen achtziger Jahre, immer Nestroy – mit Humor, Ironie und hieb- und stichfest in den meisten Figuren.

Im Original ist das Stück in den dreißiger, vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts angesiedelt. Damals befreiten die Eisenbahnen die Menschen von den langsameren Pferden. Und natürlich reagierte das Theater auf diese hoch brisante Neuigkeit, die das tägliche Leben dermaßen veränderte (und beschleunigte). Wie meist in seiner Karriere als Dramatiker bezog sich Nestroy auf ein ausländisches Stück, das die Irrungen und Wirrungen zwischen „Paris, Orléans et Rouen“ verlegte – so, wie bei ihm die Nordbahn nach Brünn, die Südbahn nach Neustadt (heute Wiener Neustadt, später ging es bis Triest) führte. Um Kritik an der neuen Technologie ging es noch nicht, wenn auch eine der Hauptfiguren bekennt, sich vor dem neuen Beförderungsmittel zu „fürchten“.

Bei den verschiedenen Schauplätzen setzt Nestroy auf den Reiz der Dialekte und Akzente – so steht dem Wienerischen das „Böhmakeln“ entgegen, und weil man in Neustadt ja auch nicht viel anders spricht als in Wien, ist es hier ein Bäckergeselle aus Berlin, der „seine“ Sprechweise mitbringt. Aus diesen Akzentuierungen gewinnt eine Aufführung viel Farbe.

Handlungsmäßig sind es die bei Nestroy üblichen Liebesgeschichten und Heiratssachen, die hier abgewandelt werden – wobei eine Heiratsvermittlerin mitmischt und im allgemeinen Geld mit Geld zusammen gebracht werden soll. Dass die reichen Töchter sich in arme Schlucker verlieben und dass ein armer, aber höchst agil agierender Maler hier bei den Gefühlen und Spielorten allerlei durcheinander bringt, ist die Geschichte. Typisch Nestroy und ziemlich gut.

02 nestroy eisenbahnheiraten 3 (©barbara palffy) liebesszene~1

Dass Christian Graf, der neue Intendant als Regisseur, die Geschichte dezidiert in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts verlegt (mit einem Chris-Lohner-Kopf, der die Ankunft und Abfahrt von Zügen ansagt), bringt wenig, stört aber nicht. Über den Anachronismus zwischen heutiger Kleidung und gestriger Sprache ist man schon bei Peter Gruber nicht mehr gestolpert, das funktioniert ziemlich klaglos. Freilich, eine so stürmische Liebesszene wie diesmal, wo die Hüllen fallen, hat man noch nie hier gesehen – und es ist sehr komisch. Die Ausstattung von Andrea Költringer ist poppig, schiebt geschickt Versatzstücke hin und her. Alles Abfahrt, Achtung, los.

nestroy eisenbahnheiraten 2 (©barbara palffy) patzmann v~1

Christian Graf hat bei Peter Gruber das Wesentliche einer Nestroy-Inszenierung gelernt – eiserne Präzision in Sprache und Aktion, Pointen, die optisch und akustisch herumfliegen, das funktioniert tadellos, trägt den Abend. Und natürlich die Nestroy-Rolle, die Hauptfigur des Malers der den sprechenden Namen Patzmann trägt. Sie wäre dem Regisseur / Intendanten eigentlich auf den Leib geschrieben gewesen, aber er hat sie an Markus Weitschacher weitergegeben, einem durch und durch kompetenten Nestroy-Spieler und –Sprecher, der Tempo, Artikulation und Gehirnakrobatik in der Schule von Elfriede Ott gelernt hat. Schade, dass sein großes Couplet (mit der Erkenntnis, ohne Geld sei alles „nix“) ziemlich schwache Zusatzstrophen hat. Überhaupt gibt sich der Abend mit Musik nur minimal ab, aber was Otmar Binder da neu komponiert hat, stört zumindest nicht (wie man es andernorts schon oft quälend erlebt hat).

Kurz, um Patzmann als wendigen Intriganten dreht sich alles, aber die Figur, die man lieb  hat, ist Peter Stimmstock, der Blasinstrumentenmacher aus Krems, der zu seinem Vetter Ignaz, dem Geigenmacher, nach Wien kommt, weil beide verheiratet werden wollen. Peter ist das Unschuldslamm, das versucht, aus den kaum zu durchschauenden Turbulenzen, in die er hinein gehetzt wird, heraus zu kommen – und am Ende als Armiuschkerl mit leeren Händen (sprich: ganz ohne Braut, es ist keine für ihn da) übrig bleibt. Rafael Schuchter liefert die Meisterleistung eines Verlierers, die geradezu unter die Haut geht.

nestroy eisenbahnheiraten 1 (©barbara palffy) fir ftri v~1
Alle Fotos: Barbara Palffy

In Wien ist da noch Ignaz Stimmstock (Mario Santi), eskortiert von der rührigen und attraktiven Zaschelhuberin (Susanne Adametz), die immer eine Partie für jeden im Kopf hat.

Aus Brünn reist der Bäckermeister Zopak an, und dass er mit einer Frau besetzt ist, wüsste (und glaubte) man nicht, wenn man Bella Rössler nicht im Programmheft läse. Zweifellos geht es hier nicht – wie derzeit auf unseren Bühnen so oft – um ein „Genderfluid“-Statement, sondern ist wohl ganz einfach der Tatsache geschuldet, dass die Darstellerin als Mann mit Akzent in dieser Rolle perfekt ist. (Man hat sich sogar einen Coach für „Tschechisch / Böhmisch“ geleistet!) Als Töchterchen Babette zeigt Sophie Hörlezeder, was in einem scheinbaren Unschuldslamm steckt. Immerhin darf sie mit Edmund, dem armen Gesellen von Ignaz (sehr komisch: San Trohar) glücklich werden, den sie sich so hemmungslos erobert hat.

In Neustadt ist Franz Steiner, der wunderbare Veteran von Schwechat (zum 41. Mal dabei!!!) der Bäckermeister Kipfl, der in Theres (Maria Sedlaczek, mit 20 Schwechat-Auftritten auch schon eine „Langjährige“) eine entschlossene Tochter hat.

Es gibt auch Defizite: Was bei Nestroy ein resolutes Mädel ist, wird hier zur dauer-kreischenden und herumfetzenden Hyäne (Michelle Haydn als falsch geführte Nanny). Hier zu viel, fort zu wenig: Der Bäckergeselle Brandenburger hat nicht zuletzt die wichtige Aufgabe, einen neuen Tonfall (der für die Wiener immer komisch klingt)  ins Geschehen zu bringen (und die Rolle ist an sich so wirkungsvoll, dass Nestroy selbst sie einige Male gespielt hat): Von Stefan Rosenthal hätte man lieber mehr scharfes, präzises Berlinerisch gehört als Liegestütze gesehen.

Aber das sind Kleinigkeiten in dem Aufführungs-Bild, das von Patzmann gemalt sein könnte und das verspricht, dass „Schwechat neu“ das bietet, was man an altbewährter Qualität gewöhnt ist.

Renate Wagner

 

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