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NÖ / Raimundspiele Gutenstein:
DER DIAMANT DES GEISTERKÖNIGS von Ferdinand Raimund
Premiere: 21. Juli 2016,
besucht wurde die Generalprobe
Die neue Intendantin der Raimundspiele Gutenstein heißt Andrea Eckert. Dafür, dass sie gut altmodisch„Prinzipalin“ genannt werden will, zieht mit ihr keine gute alte, sondern die moderne Zeit, das moderne Theaterverständnis am „lieblichen“ Raimund-Ort ein. Schon der erste Blick auf die Bühne macht das klar: Man sieht einen dunkel getäfelten, düster und schwer wirkenden Wohnraum, etwa zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, im Vordergrund liegt eine Leiche aufgebahrt – was soll hier gespielt werden? Ibsen? Hauptmann?
Nein, Regisseurin Cornelia Rainer geht es frontal „anders“ an. Dass in dieses bürgerlich-schwere Zimmer plötzlich irrationale Figuren hineinhuschen – das sah man immer wieder im Kino, die Amerikaner lassen die Geister gerne durch die Menschenwelt eilen. Sie tun es auch hier, und sie sind keine nette, sondern eine grobe, ordinäre Schar, die im Lauf des Abends absichtsvoll immer ekelhafter wird. Dass hier Ferdinand Raimunds „Der Diamant des Geisterkönigs“ gespielt wird, auf diese Idee käme man eigentlich nicht…
Schon das ist ein Einwand, der schwer wiegt. Sicher, die Besucher von Gutenstein sind gewissermaßen „Raimund-Kenner“, sie haben den „Diamant“ in der Ära von Peter Janisch 1998 und in der Ära von Ernst Wolfram Marboe 2004 gesehen (was ja nun auch schon wieder eine zeitlang her ist). Wer das Stück – es ist schließlich einer der wenig bekannten Raimunds – nicht kennt, hat keine Chance des wirklichen Verstehens, wird weder einer Art von Handlung noch gar einer Art von Aussage folgen können. Er bekommt Regie, und diese orientiert sich nicht an dem Original, sondern an ihren eigenen Einfällen. Wie es heute eben üblich ist.
Wer so viel ändert, muss auch dramaturgisch wild verfahren. Gegen weit reichende Striche ist nichts einzuwenden, es war 1824 auch ein Zeitstück, wie das Altwiener Volkstheater immer von der Bühne herab seine damalige Gegenwart kommentierte, und vieles können wir gar nicht mehr verstehen, weil wir die Zusammenhänge nicht kennen. (Andererseits ist um das Gezänk der „Vier Jahreszeiten“ schon schade… wenn man es denn hinbekommen hätte.) Aber es wurde auch heftig dazugedichtet und umgestellt, und selbst wenn man sich auf die an sich wackelige Dramaturgie des Originals ausreden kann – so richtig verbessert wurde da nichts.
Wenn das Bühnenbild (Eva Maria Schwenkel) im Lauf der Handlung mehr und mehr zerlegt wird, wenn das optische und auch szenische Chaos einsetzt, man sich auf einmal in einer Art Katastrophenstück findet, weiß man zwar genau, dass die Regisseurin Raimund auf den Pfad des Absurden locken will, wo er teilweise gar nicht so schlecht aufgehoben ist – nur dass es bei ihm locker und komödiantisch gemeint ist. Hier wird das Geschehen bloß immer undurchdringlicher, die Aktionen der Darsteller immer willkürlicher – womit hat man es eigentlich zu tun?
Bei Raimund gibt es zu Beginn eine lockere, lustige, auch dümmliche, ironisierte, boshafte – aber keinesfalls ordinär-unappetitliche – Geisterwelt. Dann kommt es zur klassischen „Prüfungssituation“: Eduard, ein netter, wenn auch vom bürgerlichen Status her eher nichtsnutziger junger Mann, wurden vom verstorbenen Papa (einem Zauberer) viele Schätze hinterlassen. Wie das schon ist mit den Menschen und ihrer Gier, genügt ihm das nicht. Vom Geisterkönig verlangt er noch mehr, eine Statue aus Diamanten. Wie Tamino und Papageno ziehen er und sein Diener Florian Waschblau (der zwischendurch auch in einen Pudel verwandelt wird) in der Folge aus, die nötigen Prüfungen zu bestehen, um zum ultimativen materiellen Reichtum zu gelangen, der dann den menschlichen Werten weit unterliegt: ein moralisches Märchen, wie bei Raimund letztendlich immer…
Mögen die Szenen im Geisterreich eine sanfte Parodie auf Kaiser Franz und seinen Hofstaat gewesen sein (so sanft, dass die Zensur nicht eingreifen konnte), so enthält das Stück eine Szene, die für uns besonders interessant ist. Mit einer politischen Schärfe, die nicht erst wir hinein interpretieren, zeichnet Raimund eine „stille“, eine „friedliche“ Insel, deren totalitäre Struktur in der verordneten Ruhe und um (politischen) Gleichklang unverkennbar ist – für seine Zeit (und erleben wir es nicht gerade auch, wenn noch nicht am eigenen Leib, so doch nicht so weit entfernt?).
Diese Szene ist der Regisseurin dann tatsächlich gelungen, indem das Volk zur erstarrten, militärischen Phalanx wird, die alles Gewünschte nachplappert – und auch Florian mit entsprechender Aggressivität auf diese böse neue Welt reagiert… Man wünschte, der Rest des Abends hätte diese Überzeugungskraft.
Der Zauber der Hoffnung: Andrea Eckert
Die Produktion bedeutet für Gutenstein dennoch einen Fortschritt zur unmittelbaren Vergangenheit, weil Andrea Eckert viel sorgfältiger und in der Qualität auch viel höher besetzt hat als ihre Vorgängerin, und für Raimund ist das Beste gut genug. Darum bringt sie auch sich selbst auf die Bühne: Die Allegorie der Hoffnung ist eine von Raimunds poetisch-tiefen Szenen, die wirklich nicht platt sind und auch dank der Interpretin nicht so geraten: Andrea Eckert hat genau den richtigen Ton zwischen Abgehobenheit und zart ironischer Heiterkeit, den man sich wünscht – am Ende für den ganzen Abend… Hier waltet Raimund.
Matthias Mamedof (wie konnte das „neue“ Volkstheater auf ihn verzichten?) braucht zwar durch eine gar nicht überzeugende Führung seiner Figur zu Beginn einige Zeit, um in Fahrt zu kommen (man weint den „Liedeln“ nicht nach, wenngleich sie eigentlich zu Raimund gehören!), und vielleicht tobt er dann als Pudel übertrieben herum, aber seine Reaktionen auf der Insel der Wahrheit sind wirklich bemerkenswert. Mit etwas mehr Ausgewogenheit wäre das eine Raimund-Figur im besten Stil.
Ein bedauernswertes Mariandl: Annette Isabella Holzmann
Arm dran ist seine Mariandl, ein bisschen auch bei Raimund, der sie in der Handlung zwischendurch vergisst. Aber als verbiesterter Putzfetzen, so wie Annette Isabella Holzmann (an die man sich aus dem Volkstheater als Schauspielerin mit großer Ausstrahlung erinnert) sie spielen muss, war sie nie gedacht: Das ist dramaturgisch und für die Interpretin fast eine Katastrophe. Welche Funktion kann sie zwischen Leichenwaschen, Bodenputzen und schlechter Laune haben (das Happyend kommt fast nicht zustande und ist dann auch überhaupt nicht glaubwürdig)? Das ist die schlimmste Fehlinterpretation.
Für einen Raimund’schen jungen Mann heutzutage die richtige Besetzung zu finden, scheint schlechtweg unmöglich, aber mit Alexander Melle ist es erstaunlich gelungen. Leider muss Lisa Weidenmüller als seine Amine dermaßen hyperaktiv und laut herumtoben, dass nichts von dem aufblühen kann, was Raimund hier an schönen Gefühlen angelegt hat.
Eine Studie der selbstgefälligen Bösheit: Eduard Wildner als Veritatius, der so giftig über seine Mitmenschen wacht, leider nicht ganz so komisch wie gedacht: Christoph Moosbrugger als Zephises. Aber was war denn eigentlich schon komisch an diesem durch und durch gewaltsamen Abend?
Ein Jammer die Geisterwelt: Nichts gegen Karl Ferdinand Kratzl und Alexandra Maria Timmel, zwei – wie man weiß – glänzende Schauspieler, aber als Longimanus und sein Diener Pamphilius so grob, ordinär, unappetitlich, unsympathisch, dass man auf sie verzichten könnte. Und auf das ganze Geisterreich? Und auf das ganze Stück?
Um nicht missverstanden zu werden: Niemand will oder verlangt einen lieblichen, herzigen Raimund. Aber man möchte seine Heiterkeit, seine Klugheit, sein Irisieren… Und eine erkennbare Geschichte, die Sinn macht, sähe man auch ganz gern auf der Bühne. In Gutenstein wird der Raimund dem Raimund jedoch mit der Axt ausgetrieben, und selbst wenn man das Bühnengeschehen als anspruchsvoll-zeitgeistigen Zugang akzeptieren mag, sich dem Dichter zu nähern, so passt dieser doch eher ins Schauspielhaus als nach Gutenstein. Jedoch, Andrea Eckert hat gezeigt, wie sie es sich vorstellt. Entscheiden wird das Publikum.
Renate Wagner