Fotos: Lalo Jodlbauer
NÖ / Festspiele Reichenau:
DER IGNORANT UND DER WAHNSINNIGE von Thomas Bernhard
Premiere: 6: Juli 2024
Ja, damals, vor 52 Jahren…
Die Ankündigung machte neugierig: Vor 52 Jahren, im Juli 1972, war „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ von Thomas Bernhard bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt worden und infolge eines Skandals (der nicht wirklich künstlerische Ursachen hatte) über die Premiere nicht hinaus gekommen. Unvergeßlich allerdings für alle, die dabei waren (und glücklicherweise als Aufzeichnung aufbewahrt). Denn damals wirkte das Stück wirklich spannend.
Es war Bernhard, der 1970 mit „Ein Fest für Boris“ (damals noch in Hamburg) das Theater für sich entdeckt hatte und schon Claus Peymann als seinen ständigen Regisseur und Intendanten fand, der ihn bis zu seinem letzten Stück („Heldenplatz“, 1988) begleitete. Der „Ignorant“ war Bernhards „Einstieg“ in Salzburg, wo er und sein Regisseur noch viele umstrittene Uraufführungen ablieferten sollten.
Die Freude an der Provokation sprühte Bernhard aus tiefer Seele, wenn er ausgerechnet bei den Salzburger Festspielen, damals noch ein „braver“ Mozart-Tempel, mit dessen „Zauberflöte“ im Hintergrund eine Schimpfkanonade auf den Opernbetrieb, auf die Musikkritik, auf die Ausbeutung von Sängern und manches mehr Kritische zu dieser Thematik los ließ.
Mit grimmigem Humor zeichnete er eine Sängerin („Koloraturmaschine“), als Figur „Königin der Nacht“ genannt, die im ersten Teil des Stücks herumtrödelt und erst in letzter Minute auf die Bühne kommt, um ihre erste Arie zu singen, und die im zweiten Akt, eskortiert von dem „Ignoranten“, ihrem Vater, und dem „Wahnsinnigen“, einem Arzt, der in seine Monologe immer schaurige Schilderungen von Leichen-Sektionen einfügt, bei den „Drei Husaren“ sitzt (zwar nicht in Salzburg, die gibt es nur in Wien) und dort nach einer Art Nervenzusammenbruch beschließt, ihre nächsten Engagements abzusagen und vielleicht den verhaßten Beruf endlich hinter sich zu lassen… So treibt man Heilige Kühe aus.
Nicht nur, weil die Aufführung in Reichenau in eindreiviertel nie wirklich spannenden Stunden vorbeiplätschertt, kommt einem das Stück heutzutage dürftig vor. Bernhards Beschimpfungen haben ihren Biß verloren, und die Inszenierung von Hermann Beil (immerhin ein Weggefährte von Peymann, da könne, meinte man, nichts passieren) war in unauffälliger Ausstattung (Bühne & Kostüme: Christof Cremer) im Grunde ohne Saft und Kraft.
Man mag in der Reichenauer Dramaturgie der Ära Maria Happel einerseits darauf gesetzt haben, dass der Name Thomas Bernhard auch 35 Jahre nach seinem Tod noch „zieht“, dass das Hautgout des Österreich-Beschimpfers immer noch seinen Reiz hat. Wahrscheinlich aber wollte man dem Schauspieler Stefan Jürgens, fest im Ensemble der gegenwärtigen Ära verankert, eine große Rolle verschaffen., Und was eignete sich besser als eine, die einst Bruno Ganz unvergeßlich kreiert hat? Aber offensichtlich ist Hermann Beill der fälschlichen Meinung, dass man Bernhards aggressive Texte, die den Zuschauer geradezu überfahren müssten, psychologisch in Parlando-Ton zerfieseln kann. Dann allerdings verlieren sie sofort ihre Wirkung, und der „Wahnsinnige“ dieses Abends war weit davon entfernt, ausreichend zu faszinieren.
Besser ging es Martin Schwab in der Rolle des „ignoranten“ Vaters (die einst Ulrich Wildgruber kreiert hat): Dieser „Künstlervater“, der immer da ist, immer peitscht, immer kritisiert, immer Druck ausübt, ist eine gewiß dem Leben abgelauschte Gestalt, und Alter mindert da nicht die Wirksamkeit.
Als Sängerin, die versucht, sich aus der Einförmigkeit des Berufs zu lösen (offenbar singt sie überall nur die Königin der Nacht), vermittelt Julia Stemberger (mit einem ersten Auftritt à la Callas) die Hochspannung, der ein Künstler, immer unter Beobachtung, immer der Bewertung gewärtig ausgesetzt ist. Die mühsam gewahrte Haltung zerbröckelt nach und nach in Hysterie.
Als hingegen durchaus gelassene Garderobiere, die alle Situationen kennt und entsprechend ruhig darauf reagiert, liefert Therese Affolter eine fast wortlose Glanzleistung und ein Beispiel dafür, was schauspielerische Präsenz bedeutet. .
Und auch der Kellner im Restaurant, der alles ausführt, was man ihm aufträgt, aber keine Kommentare abgibt (vermutlich weil er die Situation des Soupers „nach der Vorstellung“ auch schon auswendig kennt), überzeugt Dirk Nocker.
Als Theaterabend, der uns in der Gegenwart besonders interessieren könnte, hat sich „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ nicht gehalten. Aber man erinnert sich, was vor einem halben Jahrhundert noch eine Erregung war.
Renate Wagner