Fotos: Lalo Jodlbauer
NÖ / Festspiele Reichenau:
ANATOL von Arthur Schnitzler
Vier Einakter
Premiere: 5. Juli 2024 ,
besucht wurde die Generalprobe am 4. Juli 2024
Die Liebe ist ein seltsames Spiel…
Darüber; ob Arthur Schnitzler „Anatol“ war, braucht man kaum diskutieren – zumindest gingen seine eigenen Erfahrungen mit zahllosen Frauen aller Gesellschaftsschichten in diese Einakter ein, von denen er die meisten in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts, einige auch noch später schrieb. Meist steht dem Lebemann Anatol sein Freund Max zur Seite, immer geht es um die Konfrontation mit einer Frau, die allesamt stärker sind als er – und ebenso gut wie immer um falsche Gefühle, wenn Anatol auch dazu neigt, sich temporär etwas „Echtes“ einzubilden… Zumindest für den Augenblick, wie er auch dann tiefstinnerlich weiß, wenn er wieder einmal „ewige Liebe“ schwört. Ein Mann, der sich den Sex, um den es letztendlich geht, romantisch verbrämen muss – mit rot-grünen Ampeln, Klavierspiel, Blumen, Rüschen, Schleifen… Aber eines ist klar, Frauen hin oder her: Anatol geht es immer nur um sich selbst.
Diese Einakter, die nicht zuletzt deshalb witzig sind, weil der Zuschauer die Lebenslügen des Helden oft schneller durchschaut als er selbst, haben auf dem Wiener Theater große Tradition. Es gibt bessere und schwächere unter ihnen – die „Weihnachtseinkäufe“ und das „Abschiedssouper“ sind jedenfalls die verbürgten Perlen. Meist hat man dazu „Die Frage an das Schicksal“ und „Anatols Hochzeitsmorgen“ gespielt, aber Regisseur Michael Gampe ging bei den Festspielen Reichenau mit seiner Fassung der Stücke (da es zu viele sind für einen Abend, ist man in der Auswahl und Anordnung dramaturgisch gewissermaßen „frei“), einen anderen Weg.
Mit „Episode“ zu beginnen, macht Sinn – erstens, weil man Anatol hier als notorischen Liebhaber und durchaus wehleidigen Nostalgiker kennen lernt und Schnitzler ihm gnadenlos die Leviten liest, wenn Bianca, eine seiner früheren Geliebten, derer Gefühle er so sicher war, sich nicht einmal an ihn erinnert.
„Agonie“ ist ein schwächeres, weil ziemlich ziellos geschwätziges Stück, bringt aber wie kein anderes Betrug und Selbstbetrug des Helden zum Vorschein, der manipulativ auch dann noch Liebe (als Machtspiel) einfordert, wenn er innerlich schon längst aus der Beziehung mit der verheirateten Else ausgestiegen ist… Aber man macht sich eben (gegenseitig) etwas vor. Die Liebe ist ein seltsames Spiel.
Gampe stellte „Agonie“ an das Ende und dazwischen besagte Perlen, die „Weihnachtseinkäufe“ und das „Abschiedssouper“, alle vier Stücke in knapp eindreiviertel Stunden auf der Raumbühne des so genannten „Neuen Spielraums“ pausenlos durchgespielt. Keine Inszenierung, die auf Pointen zustrebt, sich vielmehr eher auf die Suche nach dem Kern dieses Anatol begibt – und nicht scheitert, wenn sie ihn nicht findet, weil es ihn nicht gibt.
Es liegt eine gewisse Melancholie über dem Abend, wenn auch zwei der vier beteiligten Damen nach allen Regeln der Kunst „aufdrehen“ dürfen. Gampe, der dankenswerterweise jegliche „Modernisierung“ verweigert, ohne Gründerzeiten-Plüsch zu liefern (diskrete Ausstattung: Alexandra Burgstaller, stimmige Kostüme: Erika Navas) setzt vielleicht eine Spur zu sehr auf elegische Stimmung – ein paar Lacher mehr wären zur Auflockerung nicht schlecht gewesen.
Wenn AntoN Widauer (er schreibt seinen Vornamen tatsächlich so) eine gewisse Müdigkeit ausstrahlt, ist das bestimmt ein Aspekt der Figur, aber nicht der einzige. Schließlich lautet seine Selbstdefinition „leichtsinniger Melancholiker“, und von Leichtsinn oder auch nur Lebendigkeit ist da keine Spur, eher somnambules Vor-sich-hin-Träumen.. Kein Wunder, dass Freund Max ihm immer wieder die Show stiehlt – das Schöne daran, wie Claudius von Stolzmann diese Figur spielt, ist eine gewisse freundschaftliche Attitüde, eine menschliche Wärme, die er ausstrahlt, während er es durchaus mit trockenen Kommentaren hätte bewenden lassen können.
Vier Damen – laut und schrill das Mädel aus dem Zirkus, die es zweifellos mit jedem treibt (Naomi Kneip); eine Spur mehr sichtbar gemachtes Innenleben statt nur nobler Distanz hätte man von der Gabriele (Johanna Arrouas) erhofft; die ordinäre Version des „Süßen Mädels“ explodiert hier hektisch (Paula Nocker); und eine elegante verheiratete Frau weiß nicht so recht, wie ihr geschieht, weil Anatol sie so sinnlos sekkiert (Miriam Fussenegger).
Die Szenen gleiten harmonisch ineinander, auch weil Anna Starzinger zwischendurch so schön Cello spielt, aber wenn ein Kellner benötigt wird, springt sie auch ein. Der sonst beschworene Anatolische Zauber liegt hier unter einem Schleier. Schnitzler war durchaus kritisch mit seinem Helden (und sich selbst), aber ganz so ernst und schwer hat er die Reflexionen über Anatol vermutlich nicht gemeint.
Renate Wagner