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NINO MACHAIDZE: Die doppelte Desdemona. Nino Machaidze verkörpert innerhalb weniger Tage auf der selben Bühne die „Desdemona“ in Rossinis und in Verdis „Otello“

Nino Machaidze ist stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen

22.06.2024 | INTERVIEWS, Sänger

Das dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit noch keine Sängerin auf der Welt vor ihr getan haben: Die georgische Star-Sopranistin Nino Machaidze verkörpert innerhalb weniger Tage auf der selben Bühne Desdemona in Rossinis und in Verdis Otello. In beiden Opern ist Desdemona ein lyrischer Sopran mit ähnlichen, aber leicht unterschiedlichen Stimmcharakteristiken. Bei Rossini zeigt sie eine größere Beweglichkeit, während bei Verdi eine ausgeprägtere dramatische Seite gefragt ist. Der innigste Moment in beiden Opern ist das Weidenlied. Überraschenderweise haben sowohl Rossini als auch Verdi einen archaischen Stil gewählt, um die Verwirrung, Sehnsucht, Einsamkeit und Schwäche zu vermitteln, die Desdemona allein in ihrem Zimmer empfindet, bevor sie getötet wird.

Unmittelbar vor ihrer ersten musikalischen Probe zu Verdis Otello traf ich die Sängerin in Frankfurt zu einem Gespräch.

nino machaidze

Nino, wie kam es dazu, dass sie diese beiden Rollen in diesem Sommer singen? 

Ich habe Rossinis Desdemona erstmals im Jahr 2016 gesungen und mochte das Stück damals schon sehr. Gleichzeitig hatte ich den Wunsch auch Verdis Version zu singen. Insbesondere in den letzten zehn Jahren bewegte ich mich nach einer Phase im reinen Belcanto-Fach zwischen Rossini und Verdi hin und her. 

Ich habe bereits im Alter von 16 Jahren an der Oper in Tiflis debütiert und genieße es nach 25 Jahren meiner Karriere, immer wieder neue Herausforderungen zu meistern. Es handelt sich hierbei aber nicht um irgendwelche Verrücktheiten, sondern um Aufgaben, die ich vollständig kontrollieren kann. 

Vor fünf Jahren hatte ich als Rossinis Desdemona mein Hausdebüt an der Oper Frankfurt und der Intendant Bernd Loebe hatte mir damals schon angeboten, beide Rollen später in diesem wunderbaren Opernhaus zu singen. 

Was gefällt Ihnen an der Frankfurter Oper besonders? 

Die Akustik in Frankfurt ist sehr, sehr sängerfreundlich und das Singen ist hier weniger anstrengend als in anderen Häusern. Bei einer trockeneren Akustik hören sich die Sänger selbst kaum und fangen oft an zu pushen, was sehr ermüdend ist. Hier am Main nimmt einem das Haus die halbe Arbeit ab. 

Haben Sie die Wiederaufnahme in diesem Jahr anders erlebt, als die Serie vor fünf Jahren? 

2016 habe ich diese Inszenierung im Theater an der Wien einstudiert und musste mich erst mal damit arrangieren, dass zwischen dem zweiten und dem dritten Akt keine Pause vorgesehen war. Nach meiner anspruchsollen großen Arie am Ende des zweiten Akts hätte ich in der Pause genügend Zeit, um zu entspannen und im dritten Akt die Arie „Assisa a piè d’un salice“ zart anstimmen zu können. Damals musste ich mich entsprechend zurücknehmen, um im Finale Secondo nicht zu viel zu geben. Das funktionierte gut, aber ich musste mich stets unter Kontrolle haben. Bei der aktuellen Wiederaufnahme realisierte ich, dass ich an dieser Stelle heute überhaupt nicht mehr aufpassen muss. Das ist eine äußerst befriedigende Erfahrung, weil meine Stimme inzwischen so weit gereift ist, dass die einstige Herausforderung nun gar keine mehr ist.

Ich verändere niemals meine Stimme und singe immer mit derselben Technik, egal um welchen Komponisten oder welchen Stil es sich handelt. Für mich ist es deshalb nicht wirklich schwierig zwischen Verdi und Rossini hin und her zu wechseln. Es handelt sich nur um andere Musik und einen anderen Stil. Die Technik bleibt für mich dabei immer die selbe.

Verdi ist für Sie ja kein Unbekannter mehr.

Ich habe schon viele großartige Verdi-Rollen gesungen. Vor einigen Monaten habe ich Elisabetta in Don Carlos verkörpert. Davor habe ich schon Luisa Miller, Giovanna d’Arco, etwa 70 Mal Traviata und 185 Mal Gilda gesungen. Damit ist es nun aber Schluß, denn mittlerweile liegen mir die etwas dramatischeren Rollen mehr. Jetzt scheint mir die Zeit für mein Verdi Desdemona Debüt perfekt zu sein. Ich habe bislang keine wirklich dramatischen Partien wie Tosca oder Madama Butterfly gesungen, weil ich die Flexibilität meiner Stimme erhalten möchte. Ich möchte auch weiterhin Rossini singen können. Rossinis Desdemona verlangt ganz im Stile des Belcanto nach einer wirklich schönen und zu zartesten Piani fähigen Stimme.  

Die beiden Otello-Opern basieren auf unterschiedlichen literarischen Vorlagen und die Handlung ist nur bedingt dieselbe. Wie unterscheiden sich die beiden von Ihnen dargestellten Charaktere? 

Rossinis Desdemona ist für mich viel stärker, insbesondere im Finale. Sie bittet nicht darum, nicht getötet zu werden, sondern akzeptiert ihr Schicksal und fordert Otello regelrecht auf, sie zu töten. Bei Verdi fleht sie ihn hingegen an, sie am Leben zu lassen. Rossinis Desdemona ist so stark und wenn ich nun in den nächsten Tagen Verdis Version singe, muss ich wirklich darauf achten, nicht so selbstbewusst und charakterstark zu sein. Mein Naturell entspricht der Desdemona von Rossini, aber ich werde überzeugend schauspielern.

In Monte Carlo werden Sie in der kommenden Saison innerhalb weniger Tage sowohl Mimi als auch Musetta singen.

Das wird für mich ebenfalls eine ganz neue Herausforderung werden. Ich hoffe, ich komme auf der Bühne dann nicht durcheinander (lacht). Mimi habe ich wirklich oft gesungen, aber ich war erst in zwei Produktionen Musetta. Dies war 2007 an der Mailänder Scala und 2012 bei den Salzburger Festspielen. In den ersten beiden Vorstellungen in Monaco werde ich also Musetta singen und dann habe ich fünf Tage Zeit, um voll und ganz in Mimi-Stimmung zu kommen. Das sollte ein großer Spaß werden. 

Kommen bald auch schwerere Partien?

Bevor ich eine neue Rolle annehme, singe ich sie zunächst ein Mal für mich durch, um zu sehen, ob sie meiner Stimme liegt. Ich lehne auch heute noch immer wieder Rollen ab, die mir noch nicht richtig erscheinen, denn ich will auch in zehn, fünfzehn Jahren noch bei Stimme sein. Ich entwickle mich Stück für Stück und mache keine großen und waghalsigen Sprünge. Man kann nicht direkt von Lucia di Lammermoor zu Madama Butterfly gehen, sondern muss sich das schwerere Repertoire häppchenweise erarbeiten. Auch Norma und Suor Angelica möchte ich eines Tages singen, aber im Moment liegt der Schwerpunkt auf Verdi.

Neben dem Singen haben Sie auch Freude und Erfolg im Unterrichten.

Ich habe mehr als 85 Gesangsschüler, die ich in Mailand privat unterrichte. Singen muss immer natürlich sein. Nach dem Singen muss die Stimme frisch und klar sein und man sollte das Gefühl haben, dass man das Gesungene problemlos ein zweites Mal singen könnte. Wenn man dies erlebt, hat man alles richtig gemacht, nicht gepusht und genau so laut gesungen, wie es für den individuellen Sänger richtig und gesund ist. Die richtige Technik ist die Grundlage für Alles. Unterrichten macht mir großen Spaß und meine Schüler erreichen in kurzer Zeit sehr gute Resultate.

Wie reagieren Sie auf Störungen aus dem Publikum? 

Geräusche aus dem Publikum nehmen wir auf der Bühne wahr, aber durch so etwas verlieren wir den Fokus nicht. Niemand hustet oder schlägt mit einer Tür, um uns zu stören, sondern dies sind einfach die Geräusche, die zu einem Live-Erlebnis dazu gehören.

Für uns Sänger ist Applaus immer wahnsinnig wichtig. Insbesondere in meinem Repertoire gibt es keine unpassenden Stellen, um zu applaudieren. Jeder Moment ist der richtige, um Beifall zu spenden und uns Sänger macht er einfach glücklich. 

Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder. Wie bekommen Sie Karriere und Familie unter einen Hut? 

Ich habe einen zehn Jahre alten Jungen, Alessandro, und ein drei Jahre altes Mädchen, Elena. Das Familienleben halten wir dadurch aufrecht, dass wir Eltern wirklich viel reisen. Ich konnte die letzten Tage zu Hause in Mailand verbringen und bei einigen sportlichen Erfolgen meines Sohnes, der Basketball spielt und auf hohem Niveau Fechtsport ausübt, dabei sein. Er hatte in diesen Tagen auch die Abschlussfeier in seiner Grundschule und ich hatte das große Glück, dass ich daran teilnehmen und Mutter sein konnte. Mein Mann ist ebenfalls als freischaffender Opernsänger tätig und wir versuchen unsere Engagements so zu legen, dass möglichst immer einer von uns zu Hause ist. Es ist alles eine Frage der Organisation und ich würde niemals meine Familie für die Karriere opfern. Meine Familie gibt mir so viel Energie!

 

Marc Rohde im Juni 2024

 

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